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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das frühere Kurhessen

Vernünftigen Freiheit darin voller Raum gelassen. Die ersten Gesetze, die
unter Hassenpflugs Namen ergingen, waren allerdings schon vor seinem Ein¬
tritt in das Ministerium vorbereitet worden. Aber die spätern kann man
durchweg als sein Werk ansehen.

Das erste Gesetz, das Hassenpflugs Unterschrift trägt, war ein Gesetz, das
die Bürgergarde organisirte, ganz im Geiste des Liberalismus der damaligen
Zeit. Gleichzeitig ergingen die umfangreichen Gesetze über Ablösung der Rcal-
lasten und über Errichtung einer Landeskreditkasse. Beide Gesetze haben sich
für das Land höchst wohlthätig erwiesen; die Landeskreditkasse besteht noch
heute als ständische Anstalt. Dann folgte das Gesetz vom 11. Juli 1832 über
den Geschäftskreis der Staatsanwälte. Jedes deutsche Land könnte stolz sein,
wenn eS jemals ein solches, die Rechtsuerfolgung gegen den Staat sicherndes
Gesetz gehabt hätte; es ist aber, so viel ich weiß, das einzige in seiner Art
geblieben. (Der hessische Staatsanwalt war der Vertreter des Staates und
der Landesherrschaft in Zivilsachen- Das Gesetz ist natürlich im Jahre 1867
beseitigt worden.) Im Jahre 1833 erging das Gesetz vom 29. Oktober, durch
das die Juden, durchaus im liberalen Sinne, den übrigen Staatsbürgern
gleichgestellt wurden. Ein Gesetz vom 31. Oktober führte zuerst eine Ein¬
kommensteuer unter dem Namen Klassensteuer in Kurhessen ein. Auch zwei
Gesetze, die die Landfolgedienste und die (sehr bedeutenden) Nutzungen aus den
Staatswaldnugen sachgemäß regelten, verdienen Erwähnung.

Besonders reich an gesetzgeberischer Thätigkeit war das Jahr 1834. Zur
Förderung der Landwirtschaft wurden Gesetze über Verkopplung von Grund¬
stücken und Teilung der Viehhutegemeinschaften gegeben. Ein umfassendes Gesetz
regulirte die Rekrutirung. Ein andres ordnete das Enteignungsverfahren. Höchst
bedeutungsvoll waren die Gesetze, die den Zivilprozeß umgestalteten. Für Ba¬
gatellsachen wurde ein abgekürztes, rein mündliches Verfahren eingeführt. Für
wichtigere Sachen wurde zwar der schriftliche Prozeß beibehalten, aber in knappe
Form gebracht. Diese Neugestaltung bewährte sich als vortrefflich und konnte
auch, als im Jahre 1851 (ebenfalls von Hassenpflug) ein mündliches Verfahren
nach Art des preußischen eingeführt wurde, als Grundlage beibehalten werden.
(Charakteristisch ist, daß diese Gesetze bei den Juristen des Landtags die größten
Schwierigkeiten fanden und der Rechtsausschuß auf deren Ablehnung antrug!)
Ein besondres Gesetz erleichterte die hypothekarischen Klagen Auch die An-
waltsgebühreu wurden zeitgemäß erhöht. Die Militärgerichtsbarkeit wurde
beschränkt. Endlich stammt aus diesen: Jahre auch die hessische Gemeinde¬
ordnung. Um zu zeigen, welchen Wert das Land auf dieses Gesetz legte,
brauche ich nichts weiter zu sagen, als daß man im Jahre 1867, wo man
doch fast alles Althessische zerstörte, an dieses Gesetz nicht wagte Hand an¬
zulegen. Es gilt in Kurhessen bis auf den heutigen Tag.

Die Jahre 1835 bis 37 waren weniger fruchtbar an Gesetzen. Hassenpflug


Das frühere Kurhessen

Vernünftigen Freiheit darin voller Raum gelassen. Die ersten Gesetze, die
unter Hassenpflugs Namen ergingen, waren allerdings schon vor seinem Ein¬
tritt in das Ministerium vorbereitet worden. Aber die spätern kann man
durchweg als sein Werk ansehen.

Das erste Gesetz, das Hassenpflugs Unterschrift trägt, war ein Gesetz, das
die Bürgergarde organisirte, ganz im Geiste des Liberalismus der damaligen
Zeit. Gleichzeitig ergingen die umfangreichen Gesetze über Ablösung der Rcal-
lasten und über Errichtung einer Landeskreditkasse. Beide Gesetze haben sich
für das Land höchst wohlthätig erwiesen; die Landeskreditkasse besteht noch
heute als ständische Anstalt. Dann folgte das Gesetz vom 11. Juli 1832 über
den Geschäftskreis der Staatsanwälte. Jedes deutsche Land könnte stolz sein,
wenn eS jemals ein solches, die Rechtsuerfolgung gegen den Staat sicherndes
Gesetz gehabt hätte; es ist aber, so viel ich weiß, das einzige in seiner Art
geblieben. (Der hessische Staatsanwalt war der Vertreter des Staates und
der Landesherrschaft in Zivilsachen- Das Gesetz ist natürlich im Jahre 1867
beseitigt worden.) Im Jahre 1833 erging das Gesetz vom 29. Oktober, durch
das die Juden, durchaus im liberalen Sinne, den übrigen Staatsbürgern
gleichgestellt wurden. Ein Gesetz vom 31. Oktober führte zuerst eine Ein¬
kommensteuer unter dem Namen Klassensteuer in Kurhessen ein. Auch zwei
Gesetze, die die Landfolgedienste und die (sehr bedeutenden) Nutzungen aus den
Staatswaldnugen sachgemäß regelten, verdienen Erwähnung.

Besonders reich an gesetzgeberischer Thätigkeit war das Jahr 1834. Zur
Förderung der Landwirtschaft wurden Gesetze über Verkopplung von Grund¬
stücken und Teilung der Viehhutegemeinschaften gegeben. Ein umfassendes Gesetz
regulirte die Rekrutirung. Ein andres ordnete das Enteignungsverfahren. Höchst
bedeutungsvoll waren die Gesetze, die den Zivilprozeß umgestalteten. Für Ba¬
gatellsachen wurde ein abgekürztes, rein mündliches Verfahren eingeführt. Für
wichtigere Sachen wurde zwar der schriftliche Prozeß beibehalten, aber in knappe
Form gebracht. Diese Neugestaltung bewährte sich als vortrefflich und konnte
auch, als im Jahre 1851 (ebenfalls von Hassenpflug) ein mündliches Verfahren
nach Art des preußischen eingeführt wurde, als Grundlage beibehalten werden.
(Charakteristisch ist, daß diese Gesetze bei den Juristen des Landtags die größten
Schwierigkeiten fanden und der Rechtsausschuß auf deren Ablehnung antrug!)
Ein besondres Gesetz erleichterte die hypothekarischen Klagen Auch die An-
waltsgebühreu wurden zeitgemäß erhöht. Die Militärgerichtsbarkeit wurde
beschränkt. Endlich stammt aus diesen: Jahre auch die hessische Gemeinde¬
ordnung. Um zu zeigen, welchen Wert das Land auf dieses Gesetz legte,
brauche ich nichts weiter zu sagen, als daß man im Jahre 1867, wo man
doch fast alles Althessische zerstörte, an dieses Gesetz nicht wagte Hand an¬
zulegen. Es gilt in Kurhessen bis auf den heutigen Tag.

Die Jahre 1835 bis 37 waren weniger fruchtbar an Gesetzen. Hassenpflug


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[0477] Das frühere Kurhessen Vernünftigen Freiheit darin voller Raum gelassen. Die ersten Gesetze, die unter Hassenpflugs Namen ergingen, waren allerdings schon vor seinem Ein¬ tritt in das Ministerium vorbereitet worden. Aber die spätern kann man durchweg als sein Werk ansehen. Das erste Gesetz, das Hassenpflugs Unterschrift trägt, war ein Gesetz, das die Bürgergarde organisirte, ganz im Geiste des Liberalismus der damaligen Zeit. Gleichzeitig ergingen die umfangreichen Gesetze über Ablösung der Rcal- lasten und über Errichtung einer Landeskreditkasse. Beide Gesetze haben sich für das Land höchst wohlthätig erwiesen; die Landeskreditkasse besteht noch heute als ständische Anstalt. Dann folgte das Gesetz vom 11. Juli 1832 über den Geschäftskreis der Staatsanwälte. Jedes deutsche Land könnte stolz sein, wenn eS jemals ein solches, die Rechtsuerfolgung gegen den Staat sicherndes Gesetz gehabt hätte; es ist aber, so viel ich weiß, das einzige in seiner Art geblieben. (Der hessische Staatsanwalt war der Vertreter des Staates und der Landesherrschaft in Zivilsachen- Das Gesetz ist natürlich im Jahre 1867 beseitigt worden.) Im Jahre 1833 erging das Gesetz vom 29. Oktober, durch das die Juden, durchaus im liberalen Sinne, den übrigen Staatsbürgern gleichgestellt wurden. Ein Gesetz vom 31. Oktober führte zuerst eine Ein¬ kommensteuer unter dem Namen Klassensteuer in Kurhessen ein. Auch zwei Gesetze, die die Landfolgedienste und die (sehr bedeutenden) Nutzungen aus den Staatswaldnugen sachgemäß regelten, verdienen Erwähnung. Besonders reich an gesetzgeberischer Thätigkeit war das Jahr 1834. Zur Förderung der Landwirtschaft wurden Gesetze über Verkopplung von Grund¬ stücken und Teilung der Viehhutegemeinschaften gegeben. Ein umfassendes Gesetz regulirte die Rekrutirung. Ein andres ordnete das Enteignungsverfahren. Höchst bedeutungsvoll waren die Gesetze, die den Zivilprozeß umgestalteten. Für Ba¬ gatellsachen wurde ein abgekürztes, rein mündliches Verfahren eingeführt. Für wichtigere Sachen wurde zwar der schriftliche Prozeß beibehalten, aber in knappe Form gebracht. Diese Neugestaltung bewährte sich als vortrefflich und konnte auch, als im Jahre 1851 (ebenfalls von Hassenpflug) ein mündliches Verfahren nach Art des preußischen eingeführt wurde, als Grundlage beibehalten werden. (Charakteristisch ist, daß diese Gesetze bei den Juristen des Landtags die größten Schwierigkeiten fanden und der Rechtsausschuß auf deren Ablehnung antrug!) Ein besondres Gesetz erleichterte die hypothekarischen Klagen Auch die An- waltsgebühreu wurden zeitgemäß erhöht. Die Militärgerichtsbarkeit wurde beschränkt. Endlich stammt aus diesen: Jahre auch die hessische Gemeinde¬ ordnung. Um zu zeigen, welchen Wert das Land auf dieses Gesetz legte, brauche ich nichts weiter zu sagen, als daß man im Jahre 1867, wo man doch fast alles Althessische zerstörte, an dieses Gesetz nicht wagte Hand an¬ zulegen. Es gilt in Kurhessen bis auf den heutigen Tag. Die Jahre 1835 bis 37 waren weniger fruchtbar an Gesetzen. Hassenpflug

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/477>, abgerufen am 01.09.2024.