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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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lungcnsten Figuren des ganzen Romans. Er ist der wahre Vertreter des zer¬
setzten, ziellosen, von Menschenverachtung und Weltekel durchdrungnen Juden-
tums. Er vereinigt in sich die Gelehrsamkeit eines Philo Judüus und den
geistvollen Witz und die beißende Satire eines Lucian. Aber die Liebe zu
der edeln, uneigennützigen, aufopfcrnngsfähigen Victoria macht ihn zu einem
ernsten Mann und offenbart ihm die wahren Züge des christlichen Glaubens.
Mit Kaiser Julian ruft auch Raphael schließlich aus: Der Gnlilncr hat
gesiegt!

Die Rolle der Intrigantin in dem Roman spielt Raphaels Mutter, die
alte Jüdin Mirjnm, die von unversöhnlichem Haß gegen Hypatia erfüllt ist,
aber auch den Christen Rache geschworen hat und liberall Unheil sät, bis sie
von einem der Goten niedergeschlagen wird.

Eine den Shakespearischen Narren nachgebildete Figur ist der Pförtner
Endümon, ein Großsprecher und Renommist, ein begeisterter Verehrer der
Hypatia und ein wütender Gegner des Christentums und der Mönche. Er
spielt Philammon gegenüber den Überlegnen, den geistig Höherstehenden. Seine
Rede würzt er mit aufgeschnappten philosophischen Brocken und poetischen Wen¬
dungen. Als er mit Philammon eines Tages in sein Haus tritt, ruft er
nach seiner Frau: "Judith! Judith! Wo steckst du? Marmor von Pentelikon!
Schaumflvcke der weindunkeln Meerflut! Lilie des Mareotischen Sees! Du ver¬
fluchte schwarze Andromeda, wenn du das Frühstück nicht augenblicklich bringst,
schneide ich dich in Stücke!"

Mit offenbarer Liebe hat Kingsley auch an der Gestalt des reisigen
Bischofs Shnesius von Cyrene gearbeitet. Zu diesem eilt Raphael, um bei
ihm in seinen innern Kämpfen Rat und Hilfe zu suchen. Shnesius ist das
Gegenteil von Chrill, ein kühner Reiter, ein leidenschaftlicher Jäger, ein lebens¬
froher Mensch, ein Freund alles Edeln und Hochherzigen, auch wenn es von
den Heiden kommt. "Ich habe, sagt er, mit der Philosophie abgeschlossen.
Wie ein Heraklide zu fechten, und wie ein Bischof zu sterben, ist alles, was
ich von meinen Idealen behalten habe -- außer Hypatia, der vollkommnen,
weisen! Ich sage euch, Freund, es ist mir ein Trost für mich selbst in meinem
tiefsten Leide, wenn ich denke, daß es auf der verderbten Welt uoch ein so gött¬
liches Wesen giebt." In Shnesius hat sich Kingsley selbst gezeichnet, daher
die Wärme, die uns ans diesem Charakterbilde entgegenströmt. Sehr richtig
bemerkt die Times in einem Artikel aus dem Jahre 1875 (wieder abgedruckt
in Lminemt, ?orscm", Liograpliiv8 I, I^onäcm, McowillM Rick <no,, 1892): ^Vs
slmulcl Ur. XinMlc^ I^ni luocleUöcl Iiis 8s1t-oänczg.lion ver/ nrue-u ein oiuz ok
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auel IlZÄckillA oNÄraetors o5 Iris llotion i" ins ^rsat seorst ok 1Ü8 sueeoss.


lungcnsten Figuren des ganzen Romans. Er ist der wahre Vertreter des zer¬
setzten, ziellosen, von Menschenverachtung und Weltekel durchdrungnen Juden-
tums. Er vereinigt in sich die Gelehrsamkeit eines Philo Judüus und den
geistvollen Witz und die beißende Satire eines Lucian. Aber die Liebe zu
der edeln, uneigennützigen, aufopfcrnngsfähigen Victoria macht ihn zu einem
ernsten Mann und offenbart ihm die wahren Züge des christlichen Glaubens.
Mit Kaiser Julian ruft auch Raphael schließlich aus: Der Gnlilncr hat
gesiegt!

Die Rolle der Intrigantin in dem Roman spielt Raphaels Mutter, die
alte Jüdin Mirjnm, die von unversöhnlichem Haß gegen Hypatia erfüllt ist,
aber auch den Christen Rache geschworen hat und liberall Unheil sät, bis sie
von einem der Goten niedergeschlagen wird.

Eine den Shakespearischen Narren nachgebildete Figur ist der Pförtner
Endümon, ein Großsprecher und Renommist, ein begeisterter Verehrer der
Hypatia und ein wütender Gegner des Christentums und der Mönche. Er
spielt Philammon gegenüber den Überlegnen, den geistig Höherstehenden. Seine
Rede würzt er mit aufgeschnappten philosophischen Brocken und poetischen Wen¬
dungen. Als er mit Philammon eines Tages in sein Haus tritt, ruft er
nach seiner Frau: „Judith! Judith! Wo steckst du? Marmor von Pentelikon!
Schaumflvcke der weindunkeln Meerflut! Lilie des Mareotischen Sees! Du ver¬
fluchte schwarze Andromeda, wenn du das Frühstück nicht augenblicklich bringst,
schneide ich dich in Stücke!"

Mit offenbarer Liebe hat Kingsley auch an der Gestalt des reisigen
Bischofs Shnesius von Cyrene gearbeitet. Zu diesem eilt Raphael, um bei
ihm in seinen innern Kämpfen Rat und Hilfe zu suchen. Shnesius ist das
Gegenteil von Chrill, ein kühner Reiter, ein leidenschaftlicher Jäger, ein lebens¬
froher Mensch, ein Freund alles Edeln und Hochherzigen, auch wenn es von
den Heiden kommt. „Ich habe, sagt er, mit der Philosophie abgeschlossen.
Wie ein Heraklide zu fechten, und wie ein Bischof zu sterben, ist alles, was
ich von meinen Idealen behalten habe — außer Hypatia, der vollkommnen,
weisen! Ich sage euch, Freund, es ist mir ein Trost für mich selbst in meinem
tiefsten Leide, wenn ich denke, daß es auf der verderbten Welt uoch ein so gött¬
liches Wesen giebt." In Shnesius hat sich Kingsley selbst gezeichnet, daher
die Wärme, die uns ans diesem Charakterbilde entgegenströmt. Sehr richtig
bemerkt die Times in einem Artikel aus dem Jahre 1875 (wieder abgedruckt
in Lminemt, ?orscm», Liograpliiv8 I, I^onäcm, McowillM Rick <no,, 1892): ^Vs
slmulcl Ur. XinMlc^ I^ni luocleUöcl Iiis 8s1t-oänczg.lion ver/ nrue-u ein oiuz ok
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[0464] lungcnsten Figuren des ganzen Romans. Er ist der wahre Vertreter des zer¬ setzten, ziellosen, von Menschenverachtung und Weltekel durchdrungnen Juden- tums. Er vereinigt in sich die Gelehrsamkeit eines Philo Judüus und den geistvollen Witz und die beißende Satire eines Lucian. Aber die Liebe zu der edeln, uneigennützigen, aufopfcrnngsfähigen Victoria macht ihn zu einem ernsten Mann und offenbart ihm die wahren Züge des christlichen Glaubens. Mit Kaiser Julian ruft auch Raphael schließlich aus: Der Gnlilncr hat gesiegt! Die Rolle der Intrigantin in dem Roman spielt Raphaels Mutter, die alte Jüdin Mirjnm, die von unversöhnlichem Haß gegen Hypatia erfüllt ist, aber auch den Christen Rache geschworen hat und liberall Unheil sät, bis sie von einem der Goten niedergeschlagen wird. Eine den Shakespearischen Narren nachgebildete Figur ist der Pförtner Endümon, ein Großsprecher und Renommist, ein begeisterter Verehrer der Hypatia und ein wütender Gegner des Christentums und der Mönche. Er spielt Philammon gegenüber den Überlegnen, den geistig Höherstehenden. Seine Rede würzt er mit aufgeschnappten philosophischen Brocken und poetischen Wen¬ dungen. Als er mit Philammon eines Tages in sein Haus tritt, ruft er nach seiner Frau: „Judith! Judith! Wo steckst du? Marmor von Pentelikon! Schaumflvcke der weindunkeln Meerflut! Lilie des Mareotischen Sees! Du ver¬ fluchte schwarze Andromeda, wenn du das Frühstück nicht augenblicklich bringst, schneide ich dich in Stücke!" Mit offenbarer Liebe hat Kingsley auch an der Gestalt des reisigen Bischofs Shnesius von Cyrene gearbeitet. Zu diesem eilt Raphael, um bei ihm in seinen innern Kämpfen Rat und Hilfe zu suchen. Shnesius ist das Gegenteil von Chrill, ein kühner Reiter, ein leidenschaftlicher Jäger, ein lebens¬ froher Mensch, ein Freund alles Edeln und Hochherzigen, auch wenn es von den Heiden kommt. „Ich habe, sagt er, mit der Philosophie abgeschlossen. Wie ein Heraklide zu fechten, und wie ein Bischof zu sterben, ist alles, was ich von meinen Idealen behalten habe — außer Hypatia, der vollkommnen, weisen! Ich sage euch, Freund, es ist mir ein Trost für mich selbst in meinem tiefsten Leide, wenn ich denke, daß es auf der verderbten Welt uoch ein so gött¬ liches Wesen giebt." In Shnesius hat sich Kingsley selbst gezeichnet, daher die Wärme, die uns ans diesem Charakterbilde entgegenströmt. Sehr richtig bemerkt die Times in einem Artikel aus dem Jahre 1875 (wieder abgedruckt in Lminemt, ?orscm», Liograpliiv8 I, I^onäcm, McowillM Rick <no,, 1892): ^Vs slmulcl Ur. XinMlc^ I^ni luocleUöcl Iiis 8s1t-oänczg.lion ver/ nrue-u ein oiuz ok tus v!mi'g,()t>srL Ils intrvcluLW in ins H^pala, tlo uunting', Jura-u'zlcking', Iiarcl- vorlcinA ^,tri(zu,n bistwx c>s tluz UM vcmtur/. ^in? lÄot eine tue böntok Iiis von wstes, dis «onviotiovL, ima Kis iäios^noras^ gsnvrall^, snM8tha t,lie su^je<ze8 auel IlZÄckillA oNÄraetors o5 Iris llotion i» ins ^rsat seorst ok 1Ü8 sueeoss.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/464>, abgerufen am 27.11.2024.