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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lauter Link'ander

(Leipzig, E. Ungleich). Das ist nun ein "Einbänder" geworden nur durch
die doppelte Hilfe eines sehr gedrängten Druckes und eines großen Sprunges
von zehn Jcihreu, der um Ende des zehnten und vor Beginn des elften Ab¬
schnitts unternommen wird. Dos Ganze stellt sich als ein Buch dar, in dem
sich lebendige Beobachtung, wirkliche Eindrücke des Lebens, fein ausgeführte
selbständige Charakterzeichnnngen und alte, zum Teil sehr abgeblaßte Nvman-
überlieferungeu, herkömmliche Szenen und Gestalten wunderlich mischen. Der
Held ist der Sohn des Barons Ferdinand von Vincken und einer schönen
Bauerntochter aus deu Alpen, die der Freiherr in überwallender Jugend-
leidcuschaft geheiratet hat, und mit der er sehr unglücklich geworden wäre,
wenn sie nicht der Tod bei der Geburt ihres Sohnes mitleidig weitern Kon¬
flikten entrückt hätte. Mark Albrecht saßt als junger Mensch deu Vorsatz,
eine öde Besitzung seines Vaters zu einer stattlichen Herrschaft emporzubringen,
und mit der zähen Nüchternheit, die eine Mitgabe seines halben Bauernblutes
ist, gelingt ihm das so vorzüglich, daß, nachdem Baron Ferdinand, der die
diplomatische Laufbahn eingeschlagen, sich in zweiter Ehe standesmäßig ver¬
mählt hat und seine vornehme Familie in Paris und München abgewirtschaftet
hat, das Gut Tomba, das wir Wohl in der Oberpfalz zu suchen haben, die
Zuflucht der ganzen Familie wird. Baron Mark Albrecht ist in seinem Recht-
schaffenheitstrotz und seiner ängstlichen Wirklichkeit scharf, sogar allzu scharf
gezeichnet, das Verhältnis zwischen ihm und deu Stiefgeschwistern vortrefflich
entwickelt, das Leben der aristokratischen Familie in dein verwahrlosten Schlosse
mit einem Auflag guten Humors dargestellt, liberall, wo die Verfasserin
nicht bloß referirt, und wo uns ihre Kenntnis der Wirklichkeit die fatalen
Zusätze aus ihrer Romanlektüre erspart, waltet eine gewinnende Wärme und
eine schlichte Gegenständlichkeit, die ihre Wirkung nicht verfehlen. In dem
stillen Einverständnis, das sich zwischen dem rauhen Mark Albrecht und seiner
glänzenden jünger" Stiefschwester Irene bildet, in der Neigung Irenens zu
dem Prinzen Heinrich Lichtenfels, in der Ehegeschichte des Grafen Sarthe und
seiner um ein Menschenalter jüngern Gemahlin Thekla, überall finden wir
feine, gewinnende Züge, überall zeigt sich, daß der Blick der Verfasserin, bei
allem Ernst ihres Wesens, dem sogar ein moralisirender Beigeschmack nicht
fehlt, doch mit Vorliebe den Lichtseiten des Daseins zugewandt ist. Um so
empfindlicher werfen uus dann gewisse abgestandue Salonszenen und halb¬
romantische Bilder aus der eben erweckten Illusion heraus.

Zahlreich ist in der neuesten Romanlitteratur die Sippe Bellamus ge¬
worden. Das müssen nun freilich "Einbänder" oder vielmehr "Einbänderchen"
sein. In der Natur dieser Zukunftsphantasien liegt es, daß sie keine lebendige
Ausmalung vertragen, je flüchtiger, traumhafter die Bilder an dem Leser
vorüberhuschen, desto eher wird ein Eindruck erweckt. In Mene kekek! einer
Entdeckungsreise nach Europa von Arnold von der Passer (Erfurt und


Lauter Link'ander

(Leipzig, E. Ungleich). Das ist nun ein „Einbänder" geworden nur durch
die doppelte Hilfe eines sehr gedrängten Druckes und eines großen Sprunges
von zehn Jcihreu, der um Ende des zehnten und vor Beginn des elften Ab¬
schnitts unternommen wird. Dos Ganze stellt sich als ein Buch dar, in dem
sich lebendige Beobachtung, wirkliche Eindrücke des Lebens, fein ausgeführte
selbständige Charakterzeichnnngen und alte, zum Teil sehr abgeblaßte Nvman-
überlieferungeu, herkömmliche Szenen und Gestalten wunderlich mischen. Der
Held ist der Sohn des Barons Ferdinand von Vincken und einer schönen
Bauerntochter aus deu Alpen, die der Freiherr in überwallender Jugend-
leidcuschaft geheiratet hat, und mit der er sehr unglücklich geworden wäre,
wenn sie nicht der Tod bei der Geburt ihres Sohnes mitleidig weitern Kon¬
flikten entrückt hätte. Mark Albrecht saßt als junger Mensch deu Vorsatz,
eine öde Besitzung seines Vaters zu einer stattlichen Herrschaft emporzubringen,
und mit der zähen Nüchternheit, die eine Mitgabe seines halben Bauernblutes
ist, gelingt ihm das so vorzüglich, daß, nachdem Baron Ferdinand, der die
diplomatische Laufbahn eingeschlagen, sich in zweiter Ehe standesmäßig ver¬
mählt hat und seine vornehme Familie in Paris und München abgewirtschaftet
hat, das Gut Tomba, das wir Wohl in der Oberpfalz zu suchen haben, die
Zuflucht der ganzen Familie wird. Baron Mark Albrecht ist in seinem Recht-
schaffenheitstrotz und seiner ängstlichen Wirklichkeit scharf, sogar allzu scharf
gezeichnet, das Verhältnis zwischen ihm und deu Stiefgeschwistern vortrefflich
entwickelt, das Leben der aristokratischen Familie in dein verwahrlosten Schlosse
mit einem Auflag guten Humors dargestellt, liberall, wo die Verfasserin
nicht bloß referirt, und wo uns ihre Kenntnis der Wirklichkeit die fatalen
Zusätze aus ihrer Romanlektüre erspart, waltet eine gewinnende Wärme und
eine schlichte Gegenständlichkeit, die ihre Wirkung nicht verfehlen. In dem
stillen Einverständnis, das sich zwischen dem rauhen Mark Albrecht und seiner
glänzenden jünger» Stiefschwester Irene bildet, in der Neigung Irenens zu
dem Prinzen Heinrich Lichtenfels, in der Ehegeschichte des Grafen Sarthe und
seiner um ein Menschenalter jüngern Gemahlin Thekla, überall finden wir
feine, gewinnende Züge, überall zeigt sich, daß der Blick der Verfasserin, bei
allem Ernst ihres Wesens, dem sogar ein moralisirender Beigeschmack nicht
fehlt, doch mit Vorliebe den Lichtseiten des Daseins zugewandt ist. Um so
empfindlicher werfen uus dann gewisse abgestandue Salonszenen und halb¬
romantische Bilder aus der eben erweckten Illusion heraus.

Zahlreich ist in der neuesten Romanlitteratur die Sippe Bellamus ge¬
worden. Das müssen nun freilich „Einbänder" oder vielmehr „Einbänderchen"
sein. In der Natur dieser Zukunftsphantasien liegt es, daß sie keine lebendige
Ausmalung vertragen, je flüchtiger, traumhafter die Bilder an dem Leser
vorüberhuschen, desto eher wird ein Eindruck erweckt. In Mene kekek! einer
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[0422] Lauter Link'ander (Leipzig, E. Ungleich). Das ist nun ein „Einbänder" geworden nur durch die doppelte Hilfe eines sehr gedrängten Druckes und eines großen Sprunges von zehn Jcihreu, der um Ende des zehnten und vor Beginn des elften Ab¬ schnitts unternommen wird. Dos Ganze stellt sich als ein Buch dar, in dem sich lebendige Beobachtung, wirkliche Eindrücke des Lebens, fein ausgeführte selbständige Charakterzeichnnngen und alte, zum Teil sehr abgeblaßte Nvman- überlieferungeu, herkömmliche Szenen und Gestalten wunderlich mischen. Der Held ist der Sohn des Barons Ferdinand von Vincken und einer schönen Bauerntochter aus deu Alpen, die der Freiherr in überwallender Jugend- leidcuschaft geheiratet hat, und mit der er sehr unglücklich geworden wäre, wenn sie nicht der Tod bei der Geburt ihres Sohnes mitleidig weitern Kon¬ flikten entrückt hätte. Mark Albrecht saßt als junger Mensch deu Vorsatz, eine öde Besitzung seines Vaters zu einer stattlichen Herrschaft emporzubringen, und mit der zähen Nüchternheit, die eine Mitgabe seines halben Bauernblutes ist, gelingt ihm das so vorzüglich, daß, nachdem Baron Ferdinand, der die diplomatische Laufbahn eingeschlagen, sich in zweiter Ehe standesmäßig ver¬ mählt hat und seine vornehme Familie in Paris und München abgewirtschaftet hat, das Gut Tomba, das wir Wohl in der Oberpfalz zu suchen haben, die Zuflucht der ganzen Familie wird. Baron Mark Albrecht ist in seinem Recht- schaffenheitstrotz und seiner ängstlichen Wirklichkeit scharf, sogar allzu scharf gezeichnet, das Verhältnis zwischen ihm und deu Stiefgeschwistern vortrefflich entwickelt, das Leben der aristokratischen Familie in dein verwahrlosten Schlosse mit einem Auflag guten Humors dargestellt, liberall, wo die Verfasserin nicht bloß referirt, und wo uns ihre Kenntnis der Wirklichkeit die fatalen Zusätze aus ihrer Romanlektüre erspart, waltet eine gewinnende Wärme und eine schlichte Gegenständlichkeit, die ihre Wirkung nicht verfehlen. In dem stillen Einverständnis, das sich zwischen dem rauhen Mark Albrecht und seiner glänzenden jünger» Stiefschwester Irene bildet, in der Neigung Irenens zu dem Prinzen Heinrich Lichtenfels, in der Ehegeschichte des Grafen Sarthe und seiner um ein Menschenalter jüngern Gemahlin Thekla, überall finden wir feine, gewinnende Züge, überall zeigt sich, daß der Blick der Verfasserin, bei allem Ernst ihres Wesens, dem sogar ein moralisirender Beigeschmack nicht fehlt, doch mit Vorliebe den Lichtseiten des Daseins zugewandt ist. Um so empfindlicher werfen uus dann gewisse abgestandue Salonszenen und halb¬ romantische Bilder aus der eben erweckten Illusion heraus. Zahlreich ist in der neuesten Romanlitteratur die Sippe Bellamus ge¬ worden. Das müssen nun freilich „Einbänder" oder vielmehr „Einbänderchen" sein. In der Natur dieser Zukunftsphantasien liegt es, daß sie keine lebendige Ausmalung vertragen, je flüchtiger, traumhafter die Bilder an dem Leser vorüberhuschen, desto eher wird ein Eindruck erweckt. In Mene kekek! einer Entdeckungsreise nach Europa von Arnold von der Passer (Erfurt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/422>, abgerufen am 28.07.2024.