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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lauter Linbcinder

bedrohten tapfern Mannes an der Seite eines baumstarken niam-Niamuegers
nach dem heimatlichen Preußisch-Littauer und in die Oberförsterei Heide¬
bruch sehr hübsch einsetzt. Die spätere Entwicklung in Berlin, in der der
Held zwischen zwei gruudverschieduen Frauen, den bekannten freilich immer
wiederkehrenden Gestalten: der weltlich eiteln, einer tiefern Liebe unfähigen
Löwin der großen Gesellschaft und einer warmen und echten Frauennatur,
hin- und herschwaukt, fesselt nur durch gewisse Szenen aus dein Leben der
obern Zehntausend der Reichshauptstadt, dessen zwecklose Genußjagd hier
wenigstens nicht mit den beliebten Schmutzfarbeu gemalt ist. Hanns von
Harden geht an dem Zwiespalt unter, daß er seine Circe, die ihn schon ein¬
mal verraten und aufgegeben hat, die schöne Elsa von Rhödern heiratet und
gleichwohl fortfährt, Marie von Sandvw zu lieben. Er tragt endlich sein
zerbrochnes Leben wieder nach Afrika, wo es in einem kühnen Zuge zur Be¬
freiung eines eingeschlossenen Kameraden endet. Die Darstellung erscheint in
diesem Hauptteil des Romans ungleich, einzelnes ist vorzüglich belebt, andres
gleichsam nur augedeutet, die mitspielende und in das Schicksal Hcirdens
hereinspielende Welt ist viel zu breit, um in einen "Einbänder" gepreßt zu
werden. Der Verfasser verläßt sich darauf, daß wir ungefähr in dieser Welt
Bescheid wissen und vieles ergänzen werden. Immerhin ist "Circe" ein frisches
und mannichfach poetisch angehauchtes Buch, das mit Lust und innerm Anteil
geschrieben scheint, und wir wünschten dem Verfasser wohl in einer Arbeit zu
begegnen, die als Ganzes so glücklich belebt und anschaulich verkörpert wäre,
wie die littauische Episode im Eingange des Romans.

Ein Roman von Wilhelm Imsen hat immer Anspruch auf Teilnahme,
er wird nie platt, nie stimmungslos sein. Dies gilt auch von seinem neuen
Roman: Die Namenlosen (Leipzig, Carl Meißner). Freilich gefällt sich der
Dichter nur allzu oft in einer manieristischen, halbdämmernden Art der Er¬
findung und des Bortrags, bei der es ihm leicht wird, den Eindruck des Merk-
würdigen, Geheimnisvoller zu machen, bei der aber der Leser mehr erraten
muß, um was es sich handelt, als daß es ihm klar und zwingend gegenüber¬
träte. Die "Namenlosen" spielen, mit gelegentlichen Blicken auf das Festland,
auf einer der friesischen Inseln, und die Eigentümlichkeit der Landschaft, die
mit Zeusens glücklicher Schilderungsgabe in den Lauf der Erzählung ver¬
webt ist, bildet hier nicht sowohl den Hintergrund als eine mitwirkende Macht
der Handlung. Alles in allem aber können wir den neuen Roman nicht zu
den besten Schöpfungen des Dichters rechnen, das phantastische Halbdunkel
überragt doch die Gestalten (unter denen der jüngere Swer Taten eine echt
Jensensche Figur ist), allzu sehr, als daß diese einen bleibenden Eindruck
hinterlassen könnten.

In dritter Auflage lernen wir den Roman einer vielgelobtcn Schrift¬
stellerin kennen: Mark Albrecht von Ursula Zöge von Mnnteuffel


Lauter Linbcinder

bedrohten tapfern Mannes an der Seite eines baumstarken niam-Niamuegers
nach dem heimatlichen Preußisch-Littauer und in die Oberförsterei Heide¬
bruch sehr hübsch einsetzt. Die spätere Entwicklung in Berlin, in der der
Held zwischen zwei gruudverschieduen Frauen, den bekannten freilich immer
wiederkehrenden Gestalten: der weltlich eiteln, einer tiefern Liebe unfähigen
Löwin der großen Gesellschaft und einer warmen und echten Frauennatur,
hin- und herschwaukt, fesselt nur durch gewisse Szenen aus dein Leben der
obern Zehntausend der Reichshauptstadt, dessen zwecklose Genußjagd hier
wenigstens nicht mit den beliebten Schmutzfarbeu gemalt ist. Hanns von
Harden geht an dem Zwiespalt unter, daß er seine Circe, die ihn schon ein¬
mal verraten und aufgegeben hat, die schöne Elsa von Rhödern heiratet und
gleichwohl fortfährt, Marie von Sandvw zu lieben. Er tragt endlich sein
zerbrochnes Leben wieder nach Afrika, wo es in einem kühnen Zuge zur Be¬
freiung eines eingeschlossenen Kameraden endet. Die Darstellung erscheint in
diesem Hauptteil des Romans ungleich, einzelnes ist vorzüglich belebt, andres
gleichsam nur augedeutet, die mitspielende und in das Schicksal Hcirdens
hereinspielende Welt ist viel zu breit, um in einen „Einbänder" gepreßt zu
werden. Der Verfasser verläßt sich darauf, daß wir ungefähr in dieser Welt
Bescheid wissen und vieles ergänzen werden. Immerhin ist „Circe" ein frisches
und mannichfach poetisch angehauchtes Buch, das mit Lust und innerm Anteil
geschrieben scheint, und wir wünschten dem Verfasser wohl in einer Arbeit zu
begegnen, die als Ganzes so glücklich belebt und anschaulich verkörpert wäre,
wie die littauische Episode im Eingange des Romans.

Ein Roman von Wilhelm Imsen hat immer Anspruch auf Teilnahme,
er wird nie platt, nie stimmungslos sein. Dies gilt auch von seinem neuen
Roman: Die Namenlosen (Leipzig, Carl Meißner). Freilich gefällt sich der
Dichter nur allzu oft in einer manieristischen, halbdämmernden Art der Er¬
findung und des Bortrags, bei der es ihm leicht wird, den Eindruck des Merk-
würdigen, Geheimnisvoller zu machen, bei der aber der Leser mehr erraten
muß, um was es sich handelt, als daß es ihm klar und zwingend gegenüber¬
träte. Die „Namenlosen" spielen, mit gelegentlichen Blicken auf das Festland,
auf einer der friesischen Inseln, und die Eigentümlichkeit der Landschaft, die
mit Zeusens glücklicher Schilderungsgabe in den Lauf der Erzählung ver¬
webt ist, bildet hier nicht sowohl den Hintergrund als eine mitwirkende Macht
der Handlung. Alles in allem aber können wir den neuen Roman nicht zu
den besten Schöpfungen des Dichters rechnen, das phantastische Halbdunkel
überragt doch die Gestalten (unter denen der jüngere Swer Taten eine echt
Jensensche Figur ist), allzu sehr, als daß diese einen bleibenden Eindruck
hinterlassen könnten.

In dritter Auflage lernen wir den Roman einer vielgelobtcn Schrift¬
stellerin kennen: Mark Albrecht von Ursula Zöge von Mnnteuffel


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[0421] Lauter Linbcinder bedrohten tapfern Mannes an der Seite eines baumstarken niam-Niamuegers nach dem heimatlichen Preußisch-Littauer und in die Oberförsterei Heide¬ bruch sehr hübsch einsetzt. Die spätere Entwicklung in Berlin, in der der Held zwischen zwei gruudverschieduen Frauen, den bekannten freilich immer wiederkehrenden Gestalten: der weltlich eiteln, einer tiefern Liebe unfähigen Löwin der großen Gesellschaft und einer warmen und echten Frauennatur, hin- und herschwaukt, fesselt nur durch gewisse Szenen aus dein Leben der obern Zehntausend der Reichshauptstadt, dessen zwecklose Genußjagd hier wenigstens nicht mit den beliebten Schmutzfarbeu gemalt ist. Hanns von Harden geht an dem Zwiespalt unter, daß er seine Circe, die ihn schon ein¬ mal verraten und aufgegeben hat, die schöne Elsa von Rhödern heiratet und gleichwohl fortfährt, Marie von Sandvw zu lieben. Er tragt endlich sein zerbrochnes Leben wieder nach Afrika, wo es in einem kühnen Zuge zur Be¬ freiung eines eingeschlossenen Kameraden endet. Die Darstellung erscheint in diesem Hauptteil des Romans ungleich, einzelnes ist vorzüglich belebt, andres gleichsam nur augedeutet, die mitspielende und in das Schicksal Hcirdens hereinspielende Welt ist viel zu breit, um in einen „Einbänder" gepreßt zu werden. Der Verfasser verläßt sich darauf, daß wir ungefähr in dieser Welt Bescheid wissen und vieles ergänzen werden. Immerhin ist „Circe" ein frisches und mannichfach poetisch angehauchtes Buch, das mit Lust und innerm Anteil geschrieben scheint, und wir wünschten dem Verfasser wohl in einer Arbeit zu begegnen, die als Ganzes so glücklich belebt und anschaulich verkörpert wäre, wie die littauische Episode im Eingange des Romans. Ein Roman von Wilhelm Imsen hat immer Anspruch auf Teilnahme, er wird nie platt, nie stimmungslos sein. Dies gilt auch von seinem neuen Roman: Die Namenlosen (Leipzig, Carl Meißner). Freilich gefällt sich der Dichter nur allzu oft in einer manieristischen, halbdämmernden Art der Er¬ findung und des Bortrags, bei der es ihm leicht wird, den Eindruck des Merk- würdigen, Geheimnisvoller zu machen, bei der aber der Leser mehr erraten muß, um was es sich handelt, als daß es ihm klar und zwingend gegenüber¬ träte. Die „Namenlosen" spielen, mit gelegentlichen Blicken auf das Festland, auf einer der friesischen Inseln, und die Eigentümlichkeit der Landschaft, die mit Zeusens glücklicher Schilderungsgabe in den Lauf der Erzählung ver¬ webt ist, bildet hier nicht sowohl den Hintergrund als eine mitwirkende Macht der Handlung. Alles in allem aber können wir den neuen Roman nicht zu den besten Schöpfungen des Dichters rechnen, das phantastische Halbdunkel überragt doch die Gestalten (unter denen der jüngere Swer Taten eine echt Jensensche Figur ist), allzu sehr, als daß diese einen bleibenden Eindruck hinterlassen könnten. In dritter Auflage lernen wir den Roman einer vielgelobtcn Schrift¬ stellerin kennen: Mark Albrecht von Ursula Zöge von Mnnteuffel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/421>, abgerufen am 23.11.2024.