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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lauter Einbäuder

gesetzt, diese Episode zur Wahrheit des Lebens in einem Mißverhältnis steht,
wenn sie durch ihr Herausreißen aus dem allgemeinen Zusammenhang der
Dinge, durch ihre Einseitigkeit, in der sie doch den Anspruch einer abgerun¬
deten Darstellung erhebt, das Bild des Lebens uicht sowohl vervollständigt,
als verzerrt? Legen uns nicht alle diese Möglichkeiten, die keineswegs will¬
kürlich gesetzt sind, die Empfindung nahe, daß der plötzliche allgemeine Drang,
"Einbänder" zu schreiben und jede Aufgabe des Erzählers entweder zum ein¬
bändigen Buche zusammenzupressen oder auch auszudehnen, wieder einmal ein
sinnloses Gedränge ist, bei dem die schriftstellernde Herde den Leithammeln
folgt? Wir hegen wahrlich keine Vorliebe für die Praxis des jahrelang landes¬
üblich gewesenen Leihbibliothekenromans, der womöglich "uicht unter drei
Bänden" sein durfte, wir haben stets die neun- und zehnbändigen Romane
gewisser Schriftsteller für eine unkünstlerische Zusammenkopplnng mehrerer
Poetischen Aufgaben gehalten; aber gegenüber der Einseitigkeit, mit der jetzt
der "Einbänder" das alleinige Recht auf Teilnahme, Geltung und kunstgemäße
Form beansprucht, ist es doch notwendig, darauf hinzuweisen, daß diese "Form"
eine Reihe der bedeutendsten Ziele des Romans geradezu ausschließt und in
zahlreichen andern Fällen die Natürlichkeit des Vortragstous gefährdet und
aufhebt.

Sehen wir einmal zu, was uns in der modischen Form in jüngster Zeit
dargeboten worden ist. In erster Linie, mit dem Dvppelglanz des anerkannten
Dichternamens und des großen Erfolgs -- oder, was für viele Leute das¬
selbe ist, der allgemeinen Neugier und Lesebegier, tritt uns der einbändige
Roman Eifernde Liebe von Ernst von Wildenbruch (Berlin, Freund und
Jeckel) entgegen, der, erst im laufenden Jahr erschienen, schon in fünfter Auf¬
lage vorliegt. Er spielt, nein, er beginnt und verläuft großenteils in oder
vielmehr bei Hamburg-Altona in der Villa des Herrn Etatsrat Pfeiffenberg,
zwischen Nienstedten und Blankenese, anf dem hohen rechten Elbufer oberhalb
Mühlenberg. So wie die Wendung zum tragischen Ende beginnt, versetzt der
Dichter seine Heldin und seine Leser nach München, Verona, Neapel und Capri,
da er sehr wohl fühlt, daß in dem Hausfrieden der Pfeiffenbergschcn Villa die
Katastrophe unmöglich wäre. Der verwitwete Altonaer Großkaufmann mit
dem Titel, der noch aus dänischer Zeit stammen muß, hat einen Sohn, der,
ein leidlich braver, nüchterner Geselle, es für sein gutes Recht hält, mit goldnem
Löffel an dem Tische des Lebens zu sitze", und eine Tochter Dorothea, die
"Weiße Dorothea," eine schöne Blondine von stattlicher Gestalt, überwiegend
verständig, gut gebildet, nordisch keusch und kühl, der es in ihrem prächtigen
väterlichen Heim und bei der stillen Herrschaft, die sie über Vater und Bruder
ausübt, so wohl ist, daß sie mit achtundzwanzig Jahren noch nie an Liebe
und Heirat gedacht hat. Dorothea Pfeiffenberg läßt in dem großen. Park des
Etatsrath eine schöne Halle bauen, ganz zweckmäßig, um die Orangerie hier


Lauter Einbäuder

gesetzt, diese Episode zur Wahrheit des Lebens in einem Mißverhältnis steht,
wenn sie durch ihr Herausreißen aus dem allgemeinen Zusammenhang der
Dinge, durch ihre Einseitigkeit, in der sie doch den Anspruch einer abgerun¬
deten Darstellung erhebt, das Bild des Lebens uicht sowohl vervollständigt,
als verzerrt? Legen uns nicht alle diese Möglichkeiten, die keineswegs will¬
kürlich gesetzt sind, die Empfindung nahe, daß der plötzliche allgemeine Drang,
„Einbänder" zu schreiben und jede Aufgabe des Erzählers entweder zum ein¬
bändigen Buche zusammenzupressen oder auch auszudehnen, wieder einmal ein
sinnloses Gedränge ist, bei dem die schriftstellernde Herde den Leithammeln
folgt? Wir hegen wahrlich keine Vorliebe für die Praxis des jahrelang landes¬
üblich gewesenen Leihbibliothekenromans, der womöglich „uicht unter drei
Bänden" sein durfte, wir haben stets die neun- und zehnbändigen Romane
gewisser Schriftsteller für eine unkünstlerische Zusammenkopplnng mehrerer
Poetischen Aufgaben gehalten; aber gegenüber der Einseitigkeit, mit der jetzt
der „Einbänder" das alleinige Recht auf Teilnahme, Geltung und kunstgemäße
Form beansprucht, ist es doch notwendig, darauf hinzuweisen, daß diese „Form"
eine Reihe der bedeutendsten Ziele des Romans geradezu ausschließt und in
zahlreichen andern Fällen die Natürlichkeit des Vortragstous gefährdet und
aufhebt.

Sehen wir einmal zu, was uns in der modischen Form in jüngster Zeit
dargeboten worden ist. In erster Linie, mit dem Dvppelglanz des anerkannten
Dichternamens und des großen Erfolgs — oder, was für viele Leute das¬
selbe ist, der allgemeinen Neugier und Lesebegier, tritt uns der einbändige
Roman Eifernde Liebe von Ernst von Wildenbruch (Berlin, Freund und
Jeckel) entgegen, der, erst im laufenden Jahr erschienen, schon in fünfter Auf¬
lage vorliegt. Er spielt, nein, er beginnt und verläuft großenteils in oder
vielmehr bei Hamburg-Altona in der Villa des Herrn Etatsrat Pfeiffenberg,
zwischen Nienstedten und Blankenese, anf dem hohen rechten Elbufer oberhalb
Mühlenberg. So wie die Wendung zum tragischen Ende beginnt, versetzt der
Dichter seine Heldin und seine Leser nach München, Verona, Neapel und Capri,
da er sehr wohl fühlt, daß in dem Hausfrieden der Pfeiffenbergschcn Villa die
Katastrophe unmöglich wäre. Der verwitwete Altonaer Großkaufmann mit
dem Titel, der noch aus dänischer Zeit stammen muß, hat einen Sohn, der,
ein leidlich braver, nüchterner Geselle, es für sein gutes Recht hält, mit goldnem
Löffel an dem Tische des Lebens zu sitze», und eine Tochter Dorothea, die
„Weiße Dorothea," eine schöne Blondine von stattlicher Gestalt, überwiegend
verständig, gut gebildet, nordisch keusch und kühl, der es in ihrem prächtigen
väterlichen Heim und bei der stillen Herrschaft, die sie über Vater und Bruder
ausübt, so wohl ist, daß sie mit achtundzwanzig Jahren noch nie an Liebe
und Heirat gedacht hat. Dorothea Pfeiffenberg läßt in dem großen. Park des
Etatsrath eine schöne Halle bauen, ganz zweckmäßig, um die Orangerie hier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/413>, abgerufen am 28.07.2024.