Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Lauter Einbänder im Winter aufzustellen, und damit Pater und Bruder bei schlechtem Wetter Lauter Einbänder im Winter aufzustellen, und damit Pater und Bruder bei schlechtem Wetter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215504"/> <fw type="header" place="top"> Lauter Einbänder</fw><lb/> <p xml:id="ID_1493" prev="#ID_1492" next="#ID_1494"> im Winter aufzustellen, und damit Pater und Bruder bei schlechtem Wetter<lb/> eine gedeckte Wandelbahn haben, wo sie nach Tische spazieren gehen und ihre<lb/> Cigarre rauchen können. Da aber in dem schönen stolzen Mädchen ein in¬<lb/> stinktiver Zug zum Höhern vorhanden ist, sie ihrer Zeit in Berlin die großen<lb/> Kaulbachs im neuen Museum bewundert hat, so wünscht sie in besagter Halle<lb/> ein großes Wandbild, ein Historienbild des großen, jetzt geächteten Stils zu<lb/> sehen. Der Bater, der jeden ihrer Wünsche mit Freuden erfüllt, hat auf<lb/> einem Ausflug nach Berlin mit Hilfe des hanseatischen Ministers und des<lb/> Akademiedirektvrs Werner ein malerisches Genie ausfindig gemacht, das sich<lb/> noch mit dem abgethanen Fresko und dem Aufbau großer Bilder mit mäch¬<lb/> tigen Gruppen befaßt. Heinrich Verheißer, der Sohn eines kleinen städtischen<lb/> Beamten aus der Weinmeisterstraße in Berlin, hat sich unter den härtesten<lb/> Prüfungen, Enttäuschungen und Entbehrungen zur künstlerischen Selbständig¬<lb/> keit emporgearbeitet. Er hat seiner Anlage, seiner nnmodischen Richtung,<lb/> seinem trotzigen Wesen nach bisher nur „Pech" gehabt, der Auftrag für das<lb/> Haus Pfeiffenberg ist der erste Glücksschimmer in seinem Leben. Er schwelgt<lb/> in der Aussicht, ein Bild, das ihm schon lange vorschwebt, die letzte Gvthen-<lb/> schlacht am Fuße des Vesuv, malen zu können, und als er bei dem ersten<lb/> Besuch, den er der Kaufmannsfamilie macht, seine Idee leidenschaftlich vor¬<lb/> trüge, fühlt sich der Etatsrat interessirt und Fräulein Dorothea merkwürdig<lb/> ergriffen. „Die Villa Pfeiffenberg am Ufer der Elbe — und der Vesuv —<lb/> die rationelle, korrekte Familie Pfeiffenberg — und die Ostgothen — gab es<lb/> Dinge auf der Welt, die weiter auseinander lagen, weniger znsainmcngehörten,<lb/> einander gleichgiltiger waren als diese? Und plötzlich stand da ein Mensch<lb/> vor ihnen, in dessen Seele diese versunkene Welt lebendig war, wie ein Vor¬<lb/> gang vom gestrigen Tage, und die verschollne Zeit stieg vor ihnen empor<lb/> wie ein gewitterbcrgendes Gewölk, aus dessen Schoße, gleich dem Nachhall<lb/> eines ungeheuern, fernen Ereignisses, das Klirren der Waffen, das Brüllen<lb/> des Kampfes, die Stimme von Menschen ertönte, von deren Dnsein sie nie<lb/> etwas gewußt." Trotz des Hauches aber, der aus Nerheißers Phantasie in<lb/> die Seele der schönen Dorothea hinüberweht, empfindet diese gegen den neuen<lb/> Hausgenossen, den sie über der Gärtnerwohnung einquartiert hat, der in der<lb/> Halle sein Wesen treibt und einen ungeheuern farbigen Karton in der Größe<lb/> des beabsichtigten Wandbildes ausführt, zunächst eine Abneigung. Nicht bloß<lb/> die philiströsen Überlieferungen der Familie gegen das ungewohnte künstlerische<lb/> Wesen und Auftreten Heinrich Nerheißers, sondern auch die reine Empfindung<lb/> des noch unbestvchnen Weibes kehren sich gegen das Innerste dieser Natur.<lb/> Denn in Heinrich Verheißer hat der Dichter einen vortrefflichen Typus des<lb/> modernsten KünstlertnmS gezeichnet; obwohl er noch Historie ni im»vo malt,<lb/> gehört er doch zu dem Geschlecht, das mit der Lösung 1<'me »is se xsi-og^<lb/> Munclu« der Welt nicht nur als einer knnstunverständigen, sondern auch als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0414]
Lauter Einbänder
im Winter aufzustellen, und damit Pater und Bruder bei schlechtem Wetter
eine gedeckte Wandelbahn haben, wo sie nach Tische spazieren gehen und ihre
Cigarre rauchen können. Da aber in dem schönen stolzen Mädchen ein in¬
stinktiver Zug zum Höhern vorhanden ist, sie ihrer Zeit in Berlin die großen
Kaulbachs im neuen Museum bewundert hat, so wünscht sie in besagter Halle
ein großes Wandbild, ein Historienbild des großen, jetzt geächteten Stils zu
sehen. Der Bater, der jeden ihrer Wünsche mit Freuden erfüllt, hat auf
einem Ausflug nach Berlin mit Hilfe des hanseatischen Ministers und des
Akademiedirektvrs Werner ein malerisches Genie ausfindig gemacht, das sich
noch mit dem abgethanen Fresko und dem Aufbau großer Bilder mit mäch¬
tigen Gruppen befaßt. Heinrich Verheißer, der Sohn eines kleinen städtischen
Beamten aus der Weinmeisterstraße in Berlin, hat sich unter den härtesten
Prüfungen, Enttäuschungen und Entbehrungen zur künstlerischen Selbständig¬
keit emporgearbeitet. Er hat seiner Anlage, seiner nnmodischen Richtung,
seinem trotzigen Wesen nach bisher nur „Pech" gehabt, der Auftrag für das
Haus Pfeiffenberg ist der erste Glücksschimmer in seinem Leben. Er schwelgt
in der Aussicht, ein Bild, das ihm schon lange vorschwebt, die letzte Gvthen-
schlacht am Fuße des Vesuv, malen zu können, und als er bei dem ersten
Besuch, den er der Kaufmannsfamilie macht, seine Idee leidenschaftlich vor¬
trüge, fühlt sich der Etatsrat interessirt und Fräulein Dorothea merkwürdig
ergriffen. „Die Villa Pfeiffenberg am Ufer der Elbe — und der Vesuv —
die rationelle, korrekte Familie Pfeiffenberg — und die Ostgothen — gab es
Dinge auf der Welt, die weiter auseinander lagen, weniger znsainmcngehörten,
einander gleichgiltiger waren als diese? Und plötzlich stand da ein Mensch
vor ihnen, in dessen Seele diese versunkene Welt lebendig war, wie ein Vor¬
gang vom gestrigen Tage, und die verschollne Zeit stieg vor ihnen empor
wie ein gewitterbcrgendes Gewölk, aus dessen Schoße, gleich dem Nachhall
eines ungeheuern, fernen Ereignisses, das Klirren der Waffen, das Brüllen
des Kampfes, die Stimme von Menschen ertönte, von deren Dnsein sie nie
etwas gewußt." Trotz des Hauches aber, der aus Nerheißers Phantasie in
die Seele der schönen Dorothea hinüberweht, empfindet diese gegen den neuen
Hausgenossen, den sie über der Gärtnerwohnung einquartiert hat, der in der
Halle sein Wesen treibt und einen ungeheuern farbigen Karton in der Größe
des beabsichtigten Wandbildes ausführt, zunächst eine Abneigung. Nicht bloß
die philiströsen Überlieferungen der Familie gegen das ungewohnte künstlerische
Wesen und Auftreten Heinrich Nerheißers, sondern auch die reine Empfindung
des noch unbestvchnen Weibes kehren sich gegen das Innerste dieser Natur.
Denn in Heinrich Verheißer hat der Dichter einen vortrefflichen Typus des
modernsten KünstlertnmS gezeichnet; obwohl er noch Historie ni im»vo malt,
gehört er doch zu dem Geschlecht, das mit der Lösung 1<'me »is se xsi-og^
Munclu« der Welt nicht nur als einer knnstunverständigen, sondern auch als
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