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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Und doch war diese Form von Haus aus einem innern Bedürfnis der Dichter
und einer Triebkraft der von ihnen bevorzugten Stoffe entstammt! Wie nun,
wenn eine von vornherein äußerliche Nötigung, eine Mode, genau so albern
wie die, die unsrer modischen Welt die froschgrünen Halsbinden und die gras¬
grünen Binsen aufzwingt, eine tyrannische Gewohnheit, die sich ans nichts
weiter berufen kann, als auf die Behauptung des Sortimentsbuchhändlers,
daß das Publikum gerade die so beschaffner Bücher mit ausschließlicher Vor¬
liebe kaufe, auf einmal anfinge, die Litteratur zu beherrsche"? Wer gewohnt
ist, die plötzlichen Springfluten des Geschmacks und der äußerlichen Einflüsse
auf das geistige Leben etwas zu beobachten, dem hat seit einigen Jahren aus¬
fallen müssen, daß sich nach dem Vorgange Frankreichs die poetische Lieblings-
gattnng unsrer Zeit, der Roman, mehr und mehr zum kurzen, zum einbän¬
digen Roman gewendet hat. Immer ausschließlicher werden "Einbänder," wie
das neue Modewort heißt, veröffentlicht und verkauft, und wenn es auch ge¬
wiß ist, daß ein Band ein vieldeutiger Begriff ist und sein Umfang so ver-
chieden sein kann wie sein Inhalt, so hängt doch dieses plötzliche Überwuchern
des "Einbänders" ohne Zweifel mit der augenblicklich beliebten und als die
einzige Aufgabe lebendiger poetischer Kunst gepriesenen Pflege der Episode zu¬
sammen. Gewiß kaun auch der einbändige Roman ein Lebensbild nicht nur
von dem stärksten subjektiven Gehalt, sondern much von einer'großen, mit¬
wirkenden allgemeinen Bedeutung in sich einschließen (wer dächte hier nicht um
"Werthers Leiden"!); aber die gegenwärtige Bewegung zum einbändigen Roman
entstammt keineswegs der glücklichen poetische" Eingebung und der gesammelten
Kraft von Dichtern, die plötzlich lauter Stoffe ergriffen haben, in denen sich
im engsten Nahmen ein mächtiges Stück Welt spiegelt, sondern, soweit sie nicht
reine geschäftliche Äußerlichkeit ist, die sich sklavisch dem vielberühmten Gesetz
von Nachfrage und Angebot unterordnet, aus der Verzweiflung der Erzähler,
irgend etwas andres zu bieten, als eine leidlich beobachtete, kräftig ausgeführte
und gestimmte Episode, einen merkwürdigen Einzelcharakter, einen seltsamen
oder unheimlichen Vorgang.

Schon tausendmal ist es gesagt worden, daß in der Kunst nichts auf das
Was und alles auf das Wie ankomme. Wenn nnn aber -- alles beiseite ge¬
lassen, womit die Giltigkeit dieses Satzes bestritten werden könnte -- durch
das Was, durch die unablässige Wiederholung zufälliger untergeordneter, der
poetische" Vertiefung und Belebung widerstrebender Motive auch das Wie
beeinflußt wird, wenn sich herausstellt, daß der ein- für allemal gegebne
Rahmen die Komposition der verschiedensten Lebensbilder ungünstig beengt und
eine empfindliche Eintönigkeit der Einzelheiten herbeiführt? wenn die Form,
die sich nicht aus dem Inhalt ergiebt, in bestimmten Fällen die Klarheit, die
Vollständigkeit, die innere Wahrheit der dargestellten Handlung beeinträchtigt ?
wenn endlich, die glückliche und überzeugende Belebung der Episode voraus-


Und doch war diese Form von Haus aus einem innern Bedürfnis der Dichter
und einer Triebkraft der von ihnen bevorzugten Stoffe entstammt! Wie nun,
wenn eine von vornherein äußerliche Nötigung, eine Mode, genau so albern
wie die, die unsrer modischen Welt die froschgrünen Halsbinden und die gras¬
grünen Binsen aufzwingt, eine tyrannische Gewohnheit, die sich ans nichts
weiter berufen kann, als auf die Behauptung des Sortimentsbuchhändlers,
daß das Publikum gerade die so beschaffner Bücher mit ausschließlicher Vor¬
liebe kaufe, auf einmal anfinge, die Litteratur zu beherrsche»? Wer gewohnt
ist, die plötzlichen Springfluten des Geschmacks und der äußerlichen Einflüsse
auf das geistige Leben etwas zu beobachten, dem hat seit einigen Jahren aus¬
fallen müssen, daß sich nach dem Vorgange Frankreichs die poetische Lieblings-
gattnng unsrer Zeit, der Roman, mehr und mehr zum kurzen, zum einbän¬
digen Roman gewendet hat. Immer ausschließlicher werden „Einbänder," wie
das neue Modewort heißt, veröffentlicht und verkauft, und wenn es auch ge¬
wiß ist, daß ein Band ein vieldeutiger Begriff ist und sein Umfang so ver-
chieden sein kann wie sein Inhalt, so hängt doch dieses plötzliche Überwuchern
des „Einbänders" ohne Zweifel mit der augenblicklich beliebten und als die
einzige Aufgabe lebendiger poetischer Kunst gepriesenen Pflege der Episode zu¬
sammen. Gewiß kaun auch der einbändige Roman ein Lebensbild nicht nur
von dem stärksten subjektiven Gehalt, sondern much von einer'großen, mit¬
wirkenden allgemeinen Bedeutung in sich einschließen (wer dächte hier nicht um
„Werthers Leiden"!); aber die gegenwärtige Bewegung zum einbändigen Roman
entstammt keineswegs der glücklichen poetische« Eingebung und der gesammelten
Kraft von Dichtern, die plötzlich lauter Stoffe ergriffen haben, in denen sich
im engsten Nahmen ein mächtiges Stück Welt spiegelt, sondern, soweit sie nicht
reine geschäftliche Äußerlichkeit ist, die sich sklavisch dem vielberühmten Gesetz
von Nachfrage und Angebot unterordnet, aus der Verzweiflung der Erzähler,
irgend etwas andres zu bieten, als eine leidlich beobachtete, kräftig ausgeführte
und gestimmte Episode, einen merkwürdigen Einzelcharakter, einen seltsamen
oder unheimlichen Vorgang.

Schon tausendmal ist es gesagt worden, daß in der Kunst nichts auf das
Was und alles auf das Wie ankomme. Wenn nnn aber — alles beiseite ge¬
lassen, womit die Giltigkeit dieses Satzes bestritten werden könnte — durch
das Was, durch die unablässige Wiederholung zufälliger untergeordneter, der
poetische« Vertiefung und Belebung widerstrebender Motive auch das Wie
beeinflußt wird, wenn sich herausstellt, daß der ein- für allemal gegebne
Rahmen die Komposition der verschiedensten Lebensbilder ungünstig beengt und
eine empfindliche Eintönigkeit der Einzelheiten herbeiführt? wenn die Form,
die sich nicht aus dem Inhalt ergiebt, in bestimmten Fällen die Klarheit, die
Vollständigkeit, die innere Wahrheit der dargestellten Handlung beeinträchtigt ?
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[0412] Und doch war diese Form von Haus aus einem innern Bedürfnis der Dichter und einer Triebkraft der von ihnen bevorzugten Stoffe entstammt! Wie nun, wenn eine von vornherein äußerliche Nötigung, eine Mode, genau so albern wie die, die unsrer modischen Welt die froschgrünen Halsbinden und die gras¬ grünen Binsen aufzwingt, eine tyrannische Gewohnheit, die sich ans nichts weiter berufen kann, als auf die Behauptung des Sortimentsbuchhändlers, daß das Publikum gerade die so beschaffner Bücher mit ausschließlicher Vor¬ liebe kaufe, auf einmal anfinge, die Litteratur zu beherrsche»? Wer gewohnt ist, die plötzlichen Springfluten des Geschmacks und der äußerlichen Einflüsse auf das geistige Leben etwas zu beobachten, dem hat seit einigen Jahren aus¬ fallen müssen, daß sich nach dem Vorgange Frankreichs die poetische Lieblings- gattnng unsrer Zeit, der Roman, mehr und mehr zum kurzen, zum einbän¬ digen Roman gewendet hat. Immer ausschließlicher werden „Einbänder," wie das neue Modewort heißt, veröffentlicht und verkauft, und wenn es auch ge¬ wiß ist, daß ein Band ein vieldeutiger Begriff ist und sein Umfang so ver- chieden sein kann wie sein Inhalt, so hängt doch dieses plötzliche Überwuchern des „Einbänders" ohne Zweifel mit der augenblicklich beliebten und als die einzige Aufgabe lebendiger poetischer Kunst gepriesenen Pflege der Episode zu¬ sammen. Gewiß kaun auch der einbändige Roman ein Lebensbild nicht nur von dem stärksten subjektiven Gehalt, sondern much von einer'großen, mit¬ wirkenden allgemeinen Bedeutung in sich einschließen (wer dächte hier nicht um „Werthers Leiden"!); aber die gegenwärtige Bewegung zum einbändigen Roman entstammt keineswegs der glücklichen poetische« Eingebung und der gesammelten Kraft von Dichtern, die plötzlich lauter Stoffe ergriffen haben, in denen sich im engsten Nahmen ein mächtiges Stück Welt spiegelt, sondern, soweit sie nicht reine geschäftliche Äußerlichkeit ist, die sich sklavisch dem vielberühmten Gesetz von Nachfrage und Angebot unterordnet, aus der Verzweiflung der Erzähler, irgend etwas andres zu bieten, als eine leidlich beobachtete, kräftig ausgeführte und gestimmte Episode, einen merkwürdigen Einzelcharakter, einen seltsamen oder unheimlichen Vorgang. Schon tausendmal ist es gesagt worden, daß in der Kunst nichts auf das Was und alles auf das Wie ankomme. Wenn nnn aber — alles beiseite ge¬ lassen, womit die Giltigkeit dieses Satzes bestritten werden könnte — durch das Was, durch die unablässige Wiederholung zufälliger untergeordneter, der poetische« Vertiefung und Belebung widerstrebender Motive auch das Wie beeinflußt wird, wenn sich herausstellt, daß der ein- für allemal gegebne Rahmen die Komposition der verschiedensten Lebensbilder ungünstig beengt und eine empfindliche Eintönigkeit der Einzelheiten herbeiführt? wenn die Form, die sich nicht aus dem Inhalt ergiebt, in bestimmten Fällen die Klarheit, die Vollständigkeit, die innere Wahrheit der dargestellten Handlung beeinträchtigt ? wenn endlich, die glückliche und überzeugende Belebung der Episode voraus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/412>, abgerufen am 27.07.2024.