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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Deutschen gebühre, sondern den Königen, die in Reims gekrönt werden. Die
Deutschen haben das Kaisertum gänzlich verkommen lassen; es ist seiner wehend-'
lichen Befugnisse beraubt worden, und die Kaiser sind nichts mehr als die
Geueralkapitäne einer deutscheu Republik. Nur ein Herrscher von der Macht
des französischen .Königs kann die Kaiserwürde wieder zu Ehren bringen und
ihr die alte monarchische Kraft wiedergeben. Demgemäß gilt es, die deutscheu
Fürsten an Frankreich zu ketten und die Habsburger langsam aus ihrer jetzigen
Stellung zu verdrängen. Wie der König, so seine Publizisten. Unter Ludwig XIII.
hatte der königliche Rat Jacques de Cassan in seiner 1632 erschienenen Schrift:
I>g> rsollsrelis dös etroit" cku tlo^ se as Iir eourouns as I'rlmos ausgesprochen,
daß der größte Teil der europäischen Staaten, Deutschland eingeschlossen, un¬
rechtmäßig der französischen Krone entfremdete Gebiete seien. Jetzt erklärte
der Anwalt am Pariser Parlament, d'Aubery, 1667: von Rechts wegen
seien Deutsche und Franzoseu ein einziges Volk, wie sie eS unter den Mero-
wingern und Karolingern gewesen seien. Der rechtmäßige Erbe der Karo¬
linger aber sei Hugo Capet; seinen Nachkommen gebühre also Reich und
Kaisertum, die vou den derzeitigen Trägern schmachvoll entstellt worden seien.
Der wahre Herrscher im Sinne der ursprünglichen Weltordnung sei der König
von Frankreich, und wenn diesem jetzt das Elsaß zurückgegeben worden sei, so
habe es damit nicht etwa eine neue Eroberung gemacht, sondern nur einen
kleinen Teil der Ansprüche zur Geltung gebracht, die ihm auf ganz Deutsch¬
land zustünden. Der Minister Lionel schickte den allzu offenherzigen Parla-
mentsauwalt einige Zeit in die Bastille, weil die Schrift in Deutschland großes
und unliebsames Aufsehen hervorrief; aber daß d'Aubery die letzten Ziele der
französischen Staatskunst vollkommen wahrheitsgemäß geschildert hatte, unter¬
liegt keinem Zweifel.

Wenn man dies alles erwägt, so versteht man erst den eigentlichen Grund¬
gedanken Ludwigs XIV. bei seinen berüchtigten Reuniouen: sie waren seiner
Auffassung nach keineswegs Gewaltmaßregeln, sondern sie verhalfen ihm nur
"u einem Teil seiner Rechte. Diese Rechte waren aber erst denn vollständig
zur Geltung gebracht, wenn ihm Deutschland selbst unterworfen war. Wie
treffend hat sich also Friedrich Strauß 1870 ausgedrückt, als er in seinem
bekannten Streitschriftenwechsel mit Ernst Renan sagte: wir bekämpfen noch
immer Ludwig XIV.! In der That, dieser König verkörpert in sich die na-
twnalfranzösische Ansicht von den Beziehungen Deutschlands und Frankreichs.

Es liegt auf der Hand, daß die deutscheu Rcichsfttrsten von einer Politik,
die auf die Herstellung einer wirklichen monarchischen Kaisergewalt gerichtet
war, unmöglich sehr erbaut sein konnten. Die ihnen über alles teure fürst¬
liche "Libertät" wurde an der Wurzel getroffen, wenn Ludwig XIV. seine
Pläne durchsetzte. Durch solche Erwägungen mußten sie veranlaßt werden,
sich näher nu das Haus Habsburg anzuschließen. Aber andrerseits verfolgte


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Deutschen gebühre, sondern den Königen, die in Reims gekrönt werden. Die
Deutschen haben das Kaisertum gänzlich verkommen lassen; es ist seiner wehend-'
lichen Befugnisse beraubt worden, und die Kaiser sind nichts mehr als die
Geueralkapitäne einer deutscheu Republik. Nur ein Herrscher von der Macht
des französischen .Königs kann die Kaiserwürde wieder zu Ehren bringen und
ihr die alte monarchische Kraft wiedergeben. Demgemäß gilt es, die deutscheu
Fürsten an Frankreich zu ketten und die Habsburger langsam aus ihrer jetzigen
Stellung zu verdrängen. Wie der König, so seine Publizisten. Unter Ludwig XIII.
hatte der königliche Rat Jacques de Cassan in seiner 1632 erschienenen Schrift:
I>g> rsollsrelis dös etroit« cku tlo^ se as Iir eourouns as I'rlmos ausgesprochen,
daß der größte Teil der europäischen Staaten, Deutschland eingeschlossen, un¬
rechtmäßig der französischen Krone entfremdete Gebiete seien. Jetzt erklärte
der Anwalt am Pariser Parlament, d'Aubery, 1667: von Rechts wegen
seien Deutsche und Franzoseu ein einziges Volk, wie sie eS unter den Mero-
wingern und Karolingern gewesen seien. Der rechtmäßige Erbe der Karo¬
linger aber sei Hugo Capet; seinen Nachkommen gebühre also Reich und
Kaisertum, die vou den derzeitigen Trägern schmachvoll entstellt worden seien.
Der wahre Herrscher im Sinne der ursprünglichen Weltordnung sei der König
von Frankreich, und wenn diesem jetzt das Elsaß zurückgegeben worden sei, so
habe es damit nicht etwa eine neue Eroberung gemacht, sondern nur einen
kleinen Teil der Ansprüche zur Geltung gebracht, die ihm auf ganz Deutsch¬
land zustünden. Der Minister Lionel schickte den allzu offenherzigen Parla-
mentsauwalt einige Zeit in die Bastille, weil die Schrift in Deutschland großes
und unliebsames Aufsehen hervorrief; aber daß d'Aubery die letzten Ziele der
französischen Staatskunst vollkommen wahrheitsgemäß geschildert hatte, unter¬
liegt keinem Zweifel.

Wenn man dies alles erwägt, so versteht man erst den eigentlichen Grund¬
gedanken Ludwigs XIV. bei seinen berüchtigten Reuniouen: sie waren seiner
Auffassung nach keineswegs Gewaltmaßregeln, sondern sie verhalfen ihm nur
»u einem Teil seiner Rechte. Diese Rechte waren aber erst denn vollständig
zur Geltung gebracht, wenn ihm Deutschland selbst unterworfen war. Wie
treffend hat sich also Friedrich Strauß 1870 ausgedrückt, als er in seinem
bekannten Streitschriftenwechsel mit Ernst Renan sagte: wir bekämpfen noch
immer Ludwig XIV.! In der That, dieser König verkörpert in sich die na-
twnalfranzösische Ansicht von den Beziehungen Deutschlands und Frankreichs.

Es liegt auf der Hand, daß die deutscheu Rcichsfttrsten von einer Politik,
die auf die Herstellung einer wirklichen monarchischen Kaisergewalt gerichtet
war, unmöglich sehr erbaut sein konnten. Die ihnen über alles teure fürst¬
liche „Libertät" wurde an der Wurzel getroffen, wenn Ludwig XIV. seine
Pläne durchsetzte. Durch solche Erwägungen mußten sie veranlaßt werden,
sich näher nu das Haus Habsburg anzuschließen. Aber andrerseits verfolgte


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[0409] Deutschen gebühre, sondern den Königen, die in Reims gekrönt werden. Die Deutschen haben das Kaisertum gänzlich verkommen lassen; es ist seiner wehend-' lichen Befugnisse beraubt worden, und die Kaiser sind nichts mehr als die Geueralkapitäne einer deutscheu Republik. Nur ein Herrscher von der Macht des französischen .Königs kann die Kaiserwürde wieder zu Ehren bringen und ihr die alte monarchische Kraft wiedergeben. Demgemäß gilt es, die deutscheu Fürsten an Frankreich zu ketten und die Habsburger langsam aus ihrer jetzigen Stellung zu verdrängen. Wie der König, so seine Publizisten. Unter Ludwig XIII. hatte der königliche Rat Jacques de Cassan in seiner 1632 erschienenen Schrift: I>g> rsollsrelis dös etroit« cku tlo^ se as Iir eourouns as I'rlmos ausgesprochen, daß der größte Teil der europäischen Staaten, Deutschland eingeschlossen, un¬ rechtmäßig der französischen Krone entfremdete Gebiete seien. Jetzt erklärte der Anwalt am Pariser Parlament, d'Aubery, 1667: von Rechts wegen seien Deutsche und Franzoseu ein einziges Volk, wie sie eS unter den Mero- wingern und Karolingern gewesen seien. Der rechtmäßige Erbe der Karo¬ linger aber sei Hugo Capet; seinen Nachkommen gebühre also Reich und Kaisertum, die vou den derzeitigen Trägern schmachvoll entstellt worden seien. Der wahre Herrscher im Sinne der ursprünglichen Weltordnung sei der König von Frankreich, und wenn diesem jetzt das Elsaß zurückgegeben worden sei, so habe es damit nicht etwa eine neue Eroberung gemacht, sondern nur einen kleinen Teil der Ansprüche zur Geltung gebracht, die ihm auf ganz Deutsch¬ land zustünden. Der Minister Lionel schickte den allzu offenherzigen Parla- mentsauwalt einige Zeit in die Bastille, weil die Schrift in Deutschland großes und unliebsames Aufsehen hervorrief; aber daß d'Aubery die letzten Ziele der französischen Staatskunst vollkommen wahrheitsgemäß geschildert hatte, unter¬ liegt keinem Zweifel. Wenn man dies alles erwägt, so versteht man erst den eigentlichen Grund¬ gedanken Ludwigs XIV. bei seinen berüchtigten Reuniouen: sie waren seiner Auffassung nach keineswegs Gewaltmaßregeln, sondern sie verhalfen ihm nur »u einem Teil seiner Rechte. Diese Rechte waren aber erst denn vollständig zur Geltung gebracht, wenn ihm Deutschland selbst unterworfen war. Wie treffend hat sich also Friedrich Strauß 1870 ausgedrückt, als er in seinem bekannten Streitschriftenwechsel mit Ernst Renan sagte: wir bekämpfen noch immer Ludwig XIV.! In der That, dieser König verkörpert in sich die na- twnalfranzösische Ansicht von den Beziehungen Deutschlands und Frankreichs. Es liegt auf der Hand, daß die deutscheu Rcichsfttrsten von einer Politik, die auf die Herstellung einer wirklichen monarchischen Kaisergewalt gerichtet war, unmöglich sehr erbaut sein konnten. Die ihnen über alles teure fürst¬ liche „Libertät" wurde an der Wurzel getroffen, wenn Ludwig XIV. seine Pläne durchsetzte. Durch solche Erwägungen mußten sie veranlaßt werden, sich näher nu das Haus Habsburg anzuschließen. Aber andrerseits verfolgte Gren^oder 111 18W L>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/409>, abgerufen am 23.11.2024.