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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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An- Deutschlands trübster Zeit

liebsten Zeit unsrer Vergangenheit" hebe sich die nach 1648 noch günstig ab,
als die Zeit der Händel und Pufendorf, der Pietisten von Halle und der
Calixtiner, vor allem des großen Kurfürsten: "die Fanfaren der Trompeten
von Fehrbellin verkündeten der Welt, dies waffengewaltige Deutschland er¬
dreiste sich wieder der Herr zu fein im eignen Hause."

Man kann auch in diesen Worten Treitschkes den Kern von Wahrheit
finden, der auch in seinen paradoxesten Sätzen zu stecken Pflegt. Dennoch wird
man dabei bleiben müssen, daß es im sechzehnten Jahrhundert noch nicht so
weit war, daß unser Baterland das Schlachtfeld Europas wurde und ein Stück
nach dem andern von dem Körper des Reichs abgerissen werden konnte. Es
ist wahr, daß bald nach dem westfälischen Frieden die Arbeit der Wieder¬
aufrichtung des fast vernichteten deutscheu Staats begann; aber es kann doch
nicht bestritten werden, daß es über hundert Jahre gedauert hat, bis Preußen
so weit erstarkt war, daß sich nationale Hoffnungen an diesen Staat knüpfen
ließen, und daß sechs Jahre nach Fehrbellin das Lilienbanner über den Wallen
von Straßburg emporstieg, ohne daß der große Kurfürst, der damals Frank¬
reichs Verbündeter war, etwas dagegen thun wollte oder konnte.
'

Diese trübste Zeit nun, wo Frankreich seinen Fuß ans den Nacken
Europas und Deutschlands setzte, wird uns soeben von einem deutschen Histo¬
riker geschildert, der auch deu Lesern dieser Blätter kein Fremder ist,") Die
vierzig Jahre vom westfälische" Frieden bis zum Tode des großen Kurfürsten
machen den Inhalt des ersten Bandes aus. dem bald ein zweiter, die Jahre
von 1688 bis 1740 umfassend, folgen soll.

Man spricht in der Regel von dem westfälischen Frieden wie von einem Er¬
eignis, das an Stelle des langen Haders einen zwar teuer erkauften, aber
doch unzweifelhaften Friedenszustand gesetzt habe, und an dieser Auffassung
ist jn so viel richtig, daß der eigentliche Krieg mit seinen verheerenden Folgen
ein Ende nahm; aber ein allseitiger, wirklicher Friede trat in Deutschland
nicht ein. Wir sehen davon ab, daß die Fremden nur gegen bedeutende Zah¬
lungen (z. B. fünf Millionen Thaler an die Schweden) Deutschlnud räumten,
wobei ein Generalissimus wohl 80000, ein Feldmarschall 40000 Thaler als
conksntöinönt erhielt, und daß die Räumung wegen der Schwierigkeit des
Zählens nur sehr laugsam von statte" ging. Wichtiger war, daß sich Spanien
an dem Frieden nicht beteiligte, sondern den Kampf gegen Frankreich fortsetzte
und sich deshalb weigerte, das von ihm seit 1623 besetzt gehaltene Franken¬
thal (in der linksrheinischen Pfalz) herauszugeben. Sofort erhoben die Fran¬
zosen den Anspruch, daß ihnen als Gegengewicht ein andrer deutscher Platz,
etwa der Ehrenbreitstein, eingeräumt werde. Am schwersten aber wog, daß



^) Erdmailiisdörfser, Deutsche Geschichte vom westfälischen Frieden bis zum Re-
gierungsantritt Friedrichs des Großen, Erster Bund. Berlin, G. Grvie, 1893.
An- Deutschlands trübster Zeit

liebsten Zeit unsrer Vergangenheit" hebe sich die nach 1648 noch günstig ab,
als die Zeit der Händel und Pufendorf, der Pietisten von Halle und der
Calixtiner, vor allem des großen Kurfürsten: „die Fanfaren der Trompeten
von Fehrbellin verkündeten der Welt, dies waffengewaltige Deutschland er¬
dreiste sich wieder der Herr zu fein im eignen Hause."

Man kann auch in diesen Worten Treitschkes den Kern von Wahrheit
finden, der auch in seinen paradoxesten Sätzen zu stecken Pflegt. Dennoch wird
man dabei bleiben müssen, daß es im sechzehnten Jahrhundert noch nicht so
weit war, daß unser Baterland das Schlachtfeld Europas wurde und ein Stück
nach dem andern von dem Körper des Reichs abgerissen werden konnte. Es
ist wahr, daß bald nach dem westfälischen Frieden die Arbeit der Wieder¬
aufrichtung des fast vernichteten deutscheu Staats begann; aber es kann doch
nicht bestritten werden, daß es über hundert Jahre gedauert hat, bis Preußen
so weit erstarkt war, daß sich nationale Hoffnungen an diesen Staat knüpfen
ließen, und daß sechs Jahre nach Fehrbellin das Lilienbanner über den Wallen
von Straßburg emporstieg, ohne daß der große Kurfürst, der damals Frank¬
reichs Verbündeter war, etwas dagegen thun wollte oder konnte.
'

Diese trübste Zeit nun, wo Frankreich seinen Fuß ans den Nacken
Europas und Deutschlands setzte, wird uns soeben von einem deutschen Histo¬
riker geschildert, der auch deu Lesern dieser Blätter kein Fremder ist,") Die
vierzig Jahre vom westfälische» Frieden bis zum Tode des großen Kurfürsten
machen den Inhalt des ersten Bandes aus. dem bald ein zweiter, die Jahre
von 1688 bis 1740 umfassend, folgen soll.

Man spricht in der Regel von dem westfälischen Frieden wie von einem Er¬
eignis, das an Stelle des langen Haders einen zwar teuer erkauften, aber
doch unzweifelhaften Friedenszustand gesetzt habe, und an dieser Auffassung
ist jn so viel richtig, daß der eigentliche Krieg mit seinen verheerenden Folgen
ein Ende nahm; aber ein allseitiger, wirklicher Friede trat in Deutschland
nicht ein. Wir sehen davon ab, daß die Fremden nur gegen bedeutende Zah¬
lungen (z. B. fünf Millionen Thaler an die Schweden) Deutschlnud räumten,
wobei ein Generalissimus wohl 80000, ein Feldmarschall 40000 Thaler als
conksntöinönt erhielt, und daß die Räumung wegen der Schwierigkeit des
Zählens nur sehr laugsam von statte» ging. Wichtiger war, daß sich Spanien
an dem Frieden nicht beteiligte, sondern den Kampf gegen Frankreich fortsetzte
und sich deshalb weigerte, das von ihm seit 1623 besetzt gehaltene Franken¬
thal (in der linksrheinischen Pfalz) herauszugeben. Sofort erhoben die Fran¬
zosen den Anspruch, daß ihnen als Gegengewicht ein andrer deutscher Platz,
etwa der Ehrenbreitstein, eingeräumt werde. Am schwersten aber wog, daß



^) Erdmailiisdörfser, Deutsche Geschichte vom westfälischen Frieden bis zum Re-
gierungsantritt Friedrichs des Großen, Erster Bund. Berlin, G. Grvie, 1893.
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[0406] An- Deutschlands trübster Zeit liebsten Zeit unsrer Vergangenheit" hebe sich die nach 1648 noch günstig ab, als die Zeit der Händel und Pufendorf, der Pietisten von Halle und der Calixtiner, vor allem des großen Kurfürsten: „die Fanfaren der Trompeten von Fehrbellin verkündeten der Welt, dies waffengewaltige Deutschland er¬ dreiste sich wieder der Herr zu fein im eignen Hause." Man kann auch in diesen Worten Treitschkes den Kern von Wahrheit finden, der auch in seinen paradoxesten Sätzen zu stecken Pflegt. Dennoch wird man dabei bleiben müssen, daß es im sechzehnten Jahrhundert noch nicht so weit war, daß unser Baterland das Schlachtfeld Europas wurde und ein Stück nach dem andern von dem Körper des Reichs abgerissen werden konnte. Es ist wahr, daß bald nach dem westfälischen Frieden die Arbeit der Wieder¬ aufrichtung des fast vernichteten deutscheu Staats begann; aber es kann doch nicht bestritten werden, daß es über hundert Jahre gedauert hat, bis Preußen so weit erstarkt war, daß sich nationale Hoffnungen an diesen Staat knüpfen ließen, und daß sechs Jahre nach Fehrbellin das Lilienbanner über den Wallen von Straßburg emporstieg, ohne daß der große Kurfürst, der damals Frank¬ reichs Verbündeter war, etwas dagegen thun wollte oder konnte. ' Diese trübste Zeit nun, wo Frankreich seinen Fuß ans den Nacken Europas und Deutschlands setzte, wird uns soeben von einem deutschen Histo¬ riker geschildert, der auch deu Lesern dieser Blätter kein Fremder ist,") Die vierzig Jahre vom westfälische» Frieden bis zum Tode des großen Kurfürsten machen den Inhalt des ersten Bandes aus. dem bald ein zweiter, die Jahre von 1688 bis 1740 umfassend, folgen soll. Man spricht in der Regel von dem westfälischen Frieden wie von einem Er¬ eignis, das an Stelle des langen Haders einen zwar teuer erkauften, aber doch unzweifelhaften Friedenszustand gesetzt habe, und an dieser Auffassung ist jn so viel richtig, daß der eigentliche Krieg mit seinen verheerenden Folgen ein Ende nahm; aber ein allseitiger, wirklicher Friede trat in Deutschland nicht ein. Wir sehen davon ab, daß die Fremden nur gegen bedeutende Zah¬ lungen (z. B. fünf Millionen Thaler an die Schweden) Deutschlnud räumten, wobei ein Generalissimus wohl 80000, ein Feldmarschall 40000 Thaler als conksntöinönt erhielt, und daß die Räumung wegen der Schwierigkeit des Zählens nur sehr laugsam von statte» ging. Wichtiger war, daß sich Spanien an dem Frieden nicht beteiligte, sondern den Kampf gegen Frankreich fortsetzte und sich deshalb weigerte, das von ihm seit 1623 besetzt gehaltene Franken¬ thal (in der linksrheinischen Pfalz) herauszugeben. Sofort erhoben die Fran¬ zosen den Anspruch, daß ihnen als Gegengewicht ein andrer deutscher Platz, etwa der Ehrenbreitstein, eingeräumt werde. Am schwersten aber wog, daß ^) Erdmailiisdörfser, Deutsche Geschichte vom westfälischen Frieden bis zum Re- gierungsantritt Friedrichs des Großen, Erster Bund. Berlin, G. Grvie, 1893.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/406>, abgerufen am 24.11.2024.