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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lharles Ringsley als Dichter und Sozialreformor

Absicht, die Gebildeten aufzuklären, erfüllt sah, noch ehe der Roman als Buch
erschienen war. Der Versasser wurde für einen xrg,Le,i<Ziu ÄAriou1t>nri8t, ge¬
halten, und ein Kritiker sagt: it8 viviä as8eriptioir ok llelcl sxorts xrovscl 80
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?sast ist kein Roman im landläufigen Sinne. Die eigentliche Geschichte
bildet nur das weite Rahmenwerk, in das der Dichter ein reiches, oft ver¬
wickeltes Gewebe von Ideen, Selbstbekenntnissen und Stimmungen hinein-
gcflochten hat. I6g.8t> bedeutet Gischt, Hefe, Gährstosf; einen kräftig wirkenden
Gährstoff wollte Kingsley mit seiner Erzählung in die Herzen und in die
Geister seiner Landsleute legen. Die oberflächliche Erziehung der englischen
Jugend, das raffinirte, geistlose, selbstsüchtige Leben der Besitzenden und, im
Gegensatz dazu, das armselige, rohe, fast tierische der arbeitenden Klassen, ins¬
besondre der Landbevölkerung, der tote Buchstabenglaube und kaltherzige For¬
malismus der englischen Kirche und die damals unter mystisch angelegten
Naturen um sich greifende Neigung, den Protestantismus zu verlassen und in
den Schoß der allein seligmachenden Kirche zurückzukehren -- diese Erschei¬
nungen bilden den eigentlichen Stoff des Romans. Kein Wunder, daß der
künstlerische Aufbau der Geschichte unter der Fülle der Reflexionen und durch
die verschiedenartigen, sich kreuzenden Reformgedanken leidet. Auch die Cha-
rakterzeichnuugen sind nicht scharf und packend ausgefallen. Viele Züge,
z. B. die sehr wichtigen aus den sittlichen Verirrungen des Helden Lancelot
Smith, werdeu nur flüchtig angedeutet, viele, z. B. bei Lancelots Freunde,
dem Obersten Braeebridge, sind unklar und offenbar verzeichnet. Der Roman
ist Bruchstück geblieben. Kingsleh selbst hat diese Fehler wohl erkannt. In
dem Epilog, worin er die meisten Angriffe der Kritik vorweggenommen
hat, spricht er: Ich habe, soweit es in mir lag, den Anfang meines Problems
dargelegt; weise Männer werden nach diesen Anfängen sicher nicht weit nach
dem Schluß auszuschauen haben. In einfachem Englisch: ich habe meinen
Lesern Hefe gegeben. Wenn sie so sind, wie ich denke, können sie selbst
damit backen.

Die Handlung ist folgende. Der dreiuudzwnnzigjährige Lancelot Smith
hat als Sohn eines reichen Kaufmanns eine ganz ungeordnete und oberfläch¬
liche Erziehung genossen. Er ist durch und durch Epikureer. Die materia¬
listische Weltanschauung ist seine Religion. Die sogenannte Wertherstation, das
sentimentale Maserfieber, das alle gescheiten Männer einmal im Leben be¬
kommen müssen, hat er früh überwunden. Byron und Shelley befriedigen
ihn nicht mehr, auch Bulwer fesselt ihn nicht lange. Soweit es die Pflichten
des Sports erlauben, treibt er naturwissenschaftliche und klassische Studien.


Lharles Ringsley als Dichter und Sozialreformor

Absicht, die Gebildeten aufzuklären, erfüllt sah, noch ehe der Roman als Buch
erschienen war. Der Versasser wurde für einen xrg,Le,i<Ziu ÄAriou1t>nri8t, ge¬
halten, und ein Kritiker sagt: it8 viviä as8eriptioir ok llelcl sxorts xrovscl 80
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?sast ist kein Roman im landläufigen Sinne. Die eigentliche Geschichte
bildet nur das weite Rahmenwerk, in das der Dichter ein reiches, oft ver¬
wickeltes Gewebe von Ideen, Selbstbekenntnissen und Stimmungen hinein-
gcflochten hat. I6g.8t> bedeutet Gischt, Hefe, Gährstosf; einen kräftig wirkenden
Gährstoff wollte Kingsley mit seiner Erzählung in die Herzen und in die
Geister seiner Landsleute legen. Die oberflächliche Erziehung der englischen
Jugend, das raffinirte, geistlose, selbstsüchtige Leben der Besitzenden und, im
Gegensatz dazu, das armselige, rohe, fast tierische der arbeitenden Klassen, ins¬
besondre der Landbevölkerung, der tote Buchstabenglaube und kaltherzige For¬
malismus der englischen Kirche und die damals unter mystisch angelegten
Naturen um sich greifende Neigung, den Protestantismus zu verlassen und in
den Schoß der allein seligmachenden Kirche zurückzukehren — diese Erschei¬
nungen bilden den eigentlichen Stoff des Romans. Kein Wunder, daß der
künstlerische Aufbau der Geschichte unter der Fülle der Reflexionen und durch
die verschiedenartigen, sich kreuzenden Reformgedanken leidet. Auch die Cha-
rakterzeichnuugen sind nicht scharf und packend ausgefallen. Viele Züge,
z. B. die sehr wichtigen aus den sittlichen Verirrungen des Helden Lancelot
Smith, werdeu nur flüchtig angedeutet, viele, z. B. bei Lancelots Freunde,
dem Obersten Braeebridge, sind unklar und offenbar verzeichnet. Der Roman
ist Bruchstück geblieben. Kingsleh selbst hat diese Fehler wohl erkannt. In
dem Epilog, worin er die meisten Angriffe der Kritik vorweggenommen
hat, spricht er: Ich habe, soweit es in mir lag, den Anfang meines Problems
dargelegt; weise Männer werden nach diesen Anfängen sicher nicht weit nach
dem Schluß auszuschauen haben. In einfachem Englisch: ich habe meinen
Lesern Hefe gegeben. Wenn sie so sind, wie ich denke, können sie selbst
damit backen.

Die Handlung ist folgende. Der dreiuudzwnnzigjährige Lancelot Smith
hat als Sohn eines reichen Kaufmanns eine ganz ungeordnete und oberfläch¬
liche Erziehung genossen. Er ist durch und durch Epikureer. Die materia¬
listische Weltanschauung ist seine Religion. Die sogenannte Wertherstation, das
sentimentale Maserfieber, das alle gescheiten Männer einmal im Leben be¬
kommen müssen, hat er früh überwunden. Byron und Shelley befriedigen
ihn nicht mehr, auch Bulwer fesselt ihn nicht lange. Soweit es die Pflichten
des Sports erlauben, treibt er naturwissenschaftliche und klassische Studien.


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[0364] Lharles Ringsley als Dichter und Sozialreformor Absicht, die Gebildeten aufzuklären, erfüllt sah, noch ehe der Roman als Buch erschienen war. Der Versasser wurde für einen xrg,Le,i<Ziu ÄAriou1t>nri8t, ge¬ halten, und ein Kritiker sagt: it8 viviä as8eriptioir ok llelcl sxorts xrovscl 80 g,ttraotivs to 8vino rskulsi'8, tu^t 0lito«zr8 in eilf c>,rra^, rsturninA' trou koreiAir ssrvieE, vvoulcl Zo 8traiAllt ta Lver8is^ to 8es vieil tllsir o^vu s^<Z8 s.nel llgg-r vnd tusir von SÄi'8 leis pg,rsc>u ^vero «zoulcl givs 8V.0I1 ^ picturs c>k IruntinA 8LSU6 !>,8 ditto 0IUZ in tho oxvninA oll^ztsr ok ?«ZÄ8t. ?sast ist kein Roman im landläufigen Sinne. Die eigentliche Geschichte bildet nur das weite Rahmenwerk, in das der Dichter ein reiches, oft ver¬ wickeltes Gewebe von Ideen, Selbstbekenntnissen und Stimmungen hinein- gcflochten hat. I6g.8t> bedeutet Gischt, Hefe, Gährstosf; einen kräftig wirkenden Gährstoff wollte Kingsley mit seiner Erzählung in die Herzen und in die Geister seiner Landsleute legen. Die oberflächliche Erziehung der englischen Jugend, das raffinirte, geistlose, selbstsüchtige Leben der Besitzenden und, im Gegensatz dazu, das armselige, rohe, fast tierische der arbeitenden Klassen, ins¬ besondre der Landbevölkerung, der tote Buchstabenglaube und kaltherzige For¬ malismus der englischen Kirche und die damals unter mystisch angelegten Naturen um sich greifende Neigung, den Protestantismus zu verlassen und in den Schoß der allein seligmachenden Kirche zurückzukehren — diese Erschei¬ nungen bilden den eigentlichen Stoff des Romans. Kein Wunder, daß der künstlerische Aufbau der Geschichte unter der Fülle der Reflexionen und durch die verschiedenartigen, sich kreuzenden Reformgedanken leidet. Auch die Cha- rakterzeichnuugen sind nicht scharf und packend ausgefallen. Viele Züge, z. B. die sehr wichtigen aus den sittlichen Verirrungen des Helden Lancelot Smith, werdeu nur flüchtig angedeutet, viele, z. B. bei Lancelots Freunde, dem Obersten Braeebridge, sind unklar und offenbar verzeichnet. Der Roman ist Bruchstück geblieben. Kingsleh selbst hat diese Fehler wohl erkannt. In dem Epilog, worin er die meisten Angriffe der Kritik vorweggenommen hat, spricht er: Ich habe, soweit es in mir lag, den Anfang meines Problems dargelegt; weise Männer werden nach diesen Anfängen sicher nicht weit nach dem Schluß auszuschauen haben. In einfachem Englisch: ich habe meinen Lesern Hefe gegeben. Wenn sie so sind, wie ich denke, können sie selbst damit backen. Die Handlung ist folgende. Der dreiuudzwnnzigjährige Lancelot Smith hat als Sohn eines reichen Kaufmanns eine ganz ungeordnete und oberfläch¬ liche Erziehung genossen. Er ist durch und durch Epikureer. Die materia¬ listische Weltanschauung ist seine Religion. Die sogenannte Wertherstation, das sentimentale Maserfieber, das alle gescheiten Männer einmal im Leben be¬ kommen müssen, hat er früh überwunden. Byron und Shelley befriedigen ihn nicht mehr, auch Bulwer fesselt ihn nicht lange. Soweit es die Pflichten des Sports erlauben, treibt er naturwissenschaftliche und klassische Studien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/364>, abgerufen am 24.11.2024.