Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Die ätherische Volksmoral im Drama aus. Jetzt reißt dem braven Äschincs die Geduld, er giebt der Dirne zwei Die Stücke des Aristophanes spielen sämtlich in den Kreisen von Klein¬
Und Trygaios, der auf einem Mistkäfer, dem für den Bauern passenden Flügel¬ Und die dreigezackte Karste leuchtet blank im Sonnenlicht; Die Bauern, ja die Bauern allein sind es auch gewesen, die ihm geholfen Die ätherische Volksmoral im Drama aus. Jetzt reißt dem braven Äschincs die Geduld, er giebt der Dirne zwei Die Stücke des Aristophanes spielen sämtlich in den Kreisen von Klein¬
Und Trygaios, der auf einem Mistkäfer, dem für den Bauern passenden Flügel¬ Und die dreigezackte Karste leuchtet blank im Sonnenlicht; Die Bauern, ja die Bauern allein sind es auch gewesen, die ihm geholfen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215446"/> <fw type="header" place="top"> Die ätherische Volksmoral im Drama</fw><lb/> <p xml:id="ID_1251" prev="#ID_1250"> aus. Jetzt reißt dem braven Äschincs die Geduld, er giebt der Dirne zwei<lb/> Ohrfeigen, sodaß sie heulend hinausstürzt; dann wartet er zwei Monate, sich<lb/> grämend, auf ihre reuige Wiederkehr, und da sie nicht kommt, geht er zu<lb/> Schiffe, um ins Söldnerheer des Äghptcrkönigs einzutreten. Das könnte, ab¬<lb/> gesehen von den veränderten Militärverhültnisscn, ebensogut Äirnv 1893 x.<lb/> dürr. n. in Holstein wie um 250 auf Sizilien geschehen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1252"> Die Stücke des Aristophanes spielen sämtlich in den Kreisen von Klein¬<lb/> bürgern, Krämern und Bauern, die selber arbeiten, und deren Sklaven nicht<lb/> wesentlich anders zu ihnen stehen als unser Gesinde zur Herrschaft. Die<lb/> Achcirner, die wackern Marathonkämpser, sind hagebüchne Kohlenbrenner, denen<lb/> ihr Kohlenkorb das teuerste auf Erden ist; der von ihnen bedrohte Dikcnvpolis<lb/> schützt sich dadurch, daß er eiuen Kohlenkorb vorhält, den er zu durchbohren<lb/> droht, wenn sie ihn angreifen, wie in einer Verlornen und von Aristophanes<lb/> verspotteten Tragödie des Euripides Telephos sich des kleinen Orestes be¬<lb/> mächtigt, um vor Agamemnon sicher zu sein. „Weh — ruft einer der Kohlen¬<lb/> brenner—, auf mir lastet mein Alter schwer! Einst als ich, jung und kräftig,<lb/> meine Last Kohlen trug, da wäre mir ein Friedensvermittler nicht so leicht<lb/> entronnen." Die alten Marathonkämpfer sind nämlich selbstverständlich ganz<lb/> so wie unsre heutigen Kriegervereinler feurige Anhänger der Kriegspartei,<lb/> während Dikaiopolis, ein Bauer, mit allen aristophanischen Bauern den Frieden<lb/> will und, gleich unsern heutigen bairischen Landleuten, das Militär verwünscht,<lb/> samt dem Stadtleben, wozu er — das Stück spielt im peloponnesischen Kriege —<lb/> gezwungen ist.</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_1253"> Ich sinne, kritzle, rnpf am Barte, rechn' auch wohl</p> <p xml:id="ID_1254"> Und blick ins Feld hinaus; dem lieben Frieden hold</p> <p xml:id="ID_1255"> Und feind der Stadt, sehn' ich nach meinen Nachbarn mich.</p> <p xml:id="ID_1256"> Die rufen nimmer mir das: „taufet .Kohlen!" zu,</p> <p xml:id="ID_1257"> Noch „Essig" oder „Öl"; sie kennen nicht das „kauft!",</p> <p xml:id="ID_1258"> Sie bauen alles selbst; kein „kauft!" dnrchsttgt das Ohr.</p> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1259"> Und Trygaios, der auf einem Mistkäfer, dem für den Bauern passenden Flügel¬<lb/> roß, gen Himmel reitet, um nachzusehen, was die Götter sür eine verrückte<lb/> Wirtschaft treiben, daß es auf Erden gar so verdreht zugeht, wie liebt er den<lb/> Frieden und seine Ackerarbeit! Ja, bei Zeus, so begrüßt er die zur Friedeus¬<lb/> feier herbeieilenden Freunde, schön hergerichtet ist die Hacke, glänzend hell,</p><lb/> <quote> Und die dreigezackte Karste leuchtet blank im Sonnenlicht;<lb/> stattlich, traun, im Wechselreihen rage sie wie Reb und Baum!<lb/> Drum llerlangts auch mich so herzlich auf das Feld hinauszugehn<lb/> Und einmal mein Gütchen wieder umzuschaufeln mit dem Karst.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1260" next="#ID_1261"> Die Bauern, ja die Bauern allein sind es auch gewesen, die ihm geholfen<lb/> haben, die in einen Abgrund gestürzte Friedensgöttin wieder herauszuziehen,<lb/> während die Schwätzer der Volksversammlung, die politischen Streber, die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0356]
Die ätherische Volksmoral im Drama
aus. Jetzt reißt dem braven Äschincs die Geduld, er giebt der Dirne zwei
Ohrfeigen, sodaß sie heulend hinausstürzt; dann wartet er zwei Monate, sich
grämend, auf ihre reuige Wiederkehr, und da sie nicht kommt, geht er zu
Schiffe, um ins Söldnerheer des Äghptcrkönigs einzutreten. Das könnte, ab¬
gesehen von den veränderten Militärverhültnisscn, ebensogut Äirnv 1893 x.
dürr. n. in Holstein wie um 250 auf Sizilien geschehen sein.
Die Stücke des Aristophanes spielen sämtlich in den Kreisen von Klein¬
bürgern, Krämern und Bauern, die selber arbeiten, und deren Sklaven nicht
wesentlich anders zu ihnen stehen als unser Gesinde zur Herrschaft. Die
Achcirner, die wackern Marathonkämpser, sind hagebüchne Kohlenbrenner, denen
ihr Kohlenkorb das teuerste auf Erden ist; der von ihnen bedrohte Dikcnvpolis
schützt sich dadurch, daß er eiuen Kohlenkorb vorhält, den er zu durchbohren
droht, wenn sie ihn angreifen, wie in einer Verlornen und von Aristophanes
verspotteten Tragödie des Euripides Telephos sich des kleinen Orestes be¬
mächtigt, um vor Agamemnon sicher zu sein. „Weh — ruft einer der Kohlen¬
brenner—, auf mir lastet mein Alter schwer! Einst als ich, jung und kräftig,
meine Last Kohlen trug, da wäre mir ein Friedensvermittler nicht so leicht
entronnen." Die alten Marathonkämpfer sind nämlich selbstverständlich ganz
so wie unsre heutigen Kriegervereinler feurige Anhänger der Kriegspartei,
während Dikaiopolis, ein Bauer, mit allen aristophanischen Bauern den Frieden
will und, gleich unsern heutigen bairischen Landleuten, das Militär verwünscht,
samt dem Stadtleben, wozu er — das Stück spielt im peloponnesischen Kriege —
gezwungen ist.
Ich sinne, kritzle, rnpf am Barte, rechn' auch wohl
Und blick ins Feld hinaus; dem lieben Frieden hold
Und feind der Stadt, sehn' ich nach meinen Nachbarn mich.
Die rufen nimmer mir das: „taufet .Kohlen!" zu,
Noch „Essig" oder „Öl"; sie kennen nicht das „kauft!",
Sie bauen alles selbst; kein „kauft!" dnrchsttgt das Ohr.
Und Trygaios, der auf einem Mistkäfer, dem für den Bauern passenden Flügel¬
roß, gen Himmel reitet, um nachzusehen, was die Götter sür eine verrückte
Wirtschaft treiben, daß es auf Erden gar so verdreht zugeht, wie liebt er den
Frieden und seine Ackerarbeit! Ja, bei Zeus, so begrüßt er die zur Friedeus¬
feier herbeieilenden Freunde, schön hergerichtet ist die Hacke, glänzend hell,
Und die dreigezackte Karste leuchtet blank im Sonnenlicht;
stattlich, traun, im Wechselreihen rage sie wie Reb und Baum!
Drum llerlangts auch mich so herzlich auf das Feld hinauszugehn
Und einmal mein Gütchen wieder umzuschaufeln mit dem Karst.
Die Bauern, ja die Bauern allein sind es auch gewesen, die ihm geholfen
haben, die in einen Abgrund gestürzte Friedensgöttin wieder herauszuziehen,
während die Schwätzer der Volksversammlung, die politischen Streber, die
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