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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die ätherische Volksmoral im Drama

teils auf Ruhm und Anführerstcllen, teils auf Geldgewinn spekuliren, die
Waffenfabrikanten und Militärlieferanten sämtlich zum Kriege Hetzen.

Im Plutus wollen die armen Bauern dem blinden Reichtumsgott wieder
zum Augenlicht verhelfen, damit er die Güter gleichmäßig verleite oder wenigstens,
wie es sein ehrlicher Wille ist, nur den Rechtschaffnen Reichtum schenke und
nicht ihn, wie es gewöhnlich geschieht, an die Schurken verschleudere. Da be¬
lehrt Perla, die Göttin der Armut, diese Kurzsichtigen, daß sie davon gar
keinen Gewinn haben würden. Wenn alle gleich reich wären,


Dann range hinfort kein Sterblicher mehr nach Kunst und weiser Erkenntnis;
Und sind die beiden geschieden von euch, wo wird dann einer sich finden,
Der schmiedet das Erz, der zimmert das Schiff? Wer schneiderte, fertigte Ruder,
Wer schusterte, schafft' euch Ziegel aus Lehm, wer wallt' und gerbte die Felle,
Wer risse das Erdreich uns mit dem Pflug und gewönne die Frucht der Demeter,
Wär' euch unthätig zu leben vergönnt und dürstet ihr alles versäumen?

Schnack hin, Schnack her, meinen sie, das müßten dann alles die Knechte
machen! (Faulenzen und die Knechte arbeiten lassen, war also zwar das Ideal
manches Bauern, aber um 300 v. Chr. keineswegs Wirklichkeit im attischen
Ländchen.) Perla aber fragt spottend, woher sie denn die Knechte nehmen
würden, wenn jedermann reich wäre, und keiner sich auf ein so gefährliches
und schmähliches Gewerbe, wie der Menschenhandel sei, zu verlegen brauche?
Nicht das vorher geschilderte verderbliche Müssiggnngerlcben würde gewonnen
sein, wenn alle reich wären, sondern jeder würde dann noch mehr als bisher
selbst arbeiten müssen, weil es gar keine Knechte mehr geben würde; Armut
und Reichtum seien eins nicht ohne das andre denkbar, und wo alle gleich
reich seien, da seien alle gleich arm. Nur die Armut, nicht etwa die Bettel¬
armut, sondern jener geringe Vermögensgrad, der zum Arbeiten zwingt, schaffe
allen Reichtum. Gäbe es keine Armen, die ums Brot arbeiten müßten, fo
würde es keine Betten, keine Teppiche, keine Prachtgewünder, kein Salböl
mehr geben.


Was hilft nun einem der Reichtum noch, muß man dies alles entbehren?
Bei mir ist all das, was ihr begehrt, stets leicht zu beschaffen, ich selbst ja,
Ich sitze zur Seite dem HandwerkSmcinn als Herrscherin, treibe zur Arbeit
Ihn, daß er, gedrückt von Mangel und Not, sein tägliches Brot sich erwerbe.

Nicht bloß die Bauern also, sondern auch die städtischen Kleinbürger, die
Krämer und Handwerker, waren Leute, die selbst Hand anlegten, obwohl es
natürlich auch an größern Unternehmern nicht fehlte, die, wie der Gerber
Kleon, ihr Geschäft mit zahlreichen Sklaven fabrikmüßig betrieben. Daß die
zahlreichen Maler, Bildhauer und Kunsthandwerker ihre Meisterwerke nicht von
Sklaven anfertigen lassen konnten, versteht sich von selbst. Auch an freien
Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdienten, hat es
nicht gefehlt. Euripides Mutter war eine Genmsehändlerin, und in der Thes-


Die ätherische Volksmoral im Drama

teils auf Ruhm und Anführerstcllen, teils auf Geldgewinn spekuliren, die
Waffenfabrikanten und Militärlieferanten sämtlich zum Kriege Hetzen.

Im Plutus wollen die armen Bauern dem blinden Reichtumsgott wieder
zum Augenlicht verhelfen, damit er die Güter gleichmäßig verleite oder wenigstens,
wie es sein ehrlicher Wille ist, nur den Rechtschaffnen Reichtum schenke und
nicht ihn, wie es gewöhnlich geschieht, an die Schurken verschleudere. Da be¬
lehrt Perla, die Göttin der Armut, diese Kurzsichtigen, daß sie davon gar
keinen Gewinn haben würden. Wenn alle gleich reich wären,


Dann range hinfort kein Sterblicher mehr nach Kunst und weiser Erkenntnis;
Und sind die beiden geschieden von euch, wo wird dann einer sich finden,
Der schmiedet das Erz, der zimmert das Schiff? Wer schneiderte, fertigte Ruder,
Wer schusterte, schafft' euch Ziegel aus Lehm, wer wallt' und gerbte die Felle,
Wer risse das Erdreich uns mit dem Pflug und gewönne die Frucht der Demeter,
Wär' euch unthätig zu leben vergönnt und dürstet ihr alles versäumen?

Schnack hin, Schnack her, meinen sie, das müßten dann alles die Knechte
machen! (Faulenzen und die Knechte arbeiten lassen, war also zwar das Ideal
manches Bauern, aber um 300 v. Chr. keineswegs Wirklichkeit im attischen
Ländchen.) Perla aber fragt spottend, woher sie denn die Knechte nehmen
würden, wenn jedermann reich wäre, und keiner sich auf ein so gefährliches
und schmähliches Gewerbe, wie der Menschenhandel sei, zu verlegen brauche?
Nicht das vorher geschilderte verderbliche Müssiggnngerlcben würde gewonnen
sein, wenn alle reich wären, sondern jeder würde dann noch mehr als bisher
selbst arbeiten müssen, weil es gar keine Knechte mehr geben würde; Armut
und Reichtum seien eins nicht ohne das andre denkbar, und wo alle gleich
reich seien, da seien alle gleich arm. Nur die Armut, nicht etwa die Bettel¬
armut, sondern jener geringe Vermögensgrad, der zum Arbeiten zwingt, schaffe
allen Reichtum. Gäbe es keine Armen, die ums Brot arbeiten müßten, fo
würde es keine Betten, keine Teppiche, keine Prachtgewünder, kein Salböl
mehr geben.


Was hilft nun einem der Reichtum noch, muß man dies alles entbehren?
Bei mir ist all das, was ihr begehrt, stets leicht zu beschaffen, ich selbst ja,
Ich sitze zur Seite dem HandwerkSmcinn als Herrscherin, treibe zur Arbeit
Ihn, daß er, gedrückt von Mangel und Not, sein tägliches Brot sich erwerbe.

Nicht bloß die Bauern also, sondern auch die städtischen Kleinbürger, die
Krämer und Handwerker, waren Leute, die selbst Hand anlegten, obwohl es
natürlich auch an größern Unternehmern nicht fehlte, die, wie der Gerber
Kleon, ihr Geschäft mit zahlreichen Sklaven fabrikmüßig betrieben. Daß die
zahlreichen Maler, Bildhauer und Kunsthandwerker ihre Meisterwerke nicht von
Sklaven anfertigen lassen konnten, versteht sich von selbst. Auch an freien
Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdienten, hat es
nicht gefehlt. Euripides Mutter war eine Genmsehändlerin, und in der Thes-


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[0357] Die ätherische Volksmoral im Drama teils auf Ruhm und Anführerstcllen, teils auf Geldgewinn spekuliren, die Waffenfabrikanten und Militärlieferanten sämtlich zum Kriege Hetzen. Im Plutus wollen die armen Bauern dem blinden Reichtumsgott wieder zum Augenlicht verhelfen, damit er die Güter gleichmäßig verleite oder wenigstens, wie es sein ehrlicher Wille ist, nur den Rechtschaffnen Reichtum schenke und nicht ihn, wie es gewöhnlich geschieht, an die Schurken verschleudere. Da be¬ lehrt Perla, die Göttin der Armut, diese Kurzsichtigen, daß sie davon gar keinen Gewinn haben würden. Wenn alle gleich reich wären, Dann range hinfort kein Sterblicher mehr nach Kunst und weiser Erkenntnis; Und sind die beiden geschieden von euch, wo wird dann einer sich finden, Der schmiedet das Erz, der zimmert das Schiff? Wer schneiderte, fertigte Ruder, Wer schusterte, schafft' euch Ziegel aus Lehm, wer wallt' und gerbte die Felle, Wer risse das Erdreich uns mit dem Pflug und gewönne die Frucht der Demeter, Wär' euch unthätig zu leben vergönnt und dürstet ihr alles versäumen? Schnack hin, Schnack her, meinen sie, das müßten dann alles die Knechte machen! (Faulenzen und die Knechte arbeiten lassen, war also zwar das Ideal manches Bauern, aber um 300 v. Chr. keineswegs Wirklichkeit im attischen Ländchen.) Perla aber fragt spottend, woher sie denn die Knechte nehmen würden, wenn jedermann reich wäre, und keiner sich auf ein so gefährliches und schmähliches Gewerbe, wie der Menschenhandel sei, zu verlegen brauche? Nicht das vorher geschilderte verderbliche Müssiggnngerlcben würde gewonnen sein, wenn alle reich wären, sondern jeder würde dann noch mehr als bisher selbst arbeiten müssen, weil es gar keine Knechte mehr geben würde; Armut und Reichtum seien eins nicht ohne das andre denkbar, und wo alle gleich reich seien, da seien alle gleich arm. Nur die Armut, nicht etwa die Bettel¬ armut, sondern jener geringe Vermögensgrad, der zum Arbeiten zwingt, schaffe allen Reichtum. Gäbe es keine Armen, die ums Brot arbeiten müßten, fo würde es keine Betten, keine Teppiche, keine Prachtgewünder, kein Salböl mehr geben. Was hilft nun einem der Reichtum noch, muß man dies alles entbehren? Bei mir ist all das, was ihr begehrt, stets leicht zu beschaffen, ich selbst ja, Ich sitze zur Seite dem HandwerkSmcinn als Herrscherin, treibe zur Arbeit Ihn, daß er, gedrückt von Mangel und Not, sein tägliches Brot sich erwerbe. Nicht bloß die Bauern also, sondern auch die städtischen Kleinbürger, die Krämer und Handwerker, waren Leute, die selbst Hand anlegten, obwohl es natürlich auch an größern Unternehmern nicht fehlte, die, wie der Gerber Kleon, ihr Geschäft mit zahlreichen Sklaven fabrikmüßig betrieben. Daß die zahlreichen Maler, Bildhauer und Kunsthandwerker ihre Meisterwerke nicht von Sklaven anfertigen lassen konnten, versteht sich von selbst. Auch an freien Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdienten, hat es nicht gefehlt. Euripides Mutter war eine Genmsehändlerin, und in der Thes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/357>, abgerufen am 28.07.2024.