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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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cLoluccio Salittati

schonte damals Coluccio des Papstes Amt und Person mit seinem Urteil,
indem er ihn mit dem 44. Psalm auf den Richterstuhl des ewigen Gottes
verweist, aber sein Urteil über den päpstlichen Hos ist damit gesprochen: er
erscheint ihm als der stinkende Pfuhl aller Laster, aus dem er wie aus
der Unterwelt zum Licht und zum Leben flieht, um künftig seiner Familie,
den Freunden, dem Staate und vor allem seinen Studien zu leben. Er
übernahm das Amt eines zweiten Kanzlers zu Lucca mit acht Gulden
monatlichen Gehalts. In dieser Stellung fand er zum erstenmale Gelegen¬
heit, sich in die Verhältnisse und Geschäfte eines größer" freien Gemeinwesens
einzuleben.

Es ist interessant, zu beobachten, wie sich Colneeio in dieser Zeit allmäh¬
lich von der Nachahmung Petrarcas zu selbständigen" Gebahren losringt, ja
sogar, wenn auch in pietätvollster Weise, an den Meister selbst mit dem Prüf¬
stein der Kritik herantritt. Die Anfänge dazu liegen bereits in der römischen
Periode seines Lebens. Als Urban V. mit der Kurie in Rom weilt, wird
Petrarca immer und immer wieder von Colueciv aufgefordert, aus seiner Zu-
rückgezogenheit in Arqim bei Padua herbeizukommen und mit der ganzen Kraft
seines Namens und seines Geistes an der Befestigung des Papsttums in Rom
und an der Wiederherstellung dieser Stadt zu arbeiten. Und als Petrarca
doch nicht kommt, warnt er ihn, damit er nicht wegen seiner hartnäckigen
Zurückhaltung undankbar und anmaßend erscheine. Schärfer geht er mit
Petrarca ins Gericht, als dieser im Sommer 1W9 statt nach Rom zur Hoch¬
zeit der Prinzessin Violante nach Pavia, ins Kastell des Tyrannen Galeazzo
Visconti, gereist ist. Er schreibt an ihn: "Immer war mir deine Reise nach
Ligurien verdächtig, und schon lange fürchtete ich einen bösen Ausgang dieser
Unternehmung. Kranken Pflegt allerdings eine Ortsveründernng öfter angenehm
zu sein, wenn nämlich das Reiseziel eine ehrbare Erquickung bietet, aber nie¬
mand ist jemals so thöricht gewesen, daß er fröhlichen Herzens Böses gegen
Gutes eingetauscht hätte. Oder könnte es etwa deinen Geist ergötzen, zuzu¬
sehen, wie unglückliche Völker im Rachen solcher wütenden Bestien zerrissen
werden? Und magst du in der Residenz deines Galeazzo, die er sich in Pavia
erbaut hat, immerhin alles Großartige und Prächtige gesehen haben, magst
du die gigantische Masse dieses Kastells, die Schönheit der Gemälde, den Glanz
der Speisezimmer, die Pracht der Schlafzimmer, den kaiserlichen Anstrich des
ganzen Palastes samt der Üppigkeit der Mahlzeiten und dem Kleiderluxus be¬
wundert haben, so wirst du dich doch eines Schauders und eines still¬
schweigenden Nerdammungsurteils nicht haben erwehren können, wenn du
daran dachtest, daß alle diese Herrlichkeit dnrch Plünderung ganzer Völker und
unter den Thränen der Unglücklichen zusammengebracht worden ist. Und wer
wäre so gefühllos, daß er bei solchem Anblicke und solchen Gedanken nicht er¬
schüttert würde bis ins innerste Herz hinein? Er müßte ein Scheusal sein.


cLoluccio Salittati

schonte damals Coluccio des Papstes Amt und Person mit seinem Urteil,
indem er ihn mit dem 44. Psalm auf den Richterstuhl des ewigen Gottes
verweist, aber sein Urteil über den päpstlichen Hos ist damit gesprochen: er
erscheint ihm als der stinkende Pfuhl aller Laster, aus dem er wie aus
der Unterwelt zum Licht und zum Leben flieht, um künftig seiner Familie,
den Freunden, dem Staate und vor allem seinen Studien zu leben. Er
übernahm das Amt eines zweiten Kanzlers zu Lucca mit acht Gulden
monatlichen Gehalts. In dieser Stellung fand er zum erstenmale Gelegen¬
heit, sich in die Verhältnisse und Geschäfte eines größer« freien Gemeinwesens
einzuleben.

Es ist interessant, zu beobachten, wie sich Colneeio in dieser Zeit allmäh¬
lich von der Nachahmung Petrarcas zu selbständigen« Gebahren losringt, ja
sogar, wenn auch in pietätvollster Weise, an den Meister selbst mit dem Prüf¬
stein der Kritik herantritt. Die Anfänge dazu liegen bereits in der römischen
Periode seines Lebens. Als Urban V. mit der Kurie in Rom weilt, wird
Petrarca immer und immer wieder von Colueciv aufgefordert, aus seiner Zu-
rückgezogenheit in Arqim bei Padua herbeizukommen und mit der ganzen Kraft
seines Namens und seines Geistes an der Befestigung des Papsttums in Rom
und an der Wiederherstellung dieser Stadt zu arbeiten. Und als Petrarca
doch nicht kommt, warnt er ihn, damit er nicht wegen seiner hartnäckigen
Zurückhaltung undankbar und anmaßend erscheine. Schärfer geht er mit
Petrarca ins Gericht, als dieser im Sommer 1W9 statt nach Rom zur Hoch¬
zeit der Prinzessin Violante nach Pavia, ins Kastell des Tyrannen Galeazzo
Visconti, gereist ist. Er schreibt an ihn: „Immer war mir deine Reise nach
Ligurien verdächtig, und schon lange fürchtete ich einen bösen Ausgang dieser
Unternehmung. Kranken Pflegt allerdings eine Ortsveründernng öfter angenehm
zu sein, wenn nämlich das Reiseziel eine ehrbare Erquickung bietet, aber nie¬
mand ist jemals so thöricht gewesen, daß er fröhlichen Herzens Böses gegen
Gutes eingetauscht hätte. Oder könnte es etwa deinen Geist ergötzen, zuzu¬
sehen, wie unglückliche Völker im Rachen solcher wütenden Bestien zerrissen
werden? Und magst du in der Residenz deines Galeazzo, die er sich in Pavia
erbaut hat, immerhin alles Großartige und Prächtige gesehen haben, magst
du die gigantische Masse dieses Kastells, die Schönheit der Gemälde, den Glanz
der Speisezimmer, die Pracht der Schlafzimmer, den kaiserlichen Anstrich des
ganzen Palastes samt der Üppigkeit der Mahlzeiten und dem Kleiderluxus be¬
wundert haben, so wirst du dich doch eines Schauders und eines still¬
schweigenden Nerdammungsurteils nicht haben erwehren können, wenn du
daran dachtest, daß alle diese Herrlichkeit dnrch Plünderung ganzer Völker und
unter den Thränen der Unglücklichen zusammengebracht worden ist. Und wer
wäre so gefühllos, daß er bei solchem Anblicke und solchen Gedanken nicht er¬
schüttert würde bis ins innerste Herz hinein? Er müßte ein Scheusal sein.


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[0269] cLoluccio Salittati schonte damals Coluccio des Papstes Amt und Person mit seinem Urteil, indem er ihn mit dem 44. Psalm auf den Richterstuhl des ewigen Gottes verweist, aber sein Urteil über den päpstlichen Hos ist damit gesprochen: er erscheint ihm als der stinkende Pfuhl aller Laster, aus dem er wie aus der Unterwelt zum Licht und zum Leben flieht, um künftig seiner Familie, den Freunden, dem Staate und vor allem seinen Studien zu leben. Er übernahm das Amt eines zweiten Kanzlers zu Lucca mit acht Gulden monatlichen Gehalts. In dieser Stellung fand er zum erstenmale Gelegen¬ heit, sich in die Verhältnisse und Geschäfte eines größer« freien Gemeinwesens einzuleben. Es ist interessant, zu beobachten, wie sich Colneeio in dieser Zeit allmäh¬ lich von der Nachahmung Petrarcas zu selbständigen« Gebahren losringt, ja sogar, wenn auch in pietätvollster Weise, an den Meister selbst mit dem Prüf¬ stein der Kritik herantritt. Die Anfänge dazu liegen bereits in der römischen Periode seines Lebens. Als Urban V. mit der Kurie in Rom weilt, wird Petrarca immer und immer wieder von Colueciv aufgefordert, aus seiner Zu- rückgezogenheit in Arqim bei Padua herbeizukommen und mit der ganzen Kraft seines Namens und seines Geistes an der Befestigung des Papsttums in Rom und an der Wiederherstellung dieser Stadt zu arbeiten. Und als Petrarca doch nicht kommt, warnt er ihn, damit er nicht wegen seiner hartnäckigen Zurückhaltung undankbar und anmaßend erscheine. Schärfer geht er mit Petrarca ins Gericht, als dieser im Sommer 1W9 statt nach Rom zur Hoch¬ zeit der Prinzessin Violante nach Pavia, ins Kastell des Tyrannen Galeazzo Visconti, gereist ist. Er schreibt an ihn: „Immer war mir deine Reise nach Ligurien verdächtig, und schon lange fürchtete ich einen bösen Ausgang dieser Unternehmung. Kranken Pflegt allerdings eine Ortsveründernng öfter angenehm zu sein, wenn nämlich das Reiseziel eine ehrbare Erquickung bietet, aber nie¬ mand ist jemals so thöricht gewesen, daß er fröhlichen Herzens Böses gegen Gutes eingetauscht hätte. Oder könnte es etwa deinen Geist ergötzen, zuzu¬ sehen, wie unglückliche Völker im Rachen solcher wütenden Bestien zerrissen werden? Und magst du in der Residenz deines Galeazzo, die er sich in Pavia erbaut hat, immerhin alles Großartige und Prächtige gesehen haben, magst du die gigantische Masse dieses Kastells, die Schönheit der Gemälde, den Glanz der Speisezimmer, die Pracht der Schlafzimmer, den kaiserlichen Anstrich des ganzen Palastes samt der Üppigkeit der Mahlzeiten und dem Kleiderluxus be¬ wundert haben, so wirst du dich doch eines Schauders und eines still¬ schweigenden Nerdammungsurteils nicht haben erwehren können, wenn du daran dachtest, daß alle diese Herrlichkeit dnrch Plünderung ganzer Völker und unter den Thränen der Unglücklichen zusammengebracht worden ist. Und wer wäre so gefühllos, daß er bei solchem Anblicke und solchen Gedanken nicht er¬ schüttert würde bis ins innerste Herz hinein? Er müßte ein Scheusal sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/269>, abgerufen am 28.11.2024.