Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Loluccio Salutati

gräßlicher als der Tyrann selbst, wenn überhaupt hier noch eine Steigerung
denkbar ist, der bei solcher Vernichtung seiner Mitmenschen nicht bis ins Mark
hinein getroffen würde." Ein Fieber, das den heimkehrenden Petrarca befiel
und bis an den Rand des Grabes brachte, wird von Colnecio auf eben diese
Erschütterungen, die er in der Zwingburg des Tyrannen erlitten haben müsse,
zurückgeführt. Hier zeigt sich ein tiefgehender Gegensatz zwischen den beiden
Männern: Petrarcas antike republikanische Gesimiuug beruht auf bloßer schön¬
geistiger Schwärmerei, sie gilt für ihn nnr in der Theorie und hält ihn nicht
ub, mit den blutigsten Tyrannen, den Visconti in Mailand und andern in
Freundschaft zu leben. Bei dem ehrlichen Colnecio besteht zwischen Lehren
und Leben kein Gegensatz; was er für wahr und gut erkannt hat, das sucht
er auch im Leben zu verwirklichen.

Der Gegensatz der Lebensführung verschärfte sich, als sich Colnceio zu
Lucca in die Fülle politischer Geschäfte einlebte. Petrarca hatte ihm, als er
zum erstenmale in einem Briefe an Francesco Bruni den aufstrebenden Coluecio
grüßen ließ, eins gewünscht: reiMes. Darunter verstand Petrarca die Ruhe
der von ihm gewählten Zurückgezogenheit von allen gemeinen Geschäften, die
Muße für seine unnnterbrochne philosophische "Kontemplation," das andächtige
Lauschen auf die Regungen des eignen Genius. Der Begeisterung sür diese
recMös hatte Petrarca Ausdruck gegeben in dem berühmten Traktat: 1)s vita,
soliwria (Über das Leben in der Einsamkeit). Daß der Mensch auch handelnd
aus seiner Studierstube heraus ins Leben treten müsse, daß er auch Pflichten
gegen seine Mitmenschen zu erfüllen habe, dieser Gedanke lag dem geistigen
Aristokraten fern, aber Colnecio nahm ihn auf und setzte der Vier, solitiU'ig,
seinen leider unvollendeten Traktat gegenüber: of vio WsovmlM se oxsr^tivg,
(Über das Leben in der Gesellschaft und in der Thätigkeit).

Noch einmal wurde seine praktische Arbeit an dem Wohle seiner Mit¬
bürger durch Parteistreitigkeiten in Lucca unterbrochen, die ihn nötigten, die
Jahre 1372 und 1373 im heimatlichen Val ti Nievole zu verbringen. Dann
siedelte er Anfang 1374 in einflußreicher Stellung nach Florenz über. Damit
beginnt die zweite und wichtigere Hälfte seines Lebens, denn erst in Florenz
hat sich Colnecio zur vollen Größe seiner Persönlichkeit entfaltet. Viel dazu
trug die Stadt selbst bei.

Mau hat die Rolle, die Florenz im vierzehnten Jahrhundert in Italien
spielte, verglichen mit der Rolle Athens im Zeitalter des Perikles. Florenz
war damals die schönste und blühendste Stadt und zugleich die Lehrmeistern,
Italiens. Wenn die Abendsonne hinter den Lnccheserbergen unterging, ver¬
goldete sie allerdings damals noch nicht die majestätische Dvmkuppel der Arno-
stadt -- Brunellescho wölbte sie erst im folgenden Jahrhundert --, aber schon
ragte der Turm des Rathauses, das Meisterwerk des Arnvlfo del Cambio,
gigantisch in die blane Luft, von dem Zcdernmast, der ihn ins Unendliche zu


Loluccio Salutati

gräßlicher als der Tyrann selbst, wenn überhaupt hier noch eine Steigerung
denkbar ist, der bei solcher Vernichtung seiner Mitmenschen nicht bis ins Mark
hinein getroffen würde." Ein Fieber, das den heimkehrenden Petrarca befiel
und bis an den Rand des Grabes brachte, wird von Colnecio auf eben diese
Erschütterungen, die er in der Zwingburg des Tyrannen erlitten haben müsse,
zurückgeführt. Hier zeigt sich ein tiefgehender Gegensatz zwischen den beiden
Männern: Petrarcas antike republikanische Gesimiuug beruht auf bloßer schön¬
geistiger Schwärmerei, sie gilt für ihn nnr in der Theorie und hält ihn nicht
ub, mit den blutigsten Tyrannen, den Visconti in Mailand und andern in
Freundschaft zu leben. Bei dem ehrlichen Colnecio besteht zwischen Lehren
und Leben kein Gegensatz; was er für wahr und gut erkannt hat, das sucht
er auch im Leben zu verwirklichen.

Der Gegensatz der Lebensführung verschärfte sich, als sich Colnceio zu
Lucca in die Fülle politischer Geschäfte einlebte. Petrarca hatte ihm, als er
zum erstenmale in einem Briefe an Francesco Bruni den aufstrebenden Coluecio
grüßen ließ, eins gewünscht: reiMes. Darunter verstand Petrarca die Ruhe
der von ihm gewählten Zurückgezogenheit von allen gemeinen Geschäften, die
Muße für seine unnnterbrochne philosophische „Kontemplation," das andächtige
Lauschen auf die Regungen des eignen Genius. Der Begeisterung sür diese
recMös hatte Petrarca Ausdruck gegeben in dem berühmten Traktat: 1)s vita,
soliwria (Über das Leben in der Einsamkeit). Daß der Mensch auch handelnd
aus seiner Studierstube heraus ins Leben treten müsse, daß er auch Pflichten
gegen seine Mitmenschen zu erfüllen habe, dieser Gedanke lag dem geistigen
Aristokraten fern, aber Colnecio nahm ihn auf und setzte der Vier, solitiU'ig,
seinen leider unvollendeten Traktat gegenüber: of vio WsovmlM se oxsr^tivg,
(Über das Leben in der Gesellschaft und in der Thätigkeit).

Noch einmal wurde seine praktische Arbeit an dem Wohle seiner Mit¬
bürger durch Parteistreitigkeiten in Lucca unterbrochen, die ihn nötigten, die
Jahre 1372 und 1373 im heimatlichen Val ti Nievole zu verbringen. Dann
siedelte er Anfang 1374 in einflußreicher Stellung nach Florenz über. Damit
beginnt die zweite und wichtigere Hälfte seines Lebens, denn erst in Florenz
hat sich Colnecio zur vollen Größe seiner Persönlichkeit entfaltet. Viel dazu
trug die Stadt selbst bei.

Mau hat die Rolle, die Florenz im vierzehnten Jahrhundert in Italien
spielte, verglichen mit der Rolle Athens im Zeitalter des Perikles. Florenz
war damals die schönste und blühendste Stadt und zugleich die Lehrmeistern,
Italiens. Wenn die Abendsonne hinter den Lnccheserbergen unterging, ver¬
goldete sie allerdings damals noch nicht die majestätische Dvmkuppel der Arno-
stadt — Brunellescho wölbte sie erst im folgenden Jahrhundert —, aber schon
ragte der Turm des Rathauses, das Meisterwerk des Arnvlfo del Cambio,
gigantisch in die blane Luft, von dem Zcdernmast, der ihn ins Unendliche zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215360"/>
          <fw type="header" place="top"> Loluccio Salutati</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_947" prev="#ID_946"> gräßlicher als der Tyrann selbst, wenn überhaupt hier noch eine Steigerung<lb/>
denkbar ist, der bei solcher Vernichtung seiner Mitmenschen nicht bis ins Mark<lb/>
hinein getroffen würde." Ein Fieber, das den heimkehrenden Petrarca befiel<lb/>
und bis an den Rand des Grabes brachte, wird von Colnecio auf eben diese<lb/>
Erschütterungen, die er in der Zwingburg des Tyrannen erlitten haben müsse,<lb/>
zurückgeführt. Hier zeigt sich ein tiefgehender Gegensatz zwischen den beiden<lb/>
Männern: Petrarcas antike republikanische Gesimiuug beruht auf bloßer schön¬<lb/>
geistiger Schwärmerei, sie gilt für ihn nnr in der Theorie und hält ihn nicht<lb/>
ub, mit den blutigsten Tyrannen, den Visconti in Mailand und andern in<lb/>
Freundschaft zu leben. Bei dem ehrlichen Colnecio besteht zwischen Lehren<lb/>
und Leben kein Gegensatz; was er für wahr und gut erkannt hat, das sucht<lb/>
er auch im Leben zu verwirklichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_948"> Der Gegensatz der Lebensführung verschärfte sich, als sich Colnceio zu<lb/>
Lucca in die Fülle politischer Geschäfte einlebte. Petrarca hatte ihm, als er<lb/>
zum erstenmale in einem Briefe an Francesco Bruni den aufstrebenden Coluecio<lb/>
grüßen ließ, eins gewünscht: reiMes. Darunter verstand Petrarca die Ruhe<lb/>
der von ihm gewählten Zurückgezogenheit von allen gemeinen Geschäften, die<lb/>
Muße für seine unnnterbrochne philosophische &#x201E;Kontemplation," das andächtige<lb/>
Lauschen auf die Regungen des eignen Genius. Der Begeisterung sür diese<lb/>
recMös hatte Petrarca Ausdruck gegeben in dem berühmten Traktat: 1)s vita,<lb/>
soliwria (Über das Leben in der Einsamkeit). Daß der Mensch auch handelnd<lb/>
aus seiner Studierstube heraus ins Leben treten müsse, daß er auch Pflichten<lb/>
gegen seine Mitmenschen zu erfüllen habe, dieser Gedanke lag dem geistigen<lb/>
Aristokraten fern, aber Colnecio nahm ihn auf und setzte der Vier, solitiU'ig,<lb/>
seinen leider unvollendeten Traktat gegenüber: of vio WsovmlM se oxsr^tivg,<lb/>
(Über das Leben in der Gesellschaft und in der Thätigkeit).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_949"> Noch einmal wurde seine praktische Arbeit an dem Wohle seiner Mit¬<lb/>
bürger durch Parteistreitigkeiten in Lucca unterbrochen, die ihn nötigten, die<lb/>
Jahre 1372 und 1373 im heimatlichen Val ti Nievole zu verbringen. Dann<lb/>
siedelte er Anfang 1374 in einflußreicher Stellung nach Florenz über. Damit<lb/>
beginnt die zweite und wichtigere Hälfte seines Lebens, denn erst in Florenz<lb/>
hat sich Colnecio zur vollen Größe seiner Persönlichkeit entfaltet. Viel dazu<lb/>
trug die Stadt selbst bei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_950" next="#ID_951"> Mau hat die Rolle, die Florenz im vierzehnten Jahrhundert in Italien<lb/>
spielte, verglichen mit der Rolle Athens im Zeitalter des Perikles. Florenz<lb/>
war damals die schönste und blühendste Stadt und zugleich die Lehrmeistern,<lb/>
Italiens. Wenn die Abendsonne hinter den Lnccheserbergen unterging, ver¬<lb/>
goldete sie allerdings damals noch nicht die majestätische Dvmkuppel der Arno-<lb/>
stadt &#x2014; Brunellescho wölbte sie erst im folgenden Jahrhundert &#x2014;, aber schon<lb/>
ragte der Turm des Rathauses, das Meisterwerk des Arnvlfo del Cambio,<lb/>
gigantisch in die blane Luft, von dem Zcdernmast, der ihn ins Unendliche zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Loluccio Salutati gräßlicher als der Tyrann selbst, wenn überhaupt hier noch eine Steigerung denkbar ist, der bei solcher Vernichtung seiner Mitmenschen nicht bis ins Mark hinein getroffen würde." Ein Fieber, das den heimkehrenden Petrarca befiel und bis an den Rand des Grabes brachte, wird von Colnecio auf eben diese Erschütterungen, die er in der Zwingburg des Tyrannen erlitten haben müsse, zurückgeführt. Hier zeigt sich ein tiefgehender Gegensatz zwischen den beiden Männern: Petrarcas antike republikanische Gesimiuug beruht auf bloßer schön¬ geistiger Schwärmerei, sie gilt für ihn nnr in der Theorie und hält ihn nicht ub, mit den blutigsten Tyrannen, den Visconti in Mailand und andern in Freundschaft zu leben. Bei dem ehrlichen Colnecio besteht zwischen Lehren und Leben kein Gegensatz; was er für wahr und gut erkannt hat, das sucht er auch im Leben zu verwirklichen. Der Gegensatz der Lebensführung verschärfte sich, als sich Colnceio zu Lucca in die Fülle politischer Geschäfte einlebte. Petrarca hatte ihm, als er zum erstenmale in einem Briefe an Francesco Bruni den aufstrebenden Coluecio grüßen ließ, eins gewünscht: reiMes. Darunter verstand Petrarca die Ruhe der von ihm gewählten Zurückgezogenheit von allen gemeinen Geschäften, die Muße für seine unnnterbrochne philosophische „Kontemplation," das andächtige Lauschen auf die Regungen des eignen Genius. Der Begeisterung sür diese recMös hatte Petrarca Ausdruck gegeben in dem berühmten Traktat: 1)s vita, soliwria (Über das Leben in der Einsamkeit). Daß der Mensch auch handelnd aus seiner Studierstube heraus ins Leben treten müsse, daß er auch Pflichten gegen seine Mitmenschen zu erfüllen habe, dieser Gedanke lag dem geistigen Aristokraten fern, aber Colnecio nahm ihn auf und setzte der Vier, solitiU'ig, seinen leider unvollendeten Traktat gegenüber: of vio WsovmlM se oxsr^tivg, (Über das Leben in der Gesellschaft und in der Thätigkeit). Noch einmal wurde seine praktische Arbeit an dem Wohle seiner Mit¬ bürger durch Parteistreitigkeiten in Lucca unterbrochen, die ihn nötigten, die Jahre 1372 und 1373 im heimatlichen Val ti Nievole zu verbringen. Dann siedelte er Anfang 1374 in einflußreicher Stellung nach Florenz über. Damit beginnt die zweite und wichtigere Hälfte seines Lebens, denn erst in Florenz hat sich Colnecio zur vollen Größe seiner Persönlichkeit entfaltet. Viel dazu trug die Stadt selbst bei. Mau hat die Rolle, die Florenz im vierzehnten Jahrhundert in Italien spielte, verglichen mit der Rolle Athens im Zeitalter des Perikles. Florenz war damals die schönste und blühendste Stadt und zugleich die Lehrmeistern, Italiens. Wenn die Abendsonne hinter den Lnccheserbergen unterging, ver¬ goldete sie allerdings damals noch nicht die majestätische Dvmkuppel der Arno- stadt — Brunellescho wölbte sie erst im folgenden Jahrhundert —, aber schon ragte der Turm des Rathauses, das Meisterwerk des Arnvlfo del Cambio, gigantisch in die blane Luft, von dem Zcdernmast, der ihn ins Unendliche zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/270>, abgerufen am 24.11.2024.