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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Loluccio Salutati

Francesco Sforza von Grund aus zerstört und nie wieder aufgebaut. Als aber
seine Türme noch fest, seine Zinnen noch wohlbewehrt waren, wurde dort an:
16. Februar 1331 dem Piero Salutati in böser Zeit ein Sohn geboren, der
bei der Taufe in San Maria zu Pescia die Vornamen Lino Coluceio, beides
Kosenamen für Niccolo, erhielt, sodaß sein vollständiger Name lautete: Lino
Colueeio ti Piero dei Salutati. Ich sage, es war eine böse Zeit, und Co-
luecios Mutter wird den Taufgang des Sohnes mit banger Sorge im Herzen
verfolgt haben. Denn die Salutati nannten zwar manchen Hof und manches
Grundstück des Thals ihr eigen, und der Vater, Piero Salutati, war gleich
geschätzt als Kriegsmann wie als Bürger; aber er war fern von den Seinen
als heimatloser Flüchtling. Als ein Mann von entschiedet, guelsischer Ge¬
sinnung, d. h. von einer Gesinnung, die keinen Streit mit der Kirche suchte
und für ein freies, weder von einem kaiserlichen Statthalter, noch von einem
andern Tyrannen geknechtetes Bürgertum schwärmte, hatte er mit für den im
Jahre 1329 vollzoguen Anschluß der sieben Gemeinden des Thals an das
guelsische Florenz gewirkt; aber bereits im folgenden Jahre hatte der Tyrann
Spinola von Lucca mit andern Ortschaften auch das Kastell Stignano erobert
und die Häupter der Guelfen unbarmherzig in die Verdünnung getrieben. So
hatte auch Piero Weib und Kind, Hof und Acker verlassen müssen und hatte
jenseits des Avvennin in Bologna Zuflucht gefunden; ebendahin siedelte im
Frühling 1331 auch sein Weib mit den Kindern, darunter dem kaum zwei
Monate alten Coluccio über. So hatte denn das Schicksal schon ans sein
zartes Kindesalter den schlimmen Stempel der Verbannung gedrückt; Coluceio
mußte, wie einst Dante, das salzige Brot der Fremde essen, und auch weiter¬
hin sind ihm herbe Wechselfälle des Lebens nicht erspart geblieben. Doch
zunächst war er wohl geborgen. Denn der Stadtherr von Bologna, Taddeo
de' Pevoli, nahm den Vater Piero Salutati unter seiue Getreuen auf und
gab ihm für seine Dienste reichlichen Lohn. Und als Piero Salutati 1341
noch im kräftigsten Mannesalter gestorben war, nahmen sich Taddeo Pepoli
und seine beiden Söhne, Jacopo und Giovanni, in wahrhaft väterlicher Weise
der Hinterlassenen an. So erhielt Coluccio eine sorgfältige Bildung in den
sogenannten freien Künsten; entscheidend aber ster die Zukunft des geweckten
Knaben, der seine Altersgenossen frühzeitig an Kenntnissen und an Geschick
im Disputiren überragte, wurde die Unterweisung in Dialektik und Rhetorik
durch den damals in Bologna lebenden und lehrenden Pietro da Muglio.
Die viel später geschriebnen Briefe Coluccios an diesen Mann, voll von
wahrhaft rührender Anhänglichkeit und Verehrung, sind ein schönes Zeugnis
sür das gedeihliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Colnceio dankte
dem Muglio besonders die genaue Kenntnis der Tragödien und der Traktate
Senecas und damit die Einführung in die stoische Philosophie; vor allem
aber den Hinweis auf einen Mann, der, anch als Coluccio dem Wunsche seiner


Loluccio Salutati

Francesco Sforza von Grund aus zerstört und nie wieder aufgebaut. Als aber
seine Türme noch fest, seine Zinnen noch wohlbewehrt waren, wurde dort an:
16. Februar 1331 dem Piero Salutati in böser Zeit ein Sohn geboren, der
bei der Taufe in San Maria zu Pescia die Vornamen Lino Coluceio, beides
Kosenamen für Niccolo, erhielt, sodaß sein vollständiger Name lautete: Lino
Colueeio ti Piero dei Salutati. Ich sage, es war eine böse Zeit, und Co-
luecios Mutter wird den Taufgang des Sohnes mit banger Sorge im Herzen
verfolgt haben. Denn die Salutati nannten zwar manchen Hof und manches
Grundstück des Thals ihr eigen, und der Vater, Piero Salutati, war gleich
geschätzt als Kriegsmann wie als Bürger; aber er war fern von den Seinen
als heimatloser Flüchtling. Als ein Mann von entschiedet, guelsischer Ge¬
sinnung, d. h. von einer Gesinnung, die keinen Streit mit der Kirche suchte
und für ein freies, weder von einem kaiserlichen Statthalter, noch von einem
andern Tyrannen geknechtetes Bürgertum schwärmte, hatte er mit für den im
Jahre 1329 vollzoguen Anschluß der sieben Gemeinden des Thals an das
guelsische Florenz gewirkt; aber bereits im folgenden Jahre hatte der Tyrann
Spinola von Lucca mit andern Ortschaften auch das Kastell Stignano erobert
und die Häupter der Guelfen unbarmherzig in die Verdünnung getrieben. So
hatte auch Piero Weib und Kind, Hof und Acker verlassen müssen und hatte
jenseits des Avvennin in Bologna Zuflucht gefunden; ebendahin siedelte im
Frühling 1331 auch sein Weib mit den Kindern, darunter dem kaum zwei
Monate alten Coluccio über. So hatte denn das Schicksal schon ans sein
zartes Kindesalter den schlimmen Stempel der Verbannung gedrückt; Coluceio
mußte, wie einst Dante, das salzige Brot der Fremde essen, und auch weiter¬
hin sind ihm herbe Wechselfälle des Lebens nicht erspart geblieben. Doch
zunächst war er wohl geborgen. Denn der Stadtherr von Bologna, Taddeo
de' Pevoli, nahm den Vater Piero Salutati unter seiue Getreuen auf und
gab ihm für seine Dienste reichlichen Lohn. Und als Piero Salutati 1341
noch im kräftigsten Mannesalter gestorben war, nahmen sich Taddeo Pepoli
und seine beiden Söhne, Jacopo und Giovanni, in wahrhaft väterlicher Weise
der Hinterlassenen an. So erhielt Coluccio eine sorgfältige Bildung in den
sogenannten freien Künsten; entscheidend aber ster die Zukunft des geweckten
Knaben, der seine Altersgenossen frühzeitig an Kenntnissen und an Geschick
im Disputiren überragte, wurde die Unterweisung in Dialektik und Rhetorik
durch den damals in Bologna lebenden und lehrenden Pietro da Muglio.
Die viel später geschriebnen Briefe Coluccios an diesen Mann, voll von
wahrhaft rührender Anhänglichkeit und Verehrung, sind ein schönes Zeugnis
sür das gedeihliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Colnceio dankte
dem Muglio besonders die genaue Kenntnis der Tragödien und der Traktate
Senecas und damit die Einführung in die stoische Philosophie; vor allem
aber den Hinweis auf einen Mann, der, anch als Coluccio dem Wunsche seiner


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[0263] Loluccio Salutati Francesco Sforza von Grund aus zerstört und nie wieder aufgebaut. Als aber seine Türme noch fest, seine Zinnen noch wohlbewehrt waren, wurde dort an: 16. Februar 1331 dem Piero Salutati in böser Zeit ein Sohn geboren, der bei der Taufe in San Maria zu Pescia die Vornamen Lino Coluceio, beides Kosenamen für Niccolo, erhielt, sodaß sein vollständiger Name lautete: Lino Colueeio ti Piero dei Salutati. Ich sage, es war eine böse Zeit, und Co- luecios Mutter wird den Taufgang des Sohnes mit banger Sorge im Herzen verfolgt haben. Denn die Salutati nannten zwar manchen Hof und manches Grundstück des Thals ihr eigen, und der Vater, Piero Salutati, war gleich geschätzt als Kriegsmann wie als Bürger; aber er war fern von den Seinen als heimatloser Flüchtling. Als ein Mann von entschiedet, guelsischer Ge¬ sinnung, d. h. von einer Gesinnung, die keinen Streit mit der Kirche suchte und für ein freies, weder von einem kaiserlichen Statthalter, noch von einem andern Tyrannen geknechtetes Bürgertum schwärmte, hatte er mit für den im Jahre 1329 vollzoguen Anschluß der sieben Gemeinden des Thals an das guelsische Florenz gewirkt; aber bereits im folgenden Jahre hatte der Tyrann Spinola von Lucca mit andern Ortschaften auch das Kastell Stignano erobert und die Häupter der Guelfen unbarmherzig in die Verdünnung getrieben. So hatte auch Piero Weib und Kind, Hof und Acker verlassen müssen und hatte jenseits des Avvennin in Bologna Zuflucht gefunden; ebendahin siedelte im Frühling 1331 auch sein Weib mit den Kindern, darunter dem kaum zwei Monate alten Coluccio über. So hatte denn das Schicksal schon ans sein zartes Kindesalter den schlimmen Stempel der Verbannung gedrückt; Coluceio mußte, wie einst Dante, das salzige Brot der Fremde essen, und auch weiter¬ hin sind ihm herbe Wechselfälle des Lebens nicht erspart geblieben. Doch zunächst war er wohl geborgen. Denn der Stadtherr von Bologna, Taddeo de' Pevoli, nahm den Vater Piero Salutati unter seiue Getreuen auf und gab ihm für seine Dienste reichlichen Lohn. Und als Piero Salutati 1341 noch im kräftigsten Mannesalter gestorben war, nahmen sich Taddeo Pepoli und seine beiden Söhne, Jacopo und Giovanni, in wahrhaft väterlicher Weise der Hinterlassenen an. So erhielt Coluccio eine sorgfältige Bildung in den sogenannten freien Künsten; entscheidend aber ster die Zukunft des geweckten Knaben, der seine Altersgenossen frühzeitig an Kenntnissen und an Geschick im Disputiren überragte, wurde die Unterweisung in Dialektik und Rhetorik durch den damals in Bologna lebenden und lehrenden Pietro da Muglio. Die viel später geschriebnen Briefe Coluccios an diesen Mann, voll von wahrhaft rührender Anhänglichkeit und Verehrung, sind ein schönes Zeugnis sür das gedeihliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Colnceio dankte dem Muglio besonders die genaue Kenntnis der Tragödien und der Traktate Senecas und damit die Einführung in die stoische Philosophie; vor allem aber den Hinweis auf einen Mann, der, anch als Coluccio dem Wunsche seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/263>, abgerufen am 23.11.2024.