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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Loluccio Salutati

all Lolueeio Llüuwti von Professor F. Novati*) gefolgt, eine in Ausstattung,
Druck, Anordnung und Vollständigkeit des Stoffes mustergiltige Veröffent¬
lichung, die uns einen der "führenden Geister" der Frührenaissance und damit
diese ganze interessante Zeit, in der schon einmal der Versuch gemacht wurde,
einen italischen Nationalstaat zu gründen, viel mimittelbarer und genauer
kennen lehrt, als es bisher der Fall war. Ergänzt wird der Inhalt dieses
Bandes durch ein vor fünf Jahren erschienenes Werkchen des Herausgebers
Novati, das die Jugendgeschichte Colueeios enthält. Der vorliegende Aufsatz
beruht im wesentlichen ans diesen beiden Büchern und glaubt sich trotz des
scheinbar entlegnen Stoffes an die Leser dieser Blätter wenden zu dürfe", weil
hier das allmähliche Werden eines der ersten modern empfindenden Menschen,
der überdies zu Petrarca in näherer Beziehung stand, gezeigt werden kann.

Wer von Florenz westwärts über Prato und Pistoia nach dem inter¬
essanten Lucca reist, dem eröffnet sich hinter dem Tunnel von Serravalle die
Aussicht auf deu Kessel von Pescia und das Thal des Nicvvle. Es lohnt
der Mühe, in Monte Catini auszusteigen, denn der Reisende befindet sich in
einer der lieblichsten Gegenden Italiens, im Val ti Nievole, das seit alters der
Garten Toskanas genannt wird. Wandert er von da nordwärts, so wird er
bald auf einem Hügel linker Hand, halb versteckt in einen Olivenhain, die spär¬
lichen Neste des ehemaligen Kastells Stignano gewahren. Ein steiler Pfad
leitet zum Gipfel der Anhöhe, durch ein halbverfallues Thor treten wir auf
einen freien Platz mit wenigen Hütten, von Mauertrümmern übersät, über
deren rötliches Gestein die Natur milde ihren grünen Mantel breitet. Stille
und Weltvergessenheit weben um Stein und Strauch ihr melancholisches Einerlei,
und träumend schweift der Blick nach Süden hinaus in das von unzähligen
Gießbächen durchrieselte ruincngekröntc Hügelland, das sich zum Fucecchiosee
hinabsenkt, und über weißschimmernde, zwischen silbergraue Oliven und dunkle
Kastanien gebettete Dörfer bis hinab zum Turme von S. Miniato bei Florenz.
Aber nicht immer war es hier so still und friedlich wie jetzt; dieser Garten
Toskanas war in der Stauferzeit und noch Jahrhunderte darnach zugleich
anch das Schlachtfeld Toskanas. Zahllose Fehden zwischen Guelfen und
Ghibellinen, zwischen eifersüchtigen Stadtgemeinden, zwischen tyrannischen
Signoren und freiheitliebenden Bürgern wurden hier jahraus jahrein in un¬
unterbrochener Blutarbeit ausgekämpft, und was das Schwert verschont hatte,
das fraß dann gar oft des Kriegs gieriger Gefolgsmann, die Pest, und der
Garten Toskanas wurde oft so einsam und menschenleer, daß noch im sech¬
zehnten Jahrhundert Bär und Wolf uicht seltene Gäste waren. Stignano
selbst wurde 1430 von den zügellosen Horden des mailnndischcn Söldnerfuhrers




^) Lxisto1s,i'in> <ii Loluooio LkliitHti, g, ours, al l^rauosseo lisov^ti, ovinus
xrlivo, Roms,, rioll!" hoäo böte' istituto lÄ^Wo nisi I^iviwi, ^in, Lorsivi 1891.
1^ MvvinöiiiiÄ al Loweoio Zalutati (1331--1353). lorirw, ZÄm-uno I^ossoKsr, 1888.
Loluccio Salutati

all Lolueeio Llüuwti von Professor F. Novati*) gefolgt, eine in Ausstattung,
Druck, Anordnung und Vollständigkeit des Stoffes mustergiltige Veröffent¬
lichung, die uns einen der „führenden Geister" der Frührenaissance und damit
diese ganze interessante Zeit, in der schon einmal der Versuch gemacht wurde,
einen italischen Nationalstaat zu gründen, viel mimittelbarer und genauer
kennen lehrt, als es bisher der Fall war. Ergänzt wird der Inhalt dieses
Bandes durch ein vor fünf Jahren erschienenes Werkchen des Herausgebers
Novati, das die Jugendgeschichte Colueeios enthält. Der vorliegende Aufsatz
beruht im wesentlichen ans diesen beiden Büchern und glaubt sich trotz des
scheinbar entlegnen Stoffes an die Leser dieser Blätter wenden zu dürfe«, weil
hier das allmähliche Werden eines der ersten modern empfindenden Menschen,
der überdies zu Petrarca in näherer Beziehung stand, gezeigt werden kann.

Wer von Florenz westwärts über Prato und Pistoia nach dem inter¬
essanten Lucca reist, dem eröffnet sich hinter dem Tunnel von Serravalle die
Aussicht auf deu Kessel von Pescia und das Thal des Nicvvle. Es lohnt
der Mühe, in Monte Catini auszusteigen, denn der Reisende befindet sich in
einer der lieblichsten Gegenden Italiens, im Val ti Nievole, das seit alters der
Garten Toskanas genannt wird. Wandert er von da nordwärts, so wird er
bald auf einem Hügel linker Hand, halb versteckt in einen Olivenhain, die spär¬
lichen Neste des ehemaligen Kastells Stignano gewahren. Ein steiler Pfad
leitet zum Gipfel der Anhöhe, durch ein halbverfallues Thor treten wir auf
einen freien Platz mit wenigen Hütten, von Mauertrümmern übersät, über
deren rötliches Gestein die Natur milde ihren grünen Mantel breitet. Stille
und Weltvergessenheit weben um Stein und Strauch ihr melancholisches Einerlei,
und träumend schweift der Blick nach Süden hinaus in das von unzähligen
Gießbächen durchrieselte ruincngekröntc Hügelland, das sich zum Fucecchiosee
hinabsenkt, und über weißschimmernde, zwischen silbergraue Oliven und dunkle
Kastanien gebettete Dörfer bis hinab zum Turme von S. Miniato bei Florenz.
Aber nicht immer war es hier so still und friedlich wie jetzt; dieser Garten
Toskanas war in der Stauferzeit und noch Jahrhunderte darnach zugleich
anch das Schlachtfeld Toskanas. Zahllose Fehden zwischen Guelfen und
Ghibellinen, zwischen eifersüchtigen Stadtgemeinden, zwischen tyrannischen
Signoren und freiheitliebenden Bürgern wurden hier jahraus jahrein in un¬
unterbrochener Blutarbeit ausgekämpft, und was das Schwert verschont hatte,
das fraß dann gar oft des Kriegs gieriger Gefolgsmann, die Pest, und der
Garten Toskanas wurde oft so einsam und menschenleer, daß noch im sech¬
zehnten Jahrhundert Bär und Wolf uicht seltene Gäste waren. Stignano
selbst wurde 1430 von den zügellosen Horden des mailnndischcn Söldnerfuhrers




^) Lxisto1s,i'in> <ii Loluooio LkliitHti, g, ours, al l^rauosseo lisov^ti, ovinus
xrlivo, Roms,, rioll!» hoäo böte' istituto lÄ^Wo nisi I^iviwi, ^in, Lorsivi 1891.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/262>, abgerufen am 27.07.2024.