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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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unredlichen Wettbewerbs bezeichnet die Bildung von Ringen zur künstlichen
Preiserhöhung und zur Verdrängung widerstrebender Gewerbsgenossen, und
es wird empfohlen, solche Handlungen unter Strafe zu stellen. Es soll nicht
geleugnet werden, daß auch auf diesem Gebiete recht häßliche Dinge vor¬
kommen können. Aber es ist doch zu schwierig, die Fälle des Mißbrauchs
von denen des berechtigten Gebrauchs so zu sondern, daß man nur den Mi߬
brauch unter Strafe stellen könnte. Einen Vorstoß in dieser Richtung -- und
zwar ohne alle gesetzliche Grundlage -- hat bereits das Reichsgericht in dem
bekannten Buchhändlerprozeß gemacht, worin es die Vorstandsmitglieder des
Börsenvereins zu einer Entschädigung verurteilte, weil sie einem von dem
Verein gefaßten Beschlusse gemäß die Mitglieder aufgefordert hatten, einer
Schlenoerfirma keine Verlagsartikel mehr zu liefern. Dieser erste Versuch ist
aber so unglücklich ausgefallen, daß er wahrlich nicht zur Empfehlung der
Sache dienen kann.

Es ist noch die Frage zu erörtern, in welcher gesetzlichen Form die hier
besprochnen Interessen des Gewerbestandes am besten zu ordnen seien. Ich
würde es für das richtigste halten, wenn es entweder durch Nachträge zur
Gewerbeordnung oder durch besondre Gesetze geschähe. Die Einreihung in die
allgemeinen Gesetzbücher über Strafrecht und Zivilrecht empfiehlt sich schon
deshalb nicht, weil bei der Ordnung der Sache strafrechtliche und zivilrecht¬
liche Bestimmungen in einander greifen müssen.

Gleichwohl scheint der Umstand, daß sich in Frankreich die ganze Lehre
aus dem einen Artikel 1382 des Code entwickelt hat, die Kommission sür das
deutsche bürgerliche Gesetzbuch ermutigt zu haben, auch ihrerseits einen solchen
Satz aufzustellen, der die Grundlage sür die Lehre enthalten sollte. Nachdem
zunächst in § 704 des (ersten) Entwurfs eine sehr verworrene Begriffsbestim¬
mung für die zum Schadenersatz verpflichtenden widerrechtlichen Handlungen
gegeben war, wurde in t> 705 die weitere Bestimmung getroffen, daß mich
eine an sich erlaubte Handlung, wenn sie einem andern zum Schaden gereicht
und gegen die guten Sitten verstößt,") als widerrechtlich gelten solle. Darnach
sollten (wie die Motive besagen) auch "illoyale Handlungen" die Pflicht zum
Schadenersatz begründe", womit man offenbar dem französischen Rechte nach¬
strebte.

In dem Entwürfe zweiter Lesung sind nun allerdings diese Paragraphen



*) Die Bezeichnung des Unsittlichen als "gegen die guten Sitten verstoßend" ist un-
deutsch (el"e wörtliche Übersetzung von voudra bcmos morss). Wir haben zwar von dem
Worte "Sitte" die Wörter "sittlich" und "unsittlich" abgeleitet. Aber ans dem Worte "Sitte"
>se ein andrer Begriff haften geblieben. Er bezeichnet nur die Äußerlichkeiten des mensch¬
lichen Verhaltens. Es verstößt "gegen die guten Sitten," wenn jemand in guter Gesellschaft
^ose Ausdrücke braucht. Wenn aber jemand lügt und betrügt, so verstößt das nicht gegen
die gmeu Sitten, sondern gegen die Sittlichkeit.

unredlichen Wettbewerbs bezeichnet die Bildung von Ringen zur künstlichen
Preiserhöhung und zur Verdrängung widerstrebender Gewerbsgenossen, und
es wird empfohlen, solche Handlungen unter Strafe zu stellen. Es soll nicht
geleugnet werden, daß auch auf diesem Gebiete recht häßliche Dinge vor¬
kommen können. Aber es ist doch zu schwierig, die Fälle des Mißbrauchs
von denen des berechtigten Gebrauchs so zu sondern, daß man nur den Mi߬
brauch unter Strafe stellen könnte. Einen Vorstoß in dieser Richtung — und
zwar ohne alle gesetzliche Grundlage — hat bereits das Reichsgericht in dem
bekannten Buchhändlerprozeß gemacht, worin es die Vorstandsmitglieder des
Börsenvereins zu einer Entschädigung verurteilte, weil sie einem von dem
Verein gefaßten Beschlusse gemäß die Mitglieder aufgefordert hatten, einer
Schlenoerfirma keine Verlagsartikel mehr zu liefern. Dieser erste Versuch ist
aber so unglücklich ausgefallen, daß er wahrlich nicht zur Empfehlung der
Sache dienen kann.

Es ist noch die Frage zu erörtern, in welcher gesetzlichen Form die hier
besprochnen Interessen des Gewerbestandes am besten zu ordnen seien. Ich
würde es für das richtigste halten, wenn es entweder durch Nachträge zur
Gewerbeordnung oder durch besondre Gesetze geschähe. Die Einreihung in die
allgemeinen Gesetzbücher über Strafrecht und Zivilrecht empfiehlt sich schon
deshalb nicht, weil bei der Ordnung der Sache strafrechtliche und zivilrecht¬
liche Bestimmungen in einander greifen müssen.

Gleichwohl scheint der Umstand, daß sich in Frankreich die ganze Lehre
aus dem einen Artikel 1382 des Code entwickelt hat, die Kommission sür das
deutsche bürgerliche Gesetzbuch ermutigt zu haben, auch ihrerseits einen solchen
Satz aufzustellen, der die Grundlage sür die Lehre enthalten sollte. Nachdem
zunächst in § 704 des (ersten) Entwurfs eine sehr verworrene Begriffsbestim¬
mung für die zum Schadenersatz verpflichtenden widerrechtlichen Handlungen
gegeben war, wurde in t> 705 die weitere Bestimmung getroffen, daß mich
eine an sich erlaubte Handlung, wenn sie einem andern zum Schaden gereicht
und gegen die guten Sitten verstößt,") als widerrechtlich gelten solle. Darnach
sollten (wie die Motive besagen) auch „illoyale Handlungen" die Pflicht zum
Schadenersatz begründe«, womit man offenbar dem französischen Rechte nach¬
strebte.

In dem Entwürfe zweiter Lesung sind nun allerdings diese Paragraphen



*) Die Bezeichnung des Unsittlichen als „gegen die guten Sitten verstoßend" ist un-
deutsch (el„e wörtliche Übersetzung von voudra bcmos morss). Wir haben zwar von dem
Worte „Sitte" die Wörter „sittlich" und „unsittlich" abgeleitet. Aber ans dem Worte „Sitte"
>se ein andrer Begriff haften geblieben. Er bezeichnet nur die Äußerlichkeiten des mensch¬
lichen Verhaltens. Es verstößt „gegen die guten Sitten," wenn jemand in guter Gesellschaft
^ose Ausdrücke braucht. Wenn aber jemand lügt und betrügt, so verstößt das nicht gegen
die gmeu Sitten, sondern gegen die Sittlichkeit.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/259>, abgerufen am 28.07.2024.