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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Schutz der Gewerbtreibenden gegen unlautern Mitbowerb

einigermaßen abgeändert worden. Nach H 746 (704) soll zum Schadenersatz
verpflichtet sein, "wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines andern wider¬
rechtlich verletzt, oder wer gegen ein den Schutz eines andern bezweckendes
Gesetz verstößt." Daneben aber soll nach 749 (705) auch zum Schaden¬
ersatz verpflichtet sein, "wer durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung
eines ihm zustehenden Rechts vornimmt, in einer gegen die guten Sitten ver¬
stoßenden Weise einem andern vorsätzlich Schaden zufügt." Zwischen beiden
Bestimmungen ist dann noch ein 8 748 eingereiht, der folgendermaßen lautet:

Wer der Wahrheit zuwider eine Thatsache") behauptet oder verbreitet, die
geeignet ist, den Kredit eines andern zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen
Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, hat demselben (diesem!) den dadurch ver¬
ursachten Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kannte,
aber hätte kennen müssen. -- Eine Mitteilung, deren Unwahrheit dem Mitteilenden
unbekannt war, verpflichtet diesen nicht zum Schadenersatze, wenn er oder der Em¬
pfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.

Dieser § 748 ist für seinen Zweck unzureichend. Wer Unwahrheiten in
die Öffentlichkeit bringt, die den Kredit eines andern oder dessen gewerbliche
Leistungen herabsetzen, kann sich nicht damit entschuldigen, daß er die Unwahr¬
heiten für wahr gehalten habe, oder daß er ein "berechtigtes Interesse" an
ihrer Mitteilung gehabt habe. Er veröffentlicht die Unwahrheiten auf seine
Gefahr, und wenn sie Schaden stiften, so hat er selbst, nicht der andre den
Schaden zu tragen. Das fordert die Gerechtigkeit. Das "berechtigte Inter¬
esse," das man anscheinend aus H 193 des Strafgesetzbuchs herübergenommen
hat, paßt ganz und gar nicht hierher.

Was die formulirten 746 und 749 betrifft, so sind diese so abstrakt
gefaßt, daß man nichts und alles daraus ableiten kann. Für den Richter sind
sie deshalb ohne Wert, für das Publikum gefährlich. Denn die Lehre von
der Schadenersatzpflicht im weitesten Umfange ist damit der richterlichen Willkür
überlassen. Daß es in unsrer betriebsamen Zeit nicht an Versuchen fehlen
wird, diese Bestimmungen in jeder Weise auszubeuten, bedarf wohl keines Be¬
weises. Wenn man nun sagt, man müsse den deutschen Gerichten das Ver¬
trauen schenken, daß sie dabei schon das Nichtige treffen würden, so gestehe
ich offen, daß ich dieses Vertrauen nicht habe. Es liegen schon warnende
Beispiele dafür vor, welcher Verirrungen auch deutsche Richter, sobald sie sich
von gesetzlichen Fesseln befreit glauben, auf diesem Gebiete fähig sind. Sollten
jene Bestimmungen Gesetz werden, so würden wir bald erleben, daß unsre Ge¬
richte ähnliche maßlose und alberne Verurteilungen zur Entschädigung aus¬
sprächen, wie sie uns als Erzeugnisse französischer und englischer Rechtsprechung
nicht selten durch die Zeitungen bekannt werden.



D. Red. Wieder diese unsinnige "Thatsache"! Es muß heißen: etwas behauptet.
Der Schutz der Gewerbtreibenden gegen unlautern Mitbowerb

einigermaßen abgeändert worden. Nach H 746 (704) soll zum Schadenersatz
verpflichtet sein, „wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines andern wider¬
rechtlich verletzt, oder wer gegen ein den Schutz eines andern bezweckendes
Gesetz verstößt." Daneben aber soll nach 749 (705) auch zum Schaden¬
ersatz verpflichtet sein, „wer durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung
eines ihm zustehenden Rechts vornimmt, in einer gegen die guten Sitten ver¬
stoßenden Weise einem andern vorsätzlich Schaden zufügt." Zwischen beiden
Bestimmungen ist dann noch ein 8 748 eingereiht, der folgendermaßen lautet:

Wer der Wahrheit zuwider eine Thatsache") behauptet oder verbreitet, die
geeignet ist, den Kredit eines andern zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen
Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, hat demselben (diesem!) den dadurch ver¬
ursachten Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kannte,
aber hätte kennen müssen. — Eine Mitteilung, deren Unwahrheit dem Mitteilenden
unbekannt war, verpflichtet diesen nicht zum Schadenersatze, wenn er oder der Em¬
pfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.

Dieser § 748 ist für seinen Zweck unzureichend. Wer Unwahrheiten in
die Öffentlichkeit bringt, die den Kredit eines andern oder dessen gewerbliche
Leistungen herabsetzen, kann sich nicht damit entschuldigen, daß er die Unwahr¬
heiten für wahr gehalten habe, oder daß er ein „berechtigtes Interesse" an
ihrer Mitteilung gehabt habe. Er veröffentlicht die Unwahrheiten auf seine
Gefahr, und wenn sie Schaden stiften, so hat er selbst, nicht der andre den
Schaden zu tragen. Das fordert die Gerechtigkeit. Das „berechtigte Inter¬
esse," das man anscheinend aus H 193 des Strafgesetzbuchs herübergenommen
hat, paßt ganz und gar nicht hierher.

Was die formulirten 746 und 749 betrifft, so sind diese so abstrakt
gefaßt, daß man nichts und alles daraus ableiten kann. Für den Richter sind
sie deshalb ohne Wert, für das Publikum gefährlich. Denn die Lehre von
der Schadenersatzpflicht im weitesten Umfange ist damit der richterlichen Willkür
überlassen. Daß es in unsrer betriebsamen Zeit nicht an Versuchen fehlen
wird, diese Bestimmungen in jeder Weise auszubeuten, bedarf wohl keines Be¬
weises. Wenn man nun sagt, man müsse den deutschen Gerichten das Ver¬
trauen schenken, daß sie dabei schon das Nichtige treffen würden, so gestehe
ich offen, daß ich dieses Vertrauen nicht habe. Es liegen schon warnende
Beispiele dafür vor, welcher Verirrungen auch deutsche Richter, sobald sie sich
von gesetzlichen Fesseln befreit glauben, auf diesem Gebiete fähig sind. Sollten
jene Bestimmungen Gesetz werden, so würden wir bald erleben, daß unsre Ge¬
richte ähnliche maßlose und alberne Verurteilungen zur Entschädigung aus¬
sprächen, wie sie uns als Erzeugnisse französischer und englischer Rechtsprechung
nicht selten durch die Zeitungen bekannt werden.



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[0260] Der Schutz der Gewerbtreibenden gegen unlautern Mitbowerb einigermaßen abgeändert worden. Nach H 746 (704) soll zum Schadenersatz verpflichtet sein, „wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines andern wider¬ rechtlich verletzt, oder wer gegen ein den Schutz eines andern bezweckendes Gesetz verstößt." Daneben aber soll nach 749 (705) auch zum Schaden¬ ersatz verpflichtet sein, „wer durch eine Handlung, die er nicht in Ausübung eines ihm zustehenden Rechts vornimmt, in einer gegen die guten Sitten ver¬ stoßenden Weise einem andern vorsätzlich Schaden zufügt." Zwischen beiden Bestimmungen ist dann noch ein 8 748 eingereiht, der folgendermaßen lautet: Wer der Wahrheit zuwider eine Thatsache") behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Kredit eines andern zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, hat demselben (diesem!) den dadurch ver¬ ursachten Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kannte, aber hätte kennen müssen. — Eine Mitteilung, deren Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt war, verpflichtet diesen nicht zum Schadenersatze, wenn er oder der Em¬ pfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte. Dieser § 748 ist für seinen Zweck unzureichend. Wer Unwahrheiten in die Öffentlichkeit bringt, die den Kredit eines andern oder dessen gewerbliche Leistungen herabsetzen, kann sich nicht damit entschuldigen, daß er die Unwahr¬ heiten für wahr gehalten habe, oder daß er ein „berechtigtes Interesse" an ihrer Mitteilung gehabt habe. Er veröffentlicht die Unwahrheiten auf seine Gefahr, und wenn sie Schaden stiften, so hat er selbst, nicht der andre den Schaden zu tragen. Das fordert die Gerechtigkeit. Das „berechtigte Inter¬ esse," das man anscheinend aus H 193 des Strafgesetzbuchs herübergenommen hat, paßt ganz und gar nicht hierher. Was die formulirten 746 und 749 betrifft, so sind diese so abstrakt gefaßt, daß man nichts und alles daraus ableiten kann. Für den Richter sind sie deshalb ohne Wert, für das Publikum gefährlich. Denn die Lehre von der Schadenersatzpflicht im weitesten Umfange ist damit der richterlichen Willkür überlassen. Daß es in unsrer betriebsamen Zeit nicht an Versuchen fehlen wird, diese Bestimmungen in jeder Weise auszubeuten, bedarf wohl keines Be¬ weises. Wenn man nun sagt, man müsse den deutschen Gerichten das Ver¬ trauen schenken, daß sie dabei schon das Nichtige treffen würden, so gestehe ich offen, daß ich dieses Vertrauen nicht habe. Es liegen schon warnende Beispiele dafür vor, welcher Verirrungen auch deutsche Richter, sobald sie sich von gesetzlichen Fesseln befreit glauben, auf diesem Gebiete fähig sind. Sollten jene Bestimmungen Gesetz werden, so würden wir bald erleben, daß unsre Ge¬ richte ähnliche maßlose und alberne Verurteilungen zur Entschädigung aus¬ sprächen, wie sie uns als Erzeugnisse französischer und englischer Rechtsprechung nicht selten durch die Zeitungen bekannt werden. D. Red. Wieder diese unsinnige „Thatsache"! Es muß heißen: etwas behauptet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/260>, abgerufen am 27.07.2024.