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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die ätherische Volksmoral im Drama

maßregeln, die der Europäer in Afrika zu beobachten habe -- wir erinnern
uns nicht mehr genau, ob er im "Ausland" oder im "Globus" stand --, bei
den Afrikareisenden die Sitte, eine schwarze Frau auf Zeit zu nehmen, allge¬
mein sein soll. So läßt denn Sophokles die Dejaneira beteuern, daß sie dem
Herakles darob nie gezürnt habe, nnr, wie schon bemerkt wurde, den Gedanken,
daß sie nun ein Kebsweib ins Haus aufnehmen soll, vermag sie nicht zu er¬
tragen. Und dieser Widerstand einer Gattin erscheint auch in andern Dramen
als durchaus berechtigt, solche Zumutung eines Gatten, oder wenn er die
rechtmäßige Frau zu Gunsten einer zweiten Frau verstößt, als frevelhaft, als
Barbareubrauch. "Er hätte wirklich solche Frevelthat gewagt?" fragt Aegens
mit Beziehung auf Jason, als ihm dessen Gemahlin Medeia zur Begründung
ihrer Bitte um Schutz berichtet hat: "Daheim gebietet neben uns ein andres
Weib." Und in der Andromache wird erzählt, wie Hermione, die rechtmäßige
Gattin des Neoptolemos, den Tod der Sklavin Andromache, die ihr des
Gatten Herz geraubt hat, und ihres Sohnes fordert. Ihre Nebenbuhlerin
Andromache wird von ihr belehrt, sie hätte ihre Lage erkennen, der Herrin
demütig dienen, das Gemach scheuern sollen;


Doch, Arme, so weit führte dich dein Unverstand!
Du wagst, dem Sohn des Mannes, der den Gatten dir
Gemordet, beizuwohnen, und dem Mörder selbst
Gebierst du Kinder. Solches ist Barbarenbrauch:
Der Vater freit die Tochter, und die Mutter freit
Den Sohn, und Brüder Schwestern, und des Liebsten Hand
Erschlägt die Liebste; alledem wehrt kein Gesetz!
Und das zu bringen, hüte dich! Es ziemt ja nicht,
Daß einem Mann zwei Frauen unterthänig sind;
Nein, gerne läßt an eines Weibes Liebe sich
Genügen, wer nicht wohnen will in Ungemach.

Auch schon die Buhlerei mit Sklavinnen oder losen Mädchen, die vor der Ehe
verziehen wird, geziemt dem Verheirateten nicht mehr. Man weiß aus der
Odyssee, daß Laertes aus Scheu vor seiner Gemahlin der um zwanzig Rinder
erkauften Eurhkleia, der spätern Schaffnerin, nicht beizuwohnen wagte. Ähn¬
liches erfahren nur von ,5'uthos, den sein vermeintlicher Sohn Ion verhört,
um zu erfahren, wer wohl seine Mutter sein möge.


Liebtest du schon andre Mädchen?
Xuthos In bethörter Jugend wohl.
Ion
Eh Erechtheus Tochter dein ward?
Xuthos Freilich, seitdem nimmermehr.

Auch wird es nicht schön gefunden, wenn ein Mann einem Mädchen zu einem
Kinde verhilft und dann Mutter samt Kind sitzen läßt. Wie Jon vernimmt,
daß Apollon selbst an Krensa so gehandelt haben soll, ruft er:


Grenzboten III 1893 27
Die ätherische Volksmoral im Drama

maßregeln, die der Europäer in Afrika zu beobachten habe — wir erinnern
uns nicht mehr genau, ob er im „Ausland" oder im „Globus" stand —, bei
den Afrikareisenden die Sitte, eine schwarze Frau auf Zeit zu nehmen, allge¬
mein sein soll. So läßt denn Sophokles die Dejaneira beteuern, daß sie dem
Herakles darob nie gezürnt habe, nnr, wie schon bemerkt wurde, den Gedanken,
daß sie nun ein Kebsweib ins Haus aufnehmen soll, vermag sie nicht zu er¬
tragen. Und dieser Widerstand einer Gattin erscheint auch in andern Dramen
als durchaus berechtigt, solche Zumutung eines Gatten, oder wenn er die
rechtmäßige Frau zu Gunsten einer zweiten Frau verstößt, als frevelhaft, als
Barbareubrauch. „Er hätte wirklich solche Frevelthat gewagt?" fragt Aegens
mit Beziehung auf Jason, als ihm dessen Gemahlin Medeia zur Begründung
ihrer Bitte um Schutz berichtet hat: „Daheim gebietet neben uns ein andres
Weib." Und in der Andromache wird erzählt, wie Hermione, die rechtmäßige
Gattin des Neoptolemos, den Tod der Sklavin Andromache, die ihr des
Gatten Herz geraubt hat, und ihres Sohnes fordert. Ihre Nebenbuhlerin
Andromache wird von ihr belehrt, sie hätte ihre Lage erkennen, der Herrin
demütig dienen, das Gemach scheuern sollen;


Doch, Arme, so weit führte dich dein Unverstand!
Du wagst, dem Sohn des Mannes, der den Gatten dir
Gemordet, beizuwohnen, und dem Mörder selbst
Gebierst du Kinder. Solches ist Barbarenbrauch:
Der Vater freit die Tochter, und die Mutter freit
Den Sohn, und Brüder Schwestern, und des Liebsten Hand
Erschlägt die Liebste; alledem wehrt kein Gesetz!
Und das zu bringen, hüte dich! Es ziemt ja nicht,
Daß einem Mann zwei Frauen unterthänig sind;
Nein, gerne läßt an eines Weibes Liebe sich
Genügen, wer nicht wohnen will in Ungemach.

Auch schon die Buhlerei mit Sklavinnen oder losen Mädchen, die vor der Ehe
verziehen wird, geziemt dem Verheirateten nicht mehr. Man weiß aus der
Odyssee, daß Laertes aus Scheu vor seiner Gemahlin der um zwanzig Rinder
erkauften Eurhkleia, der spätern Schaffnerin, nicht beizuwohnen wagte. Ähn¬
liches erfahren nur von ,5'uthos, den sein vermeintlicher Sohn Ion verhört,
um zu erfahren, wer wohl seine Mutter sein möge.


Liebtest du schon andre Mädchen?
Xuthos In bethörter Jugend wohl.
Ion
Eh Erechtheus Tochter dein ward?
Xuthos Freilich, seitdem nimmermehr.

Auch wird es nicht schön gefunden, wenn ein Mann einem Mädchen zu einem
Kinde verhilft und dann Mutter samt Kind sitzen läßt. Wie Jon vernimmt,
daß Apollon selbst an Krensa so gehandelt haben soll, ruft er:


Grenzboten III 1893 27
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/217>, abgerufen am 24.11.2024.