Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby

freundes, mit welchem ich vor fünfzehn Jahren manche fröhliche Donaufahrt
in Wien und Ungarn gemacht hatte, des Doktors Wilhelm Motherby, bei
welchem sich der Glanz der jugendlichen Welt versammelte, tapfere und begeisterte
Jünglinge: seine Brüder, die Motherby, Friccius, von Fahrenheit, von Barde¬
leben und andre, die dem Vaterlande in der Not nicht gefehlt haben; ich
lebte noch mehr, wirklich die meisten Königsberger Abende, in dem Hause des
Kanzlers Freiherrn von Schroeter, des Gemahls einer Dohnaschen Schwester.
Dort wohnte die herrliche Julie Scharnhorst, Gräfin Friedrich zu Dohna, die
schönste Erbin des väterlichen Geistes. Sie war die rechte Fürstin der Be¬
geisterung, damals von Jugend, Schönheit und Seelenhoheit strahlend. In
diesem Hause versammelten sich die Dohna sehr oft und was durch Würdig¬
keit, Gelehrsamkeit und Tapferkeit in Königsberg ausgezeichnet war."

Inmitten dieses hoffnungsfrohen Getümmels sprang bei Arndt die Ader
der patriotischen Poesie voll auf. Während er in Steins Auftrag seine
Büchlein "Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann," "Was
bedeutet Landwehr und Landsturm?", seine "Kurzem und wahrhaftigen Er¬
zählungen von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlägen, von seinen
Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung seiner Heeresmacht
und von der Bedeutung des gegenwärtigen deutschen Krieges" teils vollendete,
teils begann, strömten ans seiner Seele immer neue Klänge, in denen er
das Thema:

unablässig variirte. Das "Vatcrlandslicd" (Der Gott, der Eisen wachsen
ließ) und das "Lied vom Schill" hatte der Dichter von Petersburg mit¬
gebracht, in diesen Februar- und Märztagen von 1813 entstand in Königsberg
Arndts bekanntestes Lied "Was ist des Deutschen Vaterland," das millionen-
mcil in Zorn und Wehmut gesungen werden sollte, bevor es endlich eine
Wahrheit ward, ferner "Der Knabe Robert fest und wert," "Deutsches
Herz, verzage nicht", "Das Lied vom Chazot" und "Das Lied vom Gneisenau."
Des Dichters ganzes Wesen schien gleichsam in Eisen getaucht zu sein, seine
Seele nur die Lust der Schlachten, der lange ersehnten Rache zu atmen. Und
doch setzte viele Jahrzehnte später Arndt, da er als rheinischer Patriarch
die letzte große Sammlung seiner "Gedichte" ordnete und einen Teil dieser
Gedichte mit Jahreszahlen versah, die rotlenchtende 1813 nicht bloß über
die obengenannten vaterländischen Lieder, sondern anch über eine Reihe
von Klinggedichten und schmelzenden Liedern, doch stellte er Gedichte wie
"Frühling und Furina" und "Was Goldringlein sagen soll" zwischen "Des
deutschen Knaben Robert Schwur" und "Deutscher Trost" hinein, doch ließ


Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby

freundes, mit welchem ich vor fünfzehn Jahren manche fröhliche Donaufahrt
in Wien und Ungarn gemacht hatte, des Doktors Wilhelm Motherby, bei
welchem sich der Glanz der jugendlichen Welt versammelte, tapfere und begeisterte
Jünglinge: seine Brüder, die Motherby, Friccius, von Fahrenheit, von Barde¬
leben und andre, die dem Vaterlande in der Not nicht gefehlt haben; ich
lebte noch mehr, wirklich die meisten Königsberger Abende, in dem Hause des
Kanzlers Freiherrn von Schroeter, des Gemahls einer Dohnaschen Schwester.
Dort wohnte die herrliche Julie Scharnhorst, Gräfin Friedrich zu Dohna, die
schönste Erbin des väterlichen Geistes. Sie war die rechte Fürstin der Be¬
geisterung, damals von Jugend, Schönheit und Seelenhoheit strahlend. In
diesem Hause versammelten sich die Dohna sehr oft und was durch Würdig¬
keit, Gelehrsamkeit und Tapferkeit in Königsberg ausgezeichnet war."

Inmitten dieses hoffnungsfrohen Getümmels sprang bei Arndt die Ader
der patriotischen Poesie voll auf. Während er in Steins Auftrag seine
Büchlein „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann," „Was
bedeutet Landwehr und Landsturm?", seine „Kurzem und wahrhaftigen Er¬
zählungen von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlägen, von seinen
Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung seiner Heeresmacht
und von der Bedeutung des gegenwärtigen deutschen Krieges" teils vollendete,
teils begann, strömten ans seiner Seele immer neue Klänge, in denen er
das Thema:

unablässig variirte. Das „Vatcrlandslicd" (Der Gott, der Eisen wachsen
ließ) und das „Lied vom Schill" hatte der Dichter von Petersburg mit¬
gebracht, in diesen Februar- und Märztagen von 1813 entstand in Königsberg
Arndts bekanntestes Lied „Was ist des Deutschen Vaterland," das millionen-
mcil in Zorn und Wehmut gesungen werden sollte, bevor es endlich eine
Wahrheit ward, ferner „Der Knabe Robert fest und wert," „Deutsches
Herz, verzage nicht", „Das Lied vom Chazot" und „Das Lied vom Gneisenau."
Des Dichters ganzes Wesen schien gleichsam in Eisen getaucht zu sein, seine
Seele nur die Lust der Schlachten, der lange ersehnten Rache zu atmen. Und
doch setzte viele Jahrzehnte später Arndt, da er als rheinischer Patriarch
die letzte große Sammlung seiner „Gedichte" ordnete und einen Teil dieser
Gedichte mit Jahreszahlen versah, die rotlenchtende 1813 nicht bloß über
die obengenannten vaterländischen Lieder, sondern anch über eine Reihe
von Klinggedichten und schmelzenden Liedern, doch stellte er Gedichte wie
„Frühling und Furina" und „Was Goldringlein sagen soll" zwischen „Des
deutschen Knaben Robert Schwur" und „Deutscher Trost" hinein, doch ließ


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215236"/>
          <fw type="header" place="top"> Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_477" prev="#ID_476"> freundes, mit welchem ich vor fünfzehn Jahren manche fröhliche Donaufahrt<lb/>
in Wien und Ungarn gemacht hatte, des Doktors Wilhelm Motherby, bei<lb/>
welchem sich der Glanz der jugendlichen Welt versammelte, tapfere und begeisterte<lb/>
Jünglinge: seine Brüder, die Motherby, Friccius, von Fahrenheit, von Barde¬<lb/>
leben und andre, die dem Vaterlande in der Not nicht gefehlt haben; ich<lb/>
lebte noch mehr, wirklich die meisten Königsberger Abende, in dem Hause des<lb/>
Kanzlers Freiherrn von Schroeter, des Gemahls einer Dohnaschen Schwester.<lb/>
Dort wohnte die herrliche Julie Scharnhorst, Gräfin Friedrich zu Dohna, die<lb/>
schönste Erbin des väterlichen Geistes. Sie war die rechte Fürstin der Be¬<lb/>
geisterung, damals von Jugend, Schönheit und Seelenhoheit strahlend. In<lb/>
diesem Hause versammelten sich die Dohna sehr oft und was durch Würdig¬<lb/>
keit, Gelehrsamkeit und Tapferkeit in Königsberg ausgezeichnet war."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Inmitten dieses hoffnungsfrohen Getümmels sprang bei Arndt die Ader<lb/>
der patriotischen Poesie voll auf. Während er in Steins Auftrag seine<lb/>
Büchlein &#x201E;Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann," &#x201E;Was<lb/>
bedeutet Landwehr und Landsturm?", seine &#x201E;Kurzem und wahrhaftigen Er¬<lb/>
zählungen von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlägen, von seinen<lb/>
Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung seiner Heeresmacht<lb/>
und von der Bedeutung des gegenwärtigen deutschen Krieges" teils vollendete,<lb/>
teils begann, strömten ans seiner Seele immer neue Klänge, in denen er<lb/>
das Thema:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_2" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_479" prev="#ID_478" next="#ID_480"> unablässig variirte. Das &#x201E;Vatcrlandslicd" (Der Gott, der Eisen wachsen<lb/>
ließ) und das &#x201E;Lied vom Schill" hatte der Dichter von Petersburg mit¬<lb/>
gebracht, in diesen Februar- und Märztagen von 1813 entstand in Königsberg<lb/>
Arndts bekanntestes Lied &#x201E;Was ist des Deutschen Vaterland," das millionen-<lb/>
mcil in Zorn und Wehmut gesungen werden sollte, bevor es endlich eine<lb/>
Wahrheit ward, ferner &#x201E;Der Knabe Robert fest und wert," &#x201E;Deutsches<lb/>
Herz, verzage nicht", &#x201E;Das Lied vom Chazot" und &#x201E;Das Lied vom Gneisenau."<lb/>
Des Dichters ganzes Wesen schien gleichsam in Eisen getaucht zu sein, seine<lb/>
Seele nur die Lust der Schlachten, der lange ersehnten Rache zu atmen. Und<lb/>
doch setzte viele Jahrzehnte später Arndt, da er als rheinischer Patriarch<lb/>
die letzte große Sammlung seiner &#x201E;Gedichte" ordnete und einen Teil dieser<lb/>
Gedichte mit Jahreszahlen versah, die rotlenchtende 1813 nicht bloß über<lb/>
die obengenannten vaterländischen Lieder, sondern anch über eine Reihe<lb/>
von Klinggedichten und schmelzenden Liedern, doch stellte er Gedichte wie<lb/>
&#x201E;Frühling und Furina" und &#x201E;Was Goldringlein sagen soll" zwischen &#x201E;Des<lb/>
deutschen Knaben Robert Schwur" und &#x201E;Deutscher Trost" hinein, doch ließ</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby freundes, mit welchem ich vor fünfzehn Jahren manche fröhliche Donaufahrt in Wien und Ungarn gemacht hatte, des Doktors Wilhelm Motherby, bei welchem sich der Glanz der jugendlichen Welt versammelte, tapfere und begeisterte Jünglinge: seine Brüder, die Motherby, Friccius, von Fahrenheit, von Barde¬ leben und andre, die dem Vaterlande in der Not nicht gefehlt haben; ich lebte noch mehr, wirklich die meisten Königsberger Abende, in dem Hause des Kanzlers Freiherrn von Schroeter, des Gemahls einer Dohnaschen Schwester. Dort wohnte die herrliche Julie Scharnhorst, Gräfin Friedrich zu Dohna, die schönste Erbin des väterlichen Geistes. Sie war die rechte Fürstin der Be¬ geisterung, damals von Jugend, Schönheit und Seelenhoheit strahlend. In diesem Hause versammelten sich die Dohna sehr oft und was durch Würdig¬ keit, Gelehrsamkeit und Tapferkeit in Königsberg ausgezeichnet war." Inmitten dieses hoffnungsfrohen Getümmels sprang bei Arndt die Ader der patriotischen Poesie voll auf. Während er in Steins Auftrag seine Büchlein „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann," „Was bedeutet Landwehr und Landsturm?", seine „Kurzem und wahrhaftigen Er¬ zählungen von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlägen, von seinen Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung seiner Heeresmacht und von der Bedeutung des gegenwärtigen deutschen Krieges" teils vollendete, teils begann, strömten ans seiner Seele immer neue Klänge, in denen er das Thema: unablässig variirte. Das „Vatcrlandslicd" (Der Gott, der Eisen wachsen ließ) und das „Lied vom Schill" hatte der Dichter von Petersburg mit¬ gebracht, in diesen Februar- und Märztagen von 1813 entstand in Königsberg Arndts bekanntestes Lied „Was ist des Deutschen Vaterland," das millionen- mcil in Zorn und Wehmut gesungen werden sollte, bevor es endlich eine Wahrheit ward, ferner „Der Knabe Robert fest und wert," „Deutsches Herz, verzage nicht", „Das Lied vom Chazot" und „Das Lied vom Gneisenau." Des Dichters ganzes Wesen schien gleichsam in Eisen getaucht zu sein, seine Seele nur die Lust der Schlachten, der lange ersehnten Rache zu atmen. Und doch setzte viele Jahrzehnte später Arndt, da er als rheinischer Patriarch die letzte große Sammlung seiner „Gedichte" ordnete und einen Teil dieser Gedichte mit Jahreszahlen versah, die rotlenchtende 1813 nicht bloß über die obengenannten vaterländischen Lieder, sondern anch über eine Reihe von Klinggedichten und schmelzenden Liedern, doch stellte er Gedichte wie „Frühling und Furina" und „Was Goldringlein sagen soll" zwischen „Des deutschen Knaben Robert Schwur" und „Deutscher Trost" hinein, doch ließ

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/146>, abgerufen am 23.11.2024.