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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Gruft Moritz Arndt und Johanna Motherby

er zwischen seiner Elegie "Scharnhorst der Ehrenbote" und dein wie
Schmettern von Siegestrompeten erklingenden "Lied vom Feldmarschall"
(Was blasen die Trompeten? Husaren heraus!) Raum für die beinahe
Matthissonschen Klänge "An die Wehmut" und den idyllischen "Lebenstraum,
der Künftigen gemalt zu Reichenbach im Sommer 1813." Hier gab es in
Arndts Leben und Dichten ein Rätsel, um so mehr, als auch die vertrauten
Mitteilungen an die Rügische Freundin Charlotte von Kathen, die Ed. Langen-
berg als "Ernst Moritz Arndts Briefe an eine Freundin" (Berlin, 1878)
herausgegeben hat, für die Wintermonate 1813 und den folgenden Sommer
jeden Aufschluß versagen. Das Rätsel erscheint nun vollständig gelöst durch den
neuesten Beitrag zur "Arndtlitteratur," die von Heinrich Meisner jüngst
herausgegebnen Briefe an Johanna Motherby von Wilhelm von
Humboldt und Ernst Moritz Arndt.") Daß es erfreulicher sein würde,
wenn auch diese bedeutsame Episode in dem Leben des mannhaften Dichters und
Kämpfers in einer wirklichen, innerlich vollständigen, künstlerisch abgeschlossenen
Biographie, einem Buche über Arndt und seine Zeit verwertet, behandelt und
ins rechte Licht gerückt wäre, anstatt wiederum nur eine Sammlung inter¬
essanter Briefe abzugeben, braucht kaum gesagt zu werden. Doch gehören
die hier veröffentlichten Briefe (die 1890 auf der Auktion von R. Leyte
versteigert und von der königliche" Bibliothek in Berlin erstanden wurden)
zu den Materialpublikativnen, die ein besondres Recht und einen besonder"
Wert in Anspruch zu nehmen haben, sie können allerdings das Ver¬
ständnis des Seelenlebens Arndts fördern, sie werden, wie der Heraus¬
geber im Vorwort betont, überdies noch durch ihren Hintergrund, die großen
Jahre der deutschen Befreiungskriege und ihre Folgezeit, Interesse auch dort
erwecken, wo Arndt mit seinem starken Deutschtum ungerechterweise bereits
zu altertümlich geworden ist. Denn um es kurz zu sagen, sie offenbaren in
überraschender Weise, daß der starke, trotzige Vaterlandskümpfer in jedem
Betracht der Sohn seines Geschlechts war, daß er das tiefe Bedürfnis nach
inniger, seelischer Gemeinschaft mit einem liebenswürdigen Weibe in sich trug,
daß er eben in den berauschenden lenzhaften Winterwocheu zu Königsberg ein
Freundschaftsbündnis mit einer interessanten Frau schloß, das hart an die
Grenze leidenschaftlicher Liebe streifte, ja mehr als einmal diese Grenze über¬
sprang, ein Verhältnis, das ihn während der ganzen großen Zeit erfüllte,
ohne ihn doch vollständig auszufüllen, und das nach allem, was sich aus Arndts
Briefen an Johanna Motherby herauslesen läßt, sehr leicht zu einer Klippe
der Zukunft des ernsten Mannes hätte werden können. Der Herausgeber



Briefe an Johanna Motherby von Wilhelm von Humboldt und Ernst Moritz
Arndt. Mit einer Biographie Johanna Motherbys und Erläuterungen herausgegeben von
Heinrich Meisner. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1893.
Gruft Moritz Arndt und Johanna Motherby

er zwischen seiner Elegie „Scharnhorst der Ehrenbote" und dein wie
Schmettern von Siegestrompeten erklingenden „Lied vom Feldmarschall"
(Was blasen die Trompeten? Husaren heraus!) Raum für die beinahe
Matthissonschen Klänge „An die Wehmut" und den idyllischen „Lebenstraum,
der Künftigen gemalt zu Reichenbach im Sommer 1813." Hier gab es in
Arndts Leben und Dichten ein Rätsel, um so mehr, als auch die vertrauten
Mitteilungen an die Rügische Freundin Charlotte von Kathen, die Ed. Langen-
berg als „Ernst Moritz Arndts Briefe an eine Freundin" (Berlin, 1878)
herausgegeben hat, für die Wintermonate 1813 und den folgenden Sommer
jeden Aufschluß versagen. Das Rätsel erscheint nun vollständig gelöst durch den
neuesten Beitrag zur „Arndtlitteratur," die von Heinrich Meisner jüngst
herausgegebnen Briefe an Johanna Motherby von Wilhelm von
Humboldt und Ernst Moritz Arndt.") Daß es erfreulicher sein würde,
wenn auch diese bedeutsame Episode in dem Leben des mannhaften Dichters und
Kämpfers in einer wirklichen, innerlich vollständigen, künstlerisch abgeschlossenen
Biographie, einem Buche über Arndt und seine Zeit verwertet, behandelt und
ins rechte Licht gerückt wäre, anstatt wiederum nur eine Sammlung inter¬
essanter Briefe abzugeben, braucht kaum gesagt zu werden. Doch gehören
die hier veröffentlichten Briefe (die 1890 auf der Auktion von R. Leyte
versteigert und von der königliche» Bibliothek in Berlin erstanden wurden)
zu den Materialpublikativnen, die ein besondres Recht und einen besonder»
Wert in Anspruch zu nehmen haben, sie können allerdings das Ver¬
ständnis des Seelenlebens Arndts fördern, sie werden, wie der Heraus¬
geber im Vorwort betont, überdies noch durch ihren Hintergrund, die großen
Jahre der deutschen Befreiungskriege und ihre Folgezeit, Interesse auch dort
erwecken, wo Arndt mit seinem starken Deutschtum ungerechterweise bereits
zu altertümlich geworden ist. Denn um es kurz zu sagen, sie offenbaren in
überraschender Weise, daß der starke, trotzige Vaterlandskümpfer in jedem
Betracht der Sohn seines Geschlechts war, daß er das tiefe Bedürfnis nach
inniger, seelischer Gemeinschaft mit einem liebenswürdigen Weibe in sich trug,
daß er eben in den berauschenden lenzhaften Winterwocheu zu Königsberg ein
Freundschaftsbündnis mit einer interessanten Frau schloß, das hart an die
Grenze leidenschaftlicher Liebe streifte, ja mehr als einmal diese Grenze über¬
sprang, ein Verhältnis, das ihn während der ganzen großen Zeit erfüllte,
ohne ihn doch vollständig auszufüllen, und das nach allem, was sich aus Arndts
Briefen an Johanna Motherby herauslesen läßt, sehr leicht zu einer Klippe
der Zukunft des ernsten Mannes hätte werden können. Der Herausgeber



Briefe an Johanna Motherby von Wilhelm von Humboldt und Ernst Moritz
Arndt. Mit einer Biographie Johanna Motherbys und Erläuterungen herausgegeben von
Heinrich Meisner. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1893.
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[0147] Gruft Moritz Arndt und Johanna Motherby er zwischen seiner Elegie „Scharnhorst der Ehrenbote" und dein wie Schmettern von Siegestrompeten erklingenden „Lied vom Feldmarschall" (Was blasen die Trompeten? Husaren heraus!) Raum für die beinahe Matthissonschen Klänge „An die Wehmut" und den idyllischen „Lebenstraum, der Künftigen gemalt zu Reichenbach im Sommer 1813." Hier gab es in Arndts Leben und Dichten ein Rätsel, um so mehr, als auch die vertrauten Mitteilungen an die Rügische Freundin Charlotte von Kathen, die Ed. Langen- berg als „Ernst Moritz Arndts Briefe an eine Freundin" (Berlin, 1878) herausgegeben hat, für die Wintermonate 1813 und den folgenden Sommer jeden Aufschluß versagen. Das Rätsel erscheint nun vollständig gelöst durch den neuesten Beitrag zur „Arndtlitteratur," die von Heinrich Meisner jüngst herausgegebnen Briefe an Johanna Motherby von Wilhelm von Humboldt und Ernst Moritz Arndt.") Daß es erfreulicher sein würde, wenn auch diese bedeutsame Episode in dem Leben des mannhaften Dichters und Kämpfers in einer wirklichen, innerlich vollständigen, künstlerisch abgeschlossenen Biographie, einem Buche über Arndt und seine Zeit verwertet, behandelt und ins rechte Licht gerückt wäre, anstatt wiederum nur eine Sammlung inter¬ essanter Briefe abzugeben, braucht kaum gesagt zu werden. Doch gehören die hier veröffentlichten Briefe (die 1890 auf der Auktion von R. Leyte versteigert und von der königliche» Bibliothek in Berlin erstanden wurden) zu den Materialpublikativnen, die ein besondres Recht und einen besonder» Wert in Anspruch zu nehmen haben, sie können allerdings das Ver¬ ständnis des Seelenlebens Arndts fördern, sie werden, wie der Heraus¬ geber im Vorwort betont, überdies noch durch ihren Hintergrund, die großen Jahre der deutschen Befreiungskriege und ihre Folgezeit, Interesse auch dort erwecken, wo Arndt mit seinem starken Deutschtum ungerechterweise bereits zu altertümlich geworden ist. Denn um es kurz zu sagen, sie offenbaren in überraschender Weise, daß der starke, trotzige Vaterlandskümpfer in jedem Betracht der Sohn seines Geschlechts war, daß er das tiefe Bedürfnis nach inniger, seelischer Gemeinschaft mit einem liebenswürdigen Weibe in sich trug, daß er eben in den berauschenden lenzhaften Winterwocheu zu Königsberg ein Freundschaftsbündnis mit einer interessanten Frau schloß, das hart an die Grenze leidenschaftlicher Liebe streifte, ja mehr als einmal diese Grenze über¬ sprang, ein Verhältnis, das ihn während der ganzen großen Zeit erfüllte, ohne ihn doch vollständig auszufüllen, und das nach allem, was sich aus Arndts Briefen an Johanna Motherby herauslesen läßt, sehr leicht zu einer Klippe der Zukunft des ernsten Mannes hätte werden können. Der Herausgeber Briefe an Johanna Motherby von Wilhelm von Humboldt und Ernst Moritz Arndt. Mit einer Biographie Johanna Motherbys und Erläuterungen herausgegeben von Heinrich Meisner. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1893.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/147>, abgerufen am 01.09.2024.