Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Die ätherische Volksmoral im Drama Wenn diese Körperschaft unbestechlich und ehrenhaft bleibe, nur dem Frevler Darum so schleudre nicht in unser Land umher Lange Zeit hören sie gar nicht auf das, was die Göttin spricht, endlich merken Ihr deu Segen sag ich gern, Manneskraft, blühude Pracht, nahe "immer jäher Tod; Athene dankt ihnen und beruft das ganze Volk, das sie mit den Worten Komme deun, du liebstes Aug *) Der Weiurausch war den Griechen göttlichen Ursprungs. Pentheus, König von
Theben, will den Gott Dionysos nicht in die Stadt aufnehmen, um sein Volk vor Raserei und Zügellosigkeit zu bewahren, wird aber zur Strafe von seiner eignen Mutter und den übrigen Mänaden, die ihn für ein Wild ansehen, zerrissen. Die Bacchantinnen, in denen Enri- Pides diesen Gegenstand behandelt, erscheinen mir als das einzige anstößige unter allen uns bekannten griechischen Dramen. Darin aber hatte der Dichter allerdings Recht, daß er-das Verbot des Weingenusses als eine dem griechischen Geiste widerstrebende Barbarei verurteilte. Die ätherische Volksmoral im Drama Wenn diese Körperschaft unbestechlich und ehrenhaft bleibe, nur dem Frevler Darum so schleudre nicht in unser Land umher Lange Zeit hören sie gar nicht auf das, was die Göttin spricht, endlich merken Ihr deu Segen sag ich gern, Manneskraft, blühude Pracht, nahe »immer jäher Tod; Athene dankt ihnen und beruft das ganze Volk, das sie mit den Worten Komme deun, du liebstes Aug *) Der Weiurausch war den Griechen göttlichen Ursprungs. Pentheus, König von
Theben, will den Gott Dionysos nicht in die Stadt aufnehmen, um sein Volk vor Raserei und Zügellosigkeit zu bewahren, wird aber zur Strafe von seiner eignen Mutter und den übrigen Mänaden, die ihn für ein Wild ansehen, zerrissen. Die Bacchantinnen, in denen Enri- Pides diesen Gegenstand behandelt, erscheinen mir als das einzige anstößige unter allen uns bekannten griechischen Dramen. Darin aber hatte der Dichter allerdings Recht, daß er-das Verbot des Weingenusses als eine dem griechischen Geiste widerstrebende Barbarei verurteilte. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215223"/> <fw type="header" place="top"> Die ätherische Volksmoral im Drama</fw><lb/> <p xml:id="ID_444" prev="#ID_443" next="#ID_445"> Wenn diese Körperschaft unbestechlich und ehrenhaft bleibe, nur dem Frevler<lb/> zornig, für das Heil des Volkes wachend, wo alles schläft, dann würden die<lb/> Athener in ihm ein Bollwerk haben, wie sich seiner kein andres Volk und<lb/> Land erfreue, nicht der Scythe und nicht der nahe Peloponnes. Stimmen¬<lb/> gleichheit soll Freisprechung bedeuten, da Athene selbst ihre Stimme für Orestes<lb/> abgeben will; und da sich wirklich in beiden Urnen gleich viel Steinchen finden,<lb/> so ist er freigesprochen. Die Erinnyen rasen wiederum und verwünschen das<lb/> Land. Athene bietet ihnen Wohnung an nahe dem Hause des Erechtheus,<lb/> wo es ihnen an Ehren nicht fehlen soll.</p><lb/> <quote> Darum so schleudre nicht in unser Land umher<lb/> Den blntgewetzten Hader, Haßverwildcrung<lb/> Ins Herz der Jugend, Trunkenheit weinloser*) Wut<lb/> Noch Trutz entzündend wie in Hahnes Herzen laß<lb/> In meinen Bürgern Stätte du dem Ares sein<lb/> Des Bürgerkrieges und des Wechselseitgen Grimms.<lb/> Nein, außer Lande sei der ganz schon nahe Krieg,<lb/> Drin edler Wettkampf wird des Heldenruhmes sein.</quote><lb/> <p xml:id="ID_445" prev="#ID_444" next="#ID_446"> Lange Zeit hören sie gar nicht auf das, was die Göttin spricht, endlich merken<lb/> sie auf, lassen sich überreden und segnen die Stadt:</p><lb/> <quote> Ihr deu Segen sag ich gern,<lb/> Ihr verkünd ich gnadenmild:<lb/> In stetem Blühn des Lebens Wohl, ein reich Gedeihn;<lb/> Aus Erdennacht aufwärts soll<lb/> Schmeicheln heitrer Sonnenschein.</quote><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <quote> Manneskraft, blühude Pracht, nahe »immer jäher Tod;<lb/> Und deu Menschen lieb und hold<lb/> Rüstet die bräutlichen Freuden, die deß ihr Gewalt<lb/> Habt, ihr Schwestern,<lb/> Urnachtkinder wie wir, Moiren,<lb/> Ordnende Mächte der Welt u. s. w.</quote><lb/> <p xml:id="ID_446" prev="#ID_445"> Athene dankt ihnen und beruft das ganze Volk, das sie mit den Worten<lb/> begrüßt:</p><lb/> <quote> Komme deun, du liebstes Aug<lb/> Des Theseidenlandes, edelbürige Schar<lb/> Der Männer, Knaben, wasfensroher Jünglinge,<lb/> Der Mädchen, Frauen, greiser Mütter würdger Zug<lb/> Mit eurer Purpurfestgewaude Pracht geschmückt;</quote><lb/> <note xml:id="FID_20" place="foot"> *) Der Weiurausch war den Griechen göttlichen Ursprungs. Pentheus, König von<lb/> Theben, will den Gott Dionysos nicht in die Stadt aufnehmen, um sein Volk vor Raserei<lb/> und Zügellosigkeit zu bewahren, wird aber zur Strafe von seiner eignen Mutter und den<lb/> übrigen Mänaden, die ihn für ein Wild ansehen, zerrissen. Die Bacchantinnen, in denen Enri-<lb/> Pides diesen Gegenstand behandelt, erscheinen mir als das einzige anstößige unter allen uns<lb/> bekannten griechischen Dramen. Darin aber hatte der Dichter allerdings Recht, daß er-das<lb/> Verbot des Weingenusses als eine dem griechischen Geiste widerstrebende Barbarei verurteilte.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0133]
Die ätherische Volksmoral im Drama
Wenn diese Körperschaft unbestechlich und ehrenhaft bleibe, nur dem Frevler
zornig, für das Heil des Volkes wachend, wo alles schläft, dann würden die
Athener in ihm ein Bollwerk haben, wie sich seiner kein andres Volk und
Land erfreue, nicht der Scythe und nicht der nahe Peloponnes. Stimmen¬
gleichheit soll Freisprechung bedeuten, da Athene selbst ihre Stimme für Orestes
abgeben will; und da sich wirklich in beiden Urnen gleich viel Steinchen finden,
so ist er freigesprochen. Die Erinnyen rasen wiederum und verwünschen das
Land. Athene bietet ihnen Wohnung an nahe dem Hause des Erechtheus,
wo es ihnen an Ehren nicht fehlen soll.
Darum so schleudre nicht in unser Land umher
Den blntgewetzten Hader, Haßverwildcrung
Ins Herz der Jugend, Trunkenheit weinloser*) Wut
Noch Trutz entzündend wie in Hahnes Herzen laß
In meinen Bürgern Stätte du dem Ares sein
Des Bürgerkrieges und des Wechselseitgen Grimms.
Nein, außer Lande sei der ganz schon nahe Krieg,
Drin edler Wettkampf wird des Heldenruhmes sein.
Lange Zeit hören sie gar nicht auf das, was die Göttin spricht, endlich merken
sie auf, lassen sich überreden und segnen die Stadt:
Ihr deu Segen sag ich gern,
Ihr verkünd ich gnadenmild:
In stetem Blühn des Lebens Wohl, ein reich Gedeihn;
Aus Erdennacht aufwärts soll
Schmeicheln heitrer Sonnenschein.
Manneskraft, blühude Pracht, nahe »immer jäher Tod;
Und deu Menschen lieb und hold
Rüstet die bräutlichen Freuden, die deß ihr Gewalt
Habt, ihr Schwestern,
Urnachtkinder wie wir, Moiren,
Ordnende Mächte der Welt u. s. w.
Athene dankt ihnen und beruft das ganze Volk, das sie mit den Worten
begrüßt:
Komme deun, du liebstes Aug
Des Theseidenlandes, edelbürige Schar
Der Männer, Knaben, wasfensroher Jünglinge,
Der Mädchen, Frauen, greiser Mütter würdger Zug
Mit eurer Purpurfestgewaude Pracht geschmückt;
*) Der Weiurausch war den Griechen göttlichen Ursprungs. Pentheus, König von
Theben, will den Gott Dionysos nicht in die Stadt aufnehmen, um sein Volk vor Raserei
und Zügellosigkeit zu bewahren, wird aber zur Strafe von seiner eignen Mutter und den
übrigen Mänaden, die ihn für ein Wild ansehen, zerrissen. Die Bacchantinnen, in denen Enri-
Pides diesen Gegenstand behandelt, erscheinen mir als das einzige anstößige unter allen uns
bekannten griechischen Dramen. Darin aber hatte der Dichter allerdings Recht, daß er-das
Verbot des Weingenusses als eine dem griechischen Geiste widerstrebende Barbarei verurteilte.
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