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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Gerecht bewahret, höher" Rechts als selbst der Eid.
Und bist du ihnen, wenn sie sich morden, lau genug,
Sie nicht zu strafen, nicht ergrimmt sie anfznspähn,
So lengn' ich, daß Orestes du verfolgst mit Recht;
Denn dies, ich weiß es, sehr erfüllt es dich mit Zorn,
Das andre straffe du sichtlich viel gelassener.
Pallas Athene wird erforschen, was da Recht.

Im nächsten Akt erscheint Orest am Pallasaltar in Athen. Die Ermüden
folgen nach, erspähen ihn, drohen, ihm das Blut aufzufangen ("lebendig mußt
du mich laben, nicht geschlachtet erst"), und schlingen um ihn den Reigen, in
grausem Gesang ihr Amt verkündigend: "Frevlern, deren Haupt sich gottlosen
Blutgreuel auflud, uachzuspähn, nachzuziehen, sie mit Verstörung, Wirrsinn,
Wahnsinn zu plagen, bis sie birgt Grabes Nacht; tot auch siud sie uicht er¬
löst." Athene erscheint, verhört die Klägerinnen und den Angeklagten, der
noch für sich anführt, daß seine Hand nicht mehr blutbefleckt, sondern durch
ein Opfer gereinigt sei, und erklärt dann, der Fall sei sehr schwierig; einer¬
seits könne sie den fromm um Schutz flehenden uicht verstoßen, andrerseits
sei zu befürchten, daß die beleidigten Eumeniden das Land mit Pest schlügen.
Sie wolle aus den Edelsten des Volkes Richter wählen, die in diesem ersten
Falle und anch in alle Zukunft über Blutschuld zu richten hätten. So setzt
sie den Areopag ein.

In dem nun folgenden Wechselgesange der Erinnyen werden zwei Ge¬
danken ausgesprochen, die später Athene in andrer Form wiederholt:


Wohl den Menschen; alle Zeit dient zu ihrem Heil die Furcht,
Und ein Herzenshüter muß
Bleiben stets; Zucht in Thränen lernen frommt.
Wer, in dessen Sinne nicht
Weilt und wirket rechte Furcht,
Seis ein Mensch, ein Volk, ein Staat,
scheut aus eignem Trieb das Recht?
Weder drum nnregiert
Noch in Herrenjoch zu sein
Lobe du.

Nachdem sich der Areopag versammelt hat, erscheint Apoll als Sachwalter
des Angeklagten, den er auch uoch durch die Mitteilung entlastet, daß er, der
Gott, selbst ihn durch einen Orakelspruch angestiftet habe, den Mord des Baders
an der Mutter zu rächen. Athene macht sodann den Mitgliedern des neuen
Gerichtshofes ihre Pflicht klar. An diesen Berg werde hinfort geknüpft sein
des Volkes Ehrfurcht, und ihre Schwester Furcht werde dem Frevel wehren
Tag und Nacht.


Nicht uuregiert und nicht gewaltbeherrscht zu sein,
Das sei dem Volk, fürsorgend rat ichs, hoch und wert!
Und nicht entfernt euch alles Furcht erweckende;
Denn welcher bleibet, wenn er nichts mehr scheut, gerecht?


Gerecht bewahret, höher» Rechts als selbst der Eid.
Und bist du ihnen, wenn sie sich morden, lau genug,
Sie nicht zu strafen, nicht ergrimmt sie anfznspähn,
So lengn' ich, daß Orestes du verfolgst mit Recht;
Denn dies, ich weiß es, sehr erfüllt es dich mit Zorn,
Das andre straffe du sichtlich viel gelassener.
Pallas Athene wird erforschen, was da Recht.

Im nächsten Akt erscheint Orest am Pallasaltar in Athen. Die Ermüden
folgen nach, erspähen ihn, drohen, ihm das Blut aufzufangen („lebendig mußt
du mich laben, nicht geschlachtet erst"), und schlingen um ihn den Reigen, in
grausem Gesang ihr Amt verkündigend: „Frevlern, deren Haupt sich gottlosen
Blutgreuel auflud, uachzuspähn, nachzuziehen, sie mit Verstörung, Wirrsinn,
Wahnsinn zu plagen, bis sie birgt Grabes Nacht; tot auch siud sie uicht er¬
löst." Athene erscheint, verhört die Klägerinnen und den Angeklagten, der
noch für sich anführt, daß seine Hand nicht mehr blutbefleckt, sondern durch
ein Opfer gereinigt sei, und erklärt dann, der Fall sei sehr schwierig; einer¬
seits könne sie den fromm um Schutz flehenden uicht verstoßen, andrerseits
sei zu befürchten, daß die beleidigten Eumeniden das Land mit Pest schlügen.
Sie wolle aus den Edelsten des Volkes Richter wählen, die in diesem ersten
Falle und anch in alle Zukunft über Blutschuld zu richten hätten. So setzt
sie den Areopag ein.

In dem nun folgenden Wechselgesange der Erinnyen werden zwei Ge¬
danken ausgesprochen, die später Athene in andrer Form wiederholt:


Wohl den Menschen; alle Zeit dient zu ihrem Heil die Furcht,
Und ein Herzenshüter muß
Bleiben stets; Zucht in Thränen lernen frommt.
Wer, in dessen Sinne nicht
Weilt und wirket rechte Furcht,
Seis ein Mensch, ein Volk, ein Staat,
scheut aus eignem Trieb das Recht?
Weder drum nnregiert
Noch in Herrenjoch zu sein
Lobe du.

Nachdem sich der Areopag versammelt hat, erscheint Apoll als Sachwalter
des Angeklagten, den er auch uoch durch die Mitteilung entlastet, daß er, der
Gott, selbst ihn durch einen Orakelspruch angestiftet habe, den Mord des Baders
an der Mutter zu rächen. Athene macht sodann den Mitgliedern des neuen
Gerichtshofes ihre Pflicht klar. An diesen Berg werde hinfort geknüpft sein
des Volkes Ehrfurcht, und ihre Schwester Furcht werde dem Frevel wehren
Tag und Nacht.


Nicht uuregiert und nicht gewaltbeherrscht zu sein,
Das sei dem Volk, fürsorgend rat ichs, hoch und wert!
Und nicht entfernt euch alles Furcht erweckende;
Denn welcher bleibet, wenn er nichts mehr scheut, gerecht?

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[0132] Gerecht bewahret, höher» Rechts als selbst der Eid. Und bist du ihnen, wenn sie sich morden, lau genug, Sie nicht zu strafen, nicht ergrimmt sie anfznspähn, So lengn' ich, daß Orestes du verfolgst mit Recht; Denn dies, ich weiß es, sehr erfüllt es dich mit Zorn, Das andre straffe du sichtlich viel gelassener. Pallas Athene wird erforschen, was da Recht. Im nächsten Akt erscheint Orest am Pallasaltar in Athen. Die Ermüden folgen nach, erspähen ihn, drohen, ihm das Blut aufzufangen („lebendig mußt du mich laben, nicht geschlachtet erst"), und schlingen um ihn den Reigen, in grausem Gesang ihr Amt verkündigend: „Frevlern, deren Haupt sich gottlosen Blutgreuel auflud, uachzuspähn, nachzuziehen, sie mit Verstörung, Wirrsinn, Wahnsinn zu plagen, bis sie birgt Grabes Nacht; tot auch siud sie uicht er¬ löst." Athene erscheint, verhört die Klägerinnen und den Angeklagten, der noch für sich anführt, daß seine Hand nicht mehr blutbefleckt, sondern durch ein Opfer gereinigt sei, und erklärt dann, der Fall sei sehr schwierig; einer¬ seits könne sie den fromm um Schutz flehenden uicht verstoßen, andrerseits sei zu befürchten, daß die beleidigten Eumeniden das Land mit Pest schlügen. Sie wolle aus den Edelsten des Volkes Richter wählen, die in diesem ersten Falle und anch in alle Zukunft über Blutschuld zu richten hätten. So setzt sie den Areopag ein. In dem nun folgenden Wechselgesange der Erinnyen werden zwei Ge¬ danken ausgesprochen, die später Athene in andrer Form wiederholt: Wohl den Menschen; alle Zeit dient zu ihrem Heil die Furcht, Und ein Herzenshüter muß Bleiben stets; Zucht in Thränen lernen frommt. Wer, in dessen Sinne nicht Weilt und wirket rechte Furcht, Seis ein Mensch, ein Volk, ein Staat, scheut aus eignem Trieb das Recht? Weder drum nnregiert Noch in Herrenjoch zu sein Lobe du. Nachdem sich der Areopag versammelt hat, erscheint Apoll als Sachwalter des Angeklagten, den er auch uoch durch die Mitteilung entlastet, daß er, der Gott, selbst ihn durch einen Orakelspruch angestiftet habe, den Mord des Baders an der Mutter zu rächen. Athene macht sodann den Mitgliedern des neuen Gerichtshofes ihre Pflicht klar. An diesen Berg werde hinfort geknüpft sein des Volkes Ehrfurcht, und ihre Schwester Furcht werde dem Frevel wehren Tag und Nacht. Nicht uuregiert und nicht gewaltbeherrscht zu sein, Das sei dem Volk, fürsorgend rat ichs, hoch und wert! Und nicht entfernt euch alles Furcht erweckende; Denn welcher bleibet, wenn er nichts mehr scheut, gerecht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/132>, abgerufen am 23.11.2024.