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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Ltatsrats

wenn er noch ein beschäftigter Beamter gewesen wäre. Dann hätte ihm wohl
die Sorge um die Stadt und um die tausend Kleinigkeiten, mit denen er sich
zu quälen gehabt hatte, jeden andern Gedanken aus dem Kopfe getrieben.
Aber er hatte nichts mehr zu thun und zu denken, als das, was ihm jetzt
vor die Seele trat, und so dachte er denn an Therese. Nicht bloß diesen
Abend, sondern uoch viele Tage hinterher, sodaß die Stammtischgeschichte, an
der er innerlich schon tagelang gearbeitet hatte, wieder seinem Gedächtnis ent¬
schwand.

Er versuchte sogar, Frau von Ehrenberg seine Aufwartung zu machen.
Aber sie war ausgegangen, und da sie bald wieder abreiste, so sah er sie über¬
haupt nicht wieder. Aber das hinderte ihn nicht, sie zärtlich, glühend, leiden¬
schaftlich zu lieben. Freilich nach seiner Weise. Stundenlang ging er einsam
unter dem Vanmreihen am Wasser spazieren und dachte der Zeiten, wo er
nicht allein hier gegangen war. Hatte er wirklich selbst sein Glück leichtfertig
verscherzt? fragte er sich. Und dann hörte er die breite Stimme des Emeritus
sagen: Jede Schuld rächt sich auf Erden! Dann fluchte der Etatsrat; nicht
auf sich, sondern ans den Pastor, und dann versuchte er an seine selige Frau
zu denken, die ihm ein so schönes Vermögen hinterlassen hatte. Aber man
muß in der Übung sein, wenn man recht nachdrücklich an jemanden denken
will; der Etatsrat war gar nicht gewohnt, sich mit dem Andenken an seine
Frau zu beschäftigen, und so flatterten seine Gedanken immer wieder zurück
zu Therese.

Mich deucht, Sie essen man siecht! sagte Mamsell Reimers eines Tages
zu ihm. Hab ich Sie die Enten nich zu Dank gebraten, denn müssen Sie
mich das offen sagen, denn bis dahin hab ich all mein Herrschaftens zufrieden
gestellt mit das Essen!

Der Etatsrat und seine Haushälterin saßen vor einem appetitlich duftenden
Entenbraten, und Lauritzen hatte gut gegessen, wenn auch nicht mit dem alten
Appetit. Nun schüttelte er den Kopf. Ich bin mit Ihnen zufrieden, Mamsell,
sagte er feierlich. Sie sorgen gut für mich, und die Enten könnten gar nicht
besser sein. Wenn man aber ein Herz hat -- hier stockte er einen Augenblick,
und dann begann er sein Leid zu erzählen. Es war eigentlich keine Geschichte
für eine so ungebildete Person, aber er fühlte das Bedürfnis, sich einmal aus-
zusprechen.

Mamsell Reimers hörte ihm still zu, während sie ihm eine Tasse Kaffee
einschenkte. Als er geendet hatte, sagte sie: Nu nehmen Sie man einen
Stück Kaffee, und denn regen Sie sich nich auf. Man ümmer viel spazieren
gehen, und denn zu Mittag ein guten Braten, denn geht es wieder über mit
Ihren Herzen. Mich deucht, Sie sind ein büschen zu alt für die Liebe, und
was die Frau von Ehrenberg is, die hat" Mann un sechs Kinuers, und ich
"laub nich, daß sie Ihnen nimmt!


Die Geschichte des Ltatsrats

wenn er noch ein beschäftigter Beamter gewesen wäre. Dann hätte ihm wohl
die Sorge um die Stadt und um die tausend Kleinigkeiten, mit denen er sich
zu quälen gehabt hatte, jeden andern Gedanken aus dem Kopfe getrieben.
Aber er hatte nichts mehr zu thun und zu denken, als das, was ihm jetzt
vor die Seele trat, und so dachte er denn an Therese. Nicht bloß diesen
Abend, sondern uoch viele Tage hinterher, sodaß die Stammtischgeschichte, an
der er innerlich schon tagelang gearbeitet hatte, wieder seinem Gedächtnis ent¬
schwand.

Er versuchte sogar, Frau von Ehrenberg seine Aufwartung zu machen.
Aber sie war ausgegangen, und da sie bald wieder abreiste, so sah er sie über¬
haupt nicht wieder. Aber das hinderte ihn nicht, sie zärtlich, glühend, leiden¬
schaftlich zu lieben. Freilich nach seiner Weise. Stundenlang ging er einsam
unter dem Vanmreihen am Wasser spazieren und dachte der Zeiten, wo er
nicht allein hier gegangen war. Hatte er wirklich selbst sein Glück leichtfertig
verscherzt? fragte er sich. Und dann hörte er die breite Stimme des Emeritus
sagen: Jede Schuld rächt sich auf Erden! Dann fluchte der Etatsrat; nicht
auf sich, sondern ans den Pastor, und dann versuchte er an seine selige Frau
zu denken, die ihm ein so schönes Vermögen hinterlassen hatte. Aber man
muß in der Übung sein, wenn man recht nachdrücklich an jemanden denken
will; der Etatsrat war gar nicht gewohnt, sich mit dem Andenken an seine
Frau zu beschäftigen, und so flatterten seine Gedanken immer wieder zurück
zu Therese.

Mich deucht, Sie essen man siecht! sagte Mamsell Reimers eines Tages
zu ihm. Hab ich Sie die Enten nich zu Dank gebraten, denn müssen Sie
mich das offen sagen, denn bis dahin hab ich all mein Herrschaftens zufrieden
gestellt mit das Essen!

Der Etatsrat und seine Haushälterin saßen vor einem appetitlich duftenden
Entenbraten, und Lauritzen hatte gut gegessen, wenn auch nicht mit dem alten
Appetit. Nun schüttelte er den Kopf. Ich bin mit Ihnen zufrieden, Mamsell,
sagte er feierlich. Sie sorgen gut für mich, und die Enten könnten gar nicht
besser sein. Wenn man aber ein Herz hat — hier stockte er einen Augenblick,
und dann begann er sein Leid zu erzählen. Es war eigentlich keine Geschichte
für eine so ungebildete Person, aber er fühlte das Bedürfnis, sich einmal aus-
zusprechen.

Mamsell Reimers hörte ihm still zu, während sie ihm eine Tasse Kaffee
einschenkte. Als er geendet hatte, sagte sie: Nu nehmen Sie man einen
Stück Kaffee, und denn regen Sie sich nich auf. Man ümmer viel spazieren
gehen, und denn zu Mittag ein guten Braten, denn geht es wieder über mit
Ihren Herzen. Mich deucht, Sie sind ein büschen zu alt für die Liebe, und
was die Frau von Ehrenberg is, die hat» Mann un sechs Kinuers, und ich
»laub nich, daß sie Ihnen nimmt!


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[0089] Die Geschichte des Ltatsrats wenn er noch ein beschäftigter Beamter gewesen wäre. Dann hätte ihm wohl die Sorge um die Stadt und um die tausend Kleinigkeiten, mit denen er sich zu quälen gehabt hatte, jeden andern Gedanken aus dem Kopfe getrieben. Aber er hatte nichts mehr zu thun und zu denken, als das, was ihm jetzt vor die Seele trat, und so dachte er denn an Therese. Nicht bloß diesen Abend, sondern uoch viele Tage hinterher, sodaß die Stammtischgeschichte, an der er innerlich schon tagelang gearbeitet hatte, wieder seinem Gedächtnis ent¬ schwand. Er versuchte sogar, Frau von Ehrenberg seine Aufwartung zu machen. Aber sie war ausgegangen, und da sie bald wieder abreiste, so sah er sie über¬ haupt nicht wieder. Aber das hinderte ihn nicht, sie zärtlich, glühend, leiden¬ schaftlich zu lieben. Freilich nach seiner Weise. Stundenlang ging er einsam unter dem Vanmreihen am Wasser spazieren und dachte der Zeiten, wo er nicht allein hier gegangen war. Hatte er wirklich selbst sein Glück leichtfertig verscherzt? fragte er sich. Und dann hörte er die breite Stimme des Emeritus sagen: Jede Schuld rächt sich auf Erden! Dann fluchte der Etatsrat; nicht auf sich, sondern ans den Pastor, und dann versuchte er an seine selige Frau zu denken, die ihm ein so schönes Vermögen hinterlassen hatte. Aber man muß in der Übung sein, wenn man recht nachdrücklich an jemanden denken will; der Etatsrat war gar nicht gewohnt, sich mit dem Andenken an seine Frau zu beschäftigen, und so flatterten seine Gedanken immer wieder zurück zu Therese. Mich deucht, Sie essen man siecht! sagte Mamsell Reimers eines Tages zu ihm. Hab ich Sie die Enten nich zu Dank gebraten, denn müssen Sie mich das offen sagen, denn bis dahin hab ich all mein Herrschaftens zufrieden gestellt mit das Essen! Der Etatsrat und seine Haushälterin saßen vor einem appetitlich duftenden Entenbraten, und Lauritzen hatte gut gegessen, wenn auch nicht mit dem alten Appetit. Nun schüttelte er den Kopf. Ich bin mit Ihnen zufrieden, Mamsell, sagte er feierlich. Sie sorgen gut für mich, und die Enten könnten gar nicht besser sein. Wenn man aber ein Herz hat — hier stockte er einen Augenblick, und dann begann er sein Leid zu erzählen. Es war eigentlich keine Geschichte für eine so ungebildete Person, aber er fühlte das Bedürfnis, sich einmal aus- zusprechen. Mamsell Reimers hörte ihm still zu, während sie ihm eine Tasse Kaffee einschenkte. Als er geendet hatte, sagte sie: Nu nehmen Sie man einen Stück Kaffee, und denn regen Sie sich nich auf. Man ümmer viel spazieren gehen, und denn zu Mittag ein guten Braten, denn geht es wieder über mit Ihren Herzen. Mich deucht, Sie sind ein büschen zu alt für die Liebe, und was die Frau von Ehrenberg is, die hat» Mann un sechs Kinuers, und ich »laub nich, daß sie Ihnen nimmt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/89>, abgerufen am 02.07.2024.