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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Ltatsrats

Peter Lauritzcn war schon über ein halbes Jahr in der kleinen Stadt;
da wurde er wieder einmal von den drei Komtessen zum Thee geladen. Er
ging ungern hin, weil er seit mehreren Tagen angefangen hatte, sich eine Ge¬
schichte für den Stammtisch auszudenken. Aber er konnte es doch nicht übers
Herz bringen, die Gelegenheit, mit drei Komtessen zusammen Thee zu trinken,
leichtsinnig von der Hand zu weisen. So stellte er sich denn rechtzeitig ein,
und seine Perücke war so glatt gebürstet, seine Haltung so feierlich, daß man
ihm den Etatsrat der dritten Rangklasse schon auf weite Entfernung ansah.

Komtesse Jsidvre kam ihm, nachdem er ins Zimmer getreten war, freund¬
lich entgegen. Sie war von Herzen gut und hätte gern der ganzen Welt
öfter ein kleines Vergnügen gemacht; auch Peter Lauritzen, obgleich er ihr
sonst nicht sympathisch war. Lieber Etatsrat, sagte sie, ich habe eine Über¬
raschung für Sie! Kommen Sie, ich will Sie Frau von Ehrenberg vor¬
stellen!

Erstaunt und etwas aus der Fassung gebracht verbeugte sich der Bor-
gestellte vor einer ältern, stattlichen Dame.

Frau von Ehrenberg streckte ihm lächelnd die Hand entgegen und sagte:
Sie haben mich wohl ganz vergessen, Herr Etatsrat?

Er sah in ihre schonen grauen Augen, und plötzlich stockte ihm der Atem.

Therese!

Also Sie erkennen mich doch? Ich beneide Sie um Ihr gutes Gedächtnis;
ich glaube nicht, daß ich Sie erkannt haben würde!

Wer nach dreißig Jahren seine erste Liebe wiedersieht, der hadert gewöhn¬
lich mit dem Schicksal, das auch noch diese Enttäuschung über ihn verhängt.
Aber Lauritzen stand regungslos und blickte wie verzaubert in die lebhaften
Züge Theresens. Länger als dreißig Jahre hatte er keine Stunde an sie ge¬
dacht, und nun kam es ihm vor, als hätte er sie nie vergessen. Therese!
flüsterte er noch einmal.

Frau von Ehrenberg zog die Augenbrauen etwas in die Höhe. Daß er
sie das erstemal bei ihrem Vornamen genannt hatte, fand sie begreiflich; das
zweitemal aber erschien es ihr überflüssig. Es freut mich, Sie einmal wieder
gesehen zu haben, lieber Herr Lauritzen, sagte sie etwas herablassend, dann
wandte sie sich schnell ab.

Sie sprach auch den ganzen Abend nicht wieder mit ihm. Nicht, weil
sie ihn hätte absichtlich schlecht behandeln wollen, sondern weil er ihr gänzlich
gleichgiltig war. Vor langen Jahren hatte sie einem frischen, jungen Menschen
ihre erste Liebe geschenkt, und er brach ihr die Treue; das hatte auf ihre
Jugend tiefe Schatten geworfen. Aber der Schmerz war längst verwunden,
und daß jener steife alte Mann früher jung und lustig gewesen sei, das konnte
sie sich gar nicht denken. Deshalb vergaß sie den Etatsrat auch in derselben
Minute, wo sie sich von ihm wandte. Vielleicht Hütte er es auch so gemacht,


Die Geschichte des Ltatsrats

Peter Lauritzcn war schon über ein halbes Jahr in der kleinen Stadt;
da wurde er wieder einmal von den drei Komtessen zum Thee geladen. Er
ging ungern hin, weil er seit mehreren Tagen angefangen hatte, sich eine Ge¬
schichte für den Stammtisch auszudenken. Aber er konnte es doch nicht übers
Herz bringen, die Gelegenheit, mit drei Komtessen zusammen Thee zu trinken,
leichtsinnig von der Hand zu weisen. So stellte er sich denn rechtzeitig ein,
und seine Perücke war so glatt gebürstet, seine Haltung so feierlich, daß man
ihm den Etatsrat der dritten Rangklasse schon auf weite Entfernung ansah.

Komtesse Jsidvre kam ihm, nachdem er ins Zimmer getreten war, freund¬
lich entgegen. Sie war von Herzen gut und hätte gern der ganzen Welt
öfter ein kleines Vergnügen gemacht; auch Peter Lauritzen, obgleich er ihr
sonst nicht sympathisch war. Lieber Etatsrat, sagte sie, ich habe eine Über¬
raschung für Sie! Kommen Sie, ich will Sie Frau von Ehrenberg vor¬
stellen!

Erstaunt und etwas aus der Fassung gebracht verbeugte sich der Bor-
gestellte vor einer ältern, stattlichen Dame.

Frau von Ehrenberg streckte ihm lächelnd die Hand entgegen und sagte:
Sie haben mich wohl ganz vergessen, Herr Etatsrat?

Er sah in ihre schonen grauen Augen, und plötzlich stockte ihm der Atem.

Therese!

Also Sie erkennen mich doch? Ich beneide Sie um Ihr gutes Gedächtnis;
ich glaube nicht, daß ich Sie erkannt haben würde!

Wer nach dreißig Jahren seine erste Liebe wiedersieht, der hadert gewöhn¬
lich mit dem Schicksal, das auch noch diese Enttäuschung über ihn verhängt.
Aber Lauritzen stand regungslos und blickte wie verzaubert in die lebhaften
Züge Theresens. Länger als dreißig Jahre hatte er keine Stunde an sie ge¬
dacht, und nun kam es ihm vor, als hätte er sie nie vergessen. Therese!
flüsterte er noch einmal.

Frau von Ehrenberg zog die Augenbrauen etwas in die Höhe. Daß er
sie das erstemal bei ihrem Vornamen genannt hatte, fand sie begreiflich; das
zweitemal aber erschien es ihr überflüssig. Es freut mich, Sie einmal wieder
gesehen zu haben, lieber Herr Lauritzen, sagte sie etwas herablassend, dann
wandte sie sich schnell ab.

Sie sprach auch den ganzen Abend nicht wieder mit ihm. Nicht, weil
sie ihn hätte absichtlich schlecht behandeln wollen, sondern weil er ihr gänzlich
gleichgiltig war. Vor langen Jahren hatte sie einem frischen, jungen Menschen
ihre erste Liebe geschenkt, und er brach ihr die Treue; das hatte auf ihre
Jugend tiefe Schatten geworfen. Aber der Schmerz war längst verwunden,
und daß jener steife alte Mann früher jung und lustig gewesen sei, das konnte
sie sich gar nicht denken. Deshalb vergaß sie den Etatsrat auch in derselben
Minute, wo sie sich von ihm wandte. Vielleicht Hütte er es auch so gemacht,


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[0088] Die Geschichte des Ltatsrats Peter Lauritzcn war schon über ein halbes Jahr in der kleinen Stadt; da wurde er wieder einmal von den drei Komtessen zum Thee geladen. Er ging ungern hin, weil er seit mehreren Tagen angefangen hatte, sich eine Ge¬ schichte für den Stammtisch auszudenken. Aber er konnte es doch nicht übers Herz bringen, die Gelegenheit, mit drei Komtessen zusammen Thee zu trinken, leichtsinnig von der Hand zu weisen. So stellte er sich denn rechtzeitig ein, und seine Perücke war so glatt gebürstet, seine Haltung so feierlich, daß man ihm den Etatsrat der dritten Rangklasse schon auf weite Entfernung ansah. Komtesse Jsidvre kam ihm, nachdem er ins Zimmer getreten war, freund¬ lich entgegen. Sie war von Herzen gut und hätte gern der ganzen Welt öfter ein kleines Vergnügen gemacht; auch Peter Lauritzen, obgleich er ihr sonst nicht sympathisch war. Lieber Etatsrat, sagte sie, ich habe eine Über¬ raschung für Sie! Kommen Sie, ich will Sie Frau von Ehrenberg vor¬ stellen! Erstaunt und etwas aus der Fassung gebracht verbeugte sich der Bor- gestellte vor einer ältern, stattlichen Dame. Frau von Ehrenberg streckte ihm lächelnd die Hand entgegen und sagte: Sie haben mich wohl ganz vergessen, Herr Etatsrat? Er sah in ihre schonen grauen Augen, und plötzlich stockte ihm der Atem. Therese! Also Sie erkennen mich doch? Ich beneide Sie um Ihr gutes Gedächtnis; ich glaube nicht, daß ich Sie erkannt haben würde! Wer nach dreißig Jahren seine erste Liebe wiedersieht, der hadert gewöhn¬ lich mit dem Schicksal, das auch noch diese Enttäuschung über ihn verhängt. Aber Lauritzen stand regungslos und blickte wie verzaubert in die lebhaften Züge Theresens. Länger als dreißig Jahre hatte er keine Stunde an sie ge¬ dacht, und nun kam es ihm vor, als hätte er sie nie vergessen. Therese! flüsterte er noch einmal. Frau von Ehrenberg zog die Augenbrauen etwas in die Höhe. Daß er sie das erstemal bei ihrem Vornamen genannt hatte, fand sie begreiflich; das zweitemal aber erschien es ihr überflüssig. Es freut mich, Sie einmal wieder gesehen zu haben, lieber Herr Lauritzen, sagte sie etwas herablassend, dann wandte sie sich schnell ab. Sie sprach auch den ganzen Abend nicht wieder mit ihm. Nicht, weil sie ihn hätte absichtlich schlecht behandeln wollen, sondern weil er ihr gänzlich gleichgiltig war. Vor langen Jahren hatte sie einem frischen, jungen Menschen ihre erste Liebe geschenkt, und er brach ihr die Treue; das hatte auf ihre Jugend tiefe Schatten geworfen. Aber der Schmerz war längst verwunden, und daß jener steife alte Mann früher jung und lustig gewesen sei, das konnte sie sich gar nicht denken. Deshalb vergaß sie den Etatsrat auch in derselben Minute, wo sie sich von ihm wandte. Vielleicht Hütte er es auch so gemacht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/88>, abgerufen am 03.07.2024.