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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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anders, als seine Haushälterin, Mamsell Renners. Die war zwar durchaus
keine standesgemäße Person, aber er mußte doch einmal sein Herz aus¬
schütten.

Er kam gerade vom Stammtische, wo der alte Pastor heute wieder das
Wort geführt und förmlich eine Rolle gespielt hatte. Nicht bloß der Geheim¬
rat und die andre Gesellschaft hatte über seine Schnurren gelacht; auch ein
vornehmer Fremder, ein Baron, hatte sich am Tische niedergelassen und war
voller Huld gegen den Emeritus gewesen.

Wenn ich nur wüßte, was die Leute an diesem gewöhnlichen Kerl finden!
murrte der Etatsrat, als ihm seine Mamsell den Thee einschenkte. Er hat
keinen einzigen Orden, ist bloß Emeritus und trinkt meinen Punsch aus!

Abers er veramüsirt die Herrschaften! sagte Mamsell Reimers bedächtig.
Ein gewöhnlichen Mann is er ja natürlicheweise; sonstens würd ihm ja das
Minesterium nich abgeswenkt haben, was ja beim Pastoren gnrnich leicht sein
soll. Abers er kann was verzählen.

Er ist abgesetzt? fragte Lanritzen neugierig.

Seine Haushälterin nickte.

Ich hab ein Onkel, den sein Kasine war gerade Köchin in den Pastor
sein frühere Gemeinde, als das nu nich langer mehr ging. Ein flechten Mann
war er ja nich, und was die Predigt gewesen is, so konnt man da auch nix
gegen sagen. Abers der Pastor war ein büschen stimm bei die Hochzeiten
und Kindtaufens. Er nahm sich ümmer so viel Tortens mit, weil er so gern
Kuchen mochte. So fnrchbar viel that das ja nun nich; die Leute wußten
das alle und paßten auf, daß er nich gleich die allerbesten in die Fingers
kriegte; abers als es un auch an die Kalbsbratens ging und an die gekochten
Schinkens, da mochten sie es nich mehr. Dn ist es ja woll an das Mine¬
sterium geschrieben worden. Das war aber noch nich allens. Als der Pastor
einmal aufn Ostersonntag predigte und das Evangelium von die Auferstehung
lesen sollte, da vergriff er sich in die Papierens und las vor, daß sein Frau
ihr gesticktes Taschentuch verloren hätt. Das war natürlich ein Irrtum, er
hatt die Anzeige vorn Kirchengebet lesen wollen. Abers viele von die Ge¬
meinde meinten doch, das wär doch kein rechte Predigt, wo das gestickte
Taschentuch von die Frau Pastorn in vorkäme, wo sie alle Hütten bei auf¬
stehe" müssen, gerade wie bein Evangelium. Da is das denn auch nach
Kopenhagen geschrieben worden, und der Pastor mußt abgehen.

Mamsell Reimers konnte sehr behaglich erzählen, und wenn der Etatsrat
klug gewesen wäre, so hätte er von seiner Haushälterin gelernt, wie man
kleine Geschichten vorträgt. Aber er war nach seiner Ansicht schon viel zu
klug, um noch etwas lernen zu können. Das einzige, was er der Mitteilung
von Mamsell Reimers entnahm, war, daß er den Emeritus noch mehr als
früher verachtete.


anders, als seine Haushälterin, Mamsell Renners. Die war zwar durchaus
keine standesgemäße Person, aber er mußte doch einmal sein Herz aus¬
schütten.

Er kam gerade vom Stammtische, wo der alte Pastor heute wieder das
Wort geführt und förmlich eine Rolle gespielt hatte. Nicht bloß der Geheim¬
rat und die andre Gesellschaft hatte über seine Schnurren gelacht; auch ein
vornehmer Fremder, ein Baron, hatte sich am Tische niedergelassen und war
voller Huld gegen den Emeritus gewesen.

Wenn ich nur wüßte, was die Leute an diesem gewöhnlichen Kerl finden!
murrte der Etatsrat, als ihm seine Mamsell den Thee einschenkte. Er hat
keinen einzigen Orden, ist bloß Emeritus und trinkt meinen Punsch aus!

Abers er veramüsirt die Herrschaften! sagte Mamsell Reimers bedächtig.
Ein gewöhnlichen Mann is er ja natürlicheweise; sonstens würd ihm ja das
Minesterium nich abgeswenkt haben, was ja beim Pastoren gnrnich leicht sein
soll. Abers er kann was verzählen.

Er ist abgesetzt? fragte Lanritzen neugierig.

Seine Haushälterin nickte.

Ich hab ein Onkel, den sein Kasine war gerade Köchin in den Pastor
sein frühere Gemeinde, als das nu nich langer mehr ging. Ein flechten Mann
war er ja nich, und was die Predigt gewesen is, so konnt man da auch nix
gegen sagen. Abers der Pastor war ein büschen stimm bei die Hochzeiten
und Kindtaufens. Er nahm sich ümmer so viel Tortens mit, weil er so gern
Kuchen mochte. So fnrchbar viel that das ja nun nich; die Leute wußten
das alle und paßten auf, daß er nich gleich die allerbesten in die Fingers
kriegte; abers als es un auch an die Kalbsbratens ging und an die gekochten
Schinkens, da mochten sie es nich mehr. Dn ist es ja woll an das Mine¬
sterium geschrieben worden. Das war aber noch nich allens. Als der Pastor
einmal aufn Ostersonntag predigte und das Evangelium von die Auferstehung
lesen sollte, da vergriff er sich in die Papierens und las vor, daß sein Frau
ihr gesticktes Taschentuch verloren hätt. Das war natürlich ein Irrtum, er
hatt die Anzeige vorn Kirchengebet lesen wollen. Abers viele von die Ge¬
meinde meinten doch, das wär doch kein rechte Predigt, wo das gestickte
Taschentuch von die Frau Pastorn in vorkäme, wo sie alle Hütten bei auf¬
stehe» müssen, gerade wie bein Evangelium. Da is das denn auch nach
Kopenhagen geschrieben worden, und der Pastor mußt abgehen.

Mamsell Reimers konnte sehr behaglich erzählen, und wenn der Etatsrat
klug gewesen wäre, so hätte er von seiner Haushälterin gelernt, wie man
kleine Geschichten vorträgt. Aber er war nach seiner Ansicht schon viel zu
klug, um noch etwas lernen zu können. Das einzige, was er der Mitteilung
von Mamsell Reimers entnahm, war, daß er den Emeritus noch mehr als
früher verachtete.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/87>, abgerufen am 01.07.2024.