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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Proletarierdichtcr und proletarierlicder

Und Wenn die Badegäste heimwärts gezogen sind, dann kommt "euer Zeit¬
vertreib :

In der Großstadt begegnen sich die schroffsten Gegensätze, der übertriebenste
Luxus und die erbärmlichste Not, das Ostende jammert, das Westendviertel
jubelt. In der Woche hat der Westen "keine Zeit," sich um das Elend des
Ostens zu kümmern, weil er rechnen und verdienen muß, und am Sonntag
will er sich seine Stimmung nicht verderben lassen, am Sonntag will er nichts
vom Frieren und Hungern hören; darum weis; er vom Osten nichts, "und
wenig frommt zu wissen anch, wie dorten man verkommt."

Besonders eindringlich versteht Autors die Not der Ärmsten darzustellen.
In einem epischen Gedicht von ihm "Manu über Bord" macht ein Trimmer,
einer der Heizer, die in dem Maschinenranm der Schiffskolosse ein klägliches
Dasein führen, seinem Leben dnrch einen Sprung über die Reeling ein rasches
Ende; der Kapitän läßt die Boote nicht aussetzen, um nicht die kostbare Zeit
"solchen Falles wegen" zu vertrödeln. In einem Gedicht "Die Barbaren"
zieht er zwischen Russen und Deutschen einen Vergleich; er hat in Rußland
nichts davon bemerkt, daß dort, wie die Sage geht, Talglichter verspeist
würden, aber

Im gelobten germanischen Land,
Ohr zu verziehen die Miene,
Ernährt sich der schaffende vierte Stand
Bon Talg, genannt "Margarine."
Und in den größeren Städten anch
Sind überall Roßschlächtereien,
Das ist bei uns schon lange so Brauch -
Wer sagt, daß Barbaren wir seien?

Bessere Behandlung und bessere Lebenshaltung also verlangt die Sozial-
demokratie für das Proletariat. Eine andre Forderung von ihr ist die Fest¬
stellung eines Nvrmalarbcitslagcs, damit der Arbeiter Zeit zur Ruhe und
zum Lebensgenuß erhalte. Der Arbeiter kann den ihm zukommenden Anteil
an den (Al'^onM" nicht erheben, wenn ihm dnrch die nervöse Hast der modernen
Gewerbsthätigkeit alle freie Zeit verkümmert wird. Sehr schön ist der von
Scheu gelegentlich angestellte Vergleich deS Menschen von heute mit einer
legenden Lokomotive, "dem Wnndergetier mit den ehernen Flügeln und Lungen."


Proletarierdichtcr und proletarierlicder

Und Wenn die Badegäste heimwärts gezogen sind, dann kommt »euer Zeit¬
vertreib :

In der Großstadt begegnen sich die schroffsten Gegensätze, der übertriebenste
Luxus und die erbärmlichste Not, das Ostende jammert, das Westendviertel
jubelt. In der Woche hat der Westen „keine Zeit," sich um das Elend des
Ostens zu kümmern, weil er rechnen und verdienen muß, und am Sonntag
will er sich seine Stimmung nicht verderben lassen, am Sonntag will er nichts
vom Frieren und Hungern hören; darum weis; er vom Osten nichts, „und
wenig frommt zu wissen anch, wie dorten man verkommt."

Besonders eindringlich versteht Autors die Not der Ärmsten darzustellen.
In einem epischen Gedicht von ihm „Manu über Bord" macht ein Trimmer,
einer der Heizer, die in dem Maschinenranm der Schiffskolosse ein klägliches
Dasein führen, seinem Leben dnrch einen Sprung über die Reeling ein rasches
Ende; der Kapitän läßt die Boote nicht aussetzen, um nicht die kostbare Zeit
„solchen Falles wegen" zu vertrödeln. In einem Gedicht „Die Barbaren"
zieht er zwischen Russen und Deutschen einen Vergleich; er hat in Rußland
nichts davon bemerkt, daß dort, wie die Sage geht, Talglichter verspeist
würden, aber

Im gelobten germanischen Land,
Ohr zu verziehen die Miene,
Ernährt sich der schaffende vierte Stand
Bon Talg, genannt „Margarine."
Und in den größeren Städten anch
Sind überall Roßschlächtereien,
Das ist bei uns schon lange so Brauch -
Wer sagt, daß Barbaren wir seien?

Bessere Behandlung und bessere Lebenshaltung also verlangt die Sozial-
demokratie für das Proletariat. Eine andre Forderung von ihr ist die Fest¬
stellung eines Nvrmalarbcitslagcs, damit der Arbeiter Zeit zur Ruhe und
zum Lebensgenuß erhalte. Der Arbeiter kann den ihm zukommenden Anteil
an den (Al'^onM» nicht erheben, wenn ihm dnrch die nervöse Hast der modernen
Gewerbsthätigkeit alle freie Zeit verkümmert wird. Sehr schön ist der von
Scheu gelegentlich angestellte Vergleich deS Menschen von heute mit einer
legenden Lokomotive, „dem Wnndergetier mit den ehernen Flügeln und Lungen."


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[0081] Proletarierdichtcr und proletarierlicder Und Wenn die Badegäste heimwärts gezogen sind, dann kommt »euer Zeit¬ vertreib : In der Großstadt begegnen sich die schroffsten Gegensätze, der übertriebenste Luxus und die erbärmlichste Not, das Ostende jammert, das Westendviertel jubelt. In der Woche hat der Westen „keine Zeit," sich um das Elend des Ostens zu kümmern, weil er rechnen und verdienen muß, und am Sonntag will er sich seine Stimmung nicht verderben lassen, am Sonntag will er nichts vom Frieren und Hungern hören; darum weis; er vom Osten nichts, „und wenig frommt zu wissen anch, wie dorten man verkommt." Besonders eindringlich versteht Autors die Not der Ärmsten darzustellen. In einem epischen Gedicht von ihm „Manu über Bord" macht ein Trimmer, einer der Heizer, die in dem Maschinenranm der Schiffskolosse ein klägliches Dasein führen, seinem Leben dnrch einen Sprung über die Reeling ein rasches Ende; der Kapitän läßt die Boote nicht aussetzen, um nicht die kostbare Zeit „solchen Falles wegen" zu vertrödeln. In einem Gedicht „Die Barbaren" zieht er zwischen Russen und Deutschen einen Vergleich; er hat in Rußland nichts davon bemerkt, daß dort, wie die Sage geht, Talglichter verspeist würden, aber Im gelobten germanischen Land, Ohr zu verziehen die Miene, Ernährt sich der schaffende vierte Stand Bon Talg, genannt „Margarine." Und in den größeren Städten anch Sind überall Roßschlächtereien, Das ist bei uns schon lange so Brauch - Wer sagt, daß Barbaren wir seien? Bessere Behandlung und bessere Lebenshaltung also verlangt die Sozial- demokratie für das Proletariat. Eine andre Forderung von ihr ist die Fest¬ stellung eines Nvrmalarbcitslagcs, damit der Arbeiter Zeit zur Ruhe und zum Lebensgenuß erhalte. Der Arbeiter kann den ihm zukommenden Anteil an den (Al'^onM» nicht erheben, wenn ihm dnrch die nervöse Hast der modernen Gewerbsthätigkeit alle freie Zeit verkümmert wird. Sehr schön ist der von Scheu gelegentlich angestellte Vergleich deS Menschen von heute mit einer legenden Lokomotive, „dem Wnndergetier mit den ehernen Flügeln und Lungen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/81>, abgerufen am 23.07.2024.