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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

herzlich als möglich, aus den Zügen beider Herrscher strahlte Freude des
Wiedersehens. Und in den nächsten Tagen boten allerlei Festlichkeiten, Rout
im Mirabellschlvsse, Theatervorstellung u. s. w., Gelegenheit, die glänzendste
Versammlung zu sehen, den Kaiser, den König, den Großherzog von Olden¬
burg, der gekommen zu sein schien, um -- verspätet -- seine Ansprüche auf
Holstein geltend zu machen, andre fürstliche Persönlichkeiten, die hochragende
Gestalt Vismarcks, die schlanke des österreichischen Ministers des Auswärtigen
Grafen Mensdorff-Pouilly, mit dem äußerst einnehmenden Gesicht, den als
Autor der Gasteiner Konvention zu eigentümlicher Berühmtheit gelangten hol¬
steinischen Grafen Vlome u. s. w. Dabei bewahrte Salzburg aufs angenehmste
den Charakter der kleinen Stadt, keine Volsansnmmlungen verrieten, daß sich
dort außerordentliches ereignete.

Freund Beckmann aber wandelte eines Tags mit einem Gesicht, in dem sich
verschiedenartige Empfindungen abspiegelten, und einen großen Rohrstock wie ein
Szepter tragend, in Salzburg umher, begrüßte jeden Bekannten, schien mit sich
zu kämpfen und sagte endlich feierlich-wehmütig: "Ein Geschenk des Königs!"
Dann schraubte er den großen Elfenbeinknopf ab und ließ die Büste des Königs
von Preußen aus demselben Material sehn. Sein mißtrauischer Blick schien
auszudrücken: "Wirst du anch so schlecht sein, zu fragen, ob ich den Stock
ins Knopfloch stecken kann?" Sicherlich haben ihm wenige diese kleine Bosheit
geschenkt. Auch er hatte von der "Entrevue" etwas andres gehofft.

Bei einer Begegnung im Juni des folgenden Jahres fragte ich ihn, ob
er seine Ferien wie gewöhnlich in Karlsbad zubringen werde? Er antwortete,
dort sei es bei den Zeitläuften zu gefährlich. "Wer wird Ihnen etwas thun!"
sagte ich und setzte, weil er so bekümmert dreinschaute, hinzu, wenn ihm wirk¬
lich eine Kanonenkugel in den Becher fallen sollte, würde sie ja sofort erlöschen,
höchstens die Temperatur des Wassers steigern. Er beantwortete den Scherz
mit einem derbern, aber ich sah wohl, daß ihm die Sache keineswegs spaßhaft
vorkam. Er ging in der That nicht nach Karlsbad, was ihm doch seit langen
Jahren Bedürfnis war, sondern ins Gebirge, mußte sich einer Operation unter-
ziehn, die ungeschickt ausgeführt wurde, und kam elend ums Leben -- aus
Furcht vor dem Tode, könnte man sagen, jedenfalls ein unschuldiges Opfer
des Krieges.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der russische Bauer.

Für uns Deutsche haben die innern Zustände
Rußlands ein unmittelbar praktisches Interesse, und so sind die vielbesprochnen
Leiden seines Bauernstandes, der 82 Prozent der Bevölkerung ausmacht und im


Maßgebliches und Unmaßgebliches

herzlich als möglich, aus den Zügen beider Herrscher strahlte Freude des
Wiedersehens. Und in den nächsten Tagen boten allerlei Festlichkeiten, Rout
im Mirabellschlvsse, Theatervorstellung u. s. w., Gelegenheit, die glänzendste
Versammlung zu sehen, den Kaiser, den König, den Großherzog von Olden¬
burg, der gekommen zu sein schien, um — verspätet — seine Ansprüche auf
Holstein geltend zu machen, andre fürstliche Persönlichkeiten, die hochragende
Gestalt Vismarcks, die schlanke des österreichischen Ministers des Auswärtigen
Grafen Mensdorff-Pouilly, mit dem äußerst einnehmenden Gesicht, den als
Autor der Gasteiner Konvention zu eigentümlicher Berühmtheit gelangten hol¬
steinischen Grafen Vlome u. s. w. Dabei bewahrte Salzburg aufs angenehmste
den Charakter der kleinen Stadt, keine Volsansnmmlungen verrieten, daß sich
dort außerordentliches ereignete.

Freund Beckmann aber wandelte eines Tags mit einem Gesicht, in dem sich
verschiedenartige Empfindungen abspiegelten, und einen großen Rohrstock wie ein
Szepter tragend, in Salzburg umher, begrüßte jeden Bekannten, schien mit sich
zu kämpfen und sagte endlich feierlich-wehmütig: „Ein Geschenk des Königs!"
Dann schraubte er den großen Elfenbeinknopf ab und ließ die Büste des Königs
von Preußen aus demselben Material sehn. Sein mißtrauischer Blick schien
auszudrücken: „Wirst du anch so schlecht sein, zu fragen, ob ich den Stock
ins Knopfloch stecken kann?" Sicherlich haben ihm wenige diese kleine Bosheit
geschenkt. Auch er hatte von der „Entrevue" etwas andres gehofft.

Bei einer Begegnung im Juni des folgenden Jahres fragte ich ihn, ob
er seine Ferien wie gewöhnlich in Karlsbad zubringen werde? Er antwortete,
dort sei es bei den Zeitläuften zu gefährlich. „Wer wird Ihnen etwas thun!"
sagte ich und setzte, weil er so bekümmert dreinschaute, hinzu, wenn ihm wirk¬
lich eine Kanonenkugel in den Becher fallen sollte, würde sie ja sofort erlöschen,
höchstens die Temperatur des Wassers steigern. Er beantwortete den Scherz
mit einem derbern, aber ich sah wohl, daß ihm die Sache keineswegs spaßhaft
vorkam. Er ging in der That nicht nach Karlsbad, was ihm doch seit langen
Jahren Bedürfnis war, sondern ins Gebirge, mußte sich einer Operation unter-
ziehn, die ungeschickt ausgeführt wurde, und kam elend ums Leben — aus
Furcht vor dem Tode, könnte man sagen, jedenfalls ein unschuldiges Opfer
des Krieges.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der russische Bauer.

Für uns Deutsche haben die innern Zustände
Rußlands ein unmittelbar praktisches Interesse, und so sind die vielbesprochnen
Leiden seines Bauernstandes, der 82 Prozent der Bevölkerung ausmacht und im


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[0623] Maßgebliches und Unmaßgebliches herzlich als möglich, aus den Zügen beider Herrscher strahlte Freude des Wiedersehens. Und in den nächsten Tagen boten allerlei Festlichkeiten, Rout im Mirabellschlvsse, Theatervorstellung u. s. w., Gelegenheit, die glänzendste Versammlung zu sehen, den Kaiser, den König, den Großherzog von Olden¬ burg, der gekommen zu sein schien, um — verspätet — seine Ansprüche auf Holstein geltend zu machen, andre fürstliche Persönlichkeiten, die hochragende Gestalt Vismarcks, die schlanke des österreichischen Ministers des Auswärtigen Grafen Mensdorff-Pouilly, mit dem äußerst einnehmenden Gesicht, den als Autor der Gasteiner Konvention zu eigentümlicher Berühmtheit gelangten hol¬ steinischen Grafen Vlome u. s. w. Dabei bewahrte Salzburg aufs angenehmste den Charakter der kleinen Stadt, keine Volsansnmmlungen verrieten, daß sich dort außerordentliches ereignete. Freund Beckmann aber wandelte eines Tags mit einem Gesicht, in dem sich verschiedenartige Empfindungen abspiegelten, und einen großen Rohrstock wie ein Szepter tragend, in Salzburg umher, begrüßte jeden Bekannten, schien mit sich zu kämpfen und sagte endlich feierlich-wehmütig: „Ein Geschenk des Königs!" Dann schraubte er den großen Elfenbeinknopf ab und ließ die Büste des Königs von Preußen aus demselben Material sehn. Sein mißtrauischer Blick schien auszudrücken: „Wirst du anch so schlecht sein, zu fragen, ob ich den Stock ins Knopfloch stecken kann?" Sicherlich haben ihm wenige diese kleine Bosheit geschenkt. Auch er hatte von der „Entrevue" etwas andres gehofft. Bei einer Begegnung im Juni des folgenden Jahres fragte ich ihn, ob er seine Ferien wie gewöhnlich in Karlsbad zubringen werde? Er antwortete, dort sei es bei den Zeitläuften zu gefährlich. „Wer wird Ihnen etwas thun!" sagte ich und setzte, weil er so bekümmert dreinschaute, hinzu, wenn ihm wirk¬ lich eine Kanonenkugel in den Becher fallen sollte, würde sie ja sofort erlöschen, höchstens die Temperatur des Wassers steigern. Er beantwortete den Scherz mit einem derbern, aber ich sah wohl, daß ihm die Sache keineswegs spaßhaft vorkam. Er ging in der That nicht nach Karlsbad, was ihm doch seit langen Jahren Bedürfnis war, sondern ins Gebirge, mußte sich einer Operation unter- ziehn, die ungeschickt ausgeführt wurde, und kam elend ums Leben — aus Furcht vor dem Tode, könnte man sagen, jedenfalls ein unschuldiges Opfer des Krieges. Maßgebliches und Unmaßgebliches Der russische Bauer. Für uns Deutsche haben die innern Zustände Rußlands ein unmittelbar praktisches Interesse, und so sind die vielbesprochnen Leiden seines Bauernstandes, der 82 Prozent der Bevölkerung ausmacht und im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/623>, abgerufen am 23.07.2024.