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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Beziehungen zwischen ihm und Wien vermittelt worden. Endlich war ihm
ein bühnengerechtes Schauspiel gelungen und war auch für das Burgtheater
angenommen worden: "Der Zunftmeister von Nürnberg." Schon wurden
Proben gehalten, als plötzlich verlautete, zur öffentlichen Darstellung werde
es wohl nicht kommen. Und abermals nannte man den Namen Beckmann,
Er habe, hieß es, wieder an der rechten Stelle, die feierliche Erklärung ab¬
gegeben, wenn auf der Hofbühue die Auflehnung der Handwerker gegen ihre
Obrigkeit verherrlicht würde, und am nächsten Tage sich in den Gassen Wiens
Barrikaden erhöben, so solle man wenigstens ihn nicht dafür verantwortlich
machen. Sicher ist, daß der unglückliche "Zunftmeister" ohne Verhör und
Urteil im Theaterarchiv eingekerkert wurde. Nach alledem konnte die
Freundschaft zwischen dem Komiker und einem Geheimpolizisten nicht mehr
auffallen. Um so weniger, als Beckmann immer offen bekannt hatte, daß
er an einem weit verbreiteten Übel, den sogenannten Kreuzschmerzen, leide.
Als vorsichtiger Mann hielt er augenscheinlich zwei Eisen im Feuer: glückte
es in Wien nicht, dann vielleicht in Berlin! Dort war er ja wohlbekannt.
Ein geborner Schlesier, hatte er als Statist am Breslauer Theater die Auf¬
merksamkeit des Heldenspielers Anschlltz dadurch erregt, daß er sich in Knnppen-
tracht auf sein Stichwort wartend, auf einen vom Ritter erlegten und bei der
Szenenverwandlung liegengebliebnen Drachen stürzte, ihn noch einmal über¬
wand und nnter schallendem Gelächter der Zuschauer hinter die Koulisfen
schleppte. Dann kam er aus Königstädtische Theater in Berlin in dessen
glänzendster Zeit, der Zeit der "Mamsell Sontag," verfaßte den "Eckensteher
Rande," indem er die Figur einem Stücke von Holtet und das komische Ver¬
hör einer Wiener Posse entlehnte, und war lange Zeit der erklärte Liebling
der Berliner. Es ist bekannt, daß das Königstädtische Theater damals bei
Friedrich Wilhelm III. und dem ganzen königlichen Hause in großer Gunst
stand, die es erst 1848 verscherzte -- als Beckmann schon in Wien war. Ihm
konnten also die revolutionären Sünden nicht nachgetragen werden.

Endlich rollten die Wagen von Gastet" heran, das der König damals,
glaube ich, zum letztenmal besucht hatte. Gastein und Salzburg waren in
jenen Zeiten in der Politik vielgenannte Orte. In Gastein hatte der König
1863 die Einladung zum Fürstentage ausgeschlagen; das Jahr darauf erschien
er wieder nach dem Abschlüsse des Wiener Friedens mit Dänemark, mit ihm
Graf Bismarck, den die andern Gäste noch mit sehr gemischten Empfindungen
betrachteten, wen" er abends in der Wandelbahn auf- und abschritt, den Schlapp¬
hut ins Gesicht gedrückt, lebhaft sprechend, während Herr von Keudell in dem
den luftigen Bau abschließenden Raume Beethoven oder Mendelssohn spielte.
In Salzburg aber erfolgte 1867 der Besuch des Kaisers und der Kaiserin der
Franzosen.

Die Begrüßung, deren Zeuge ich 1865 in Salzburg sei" durfte, war so


Beziehungen zwischen ihm und Wien vermittelt worden. Endlich war ihm
ein bühnengerechtes Schauspiel gelungen und war auch für das Burgtheater
angenommen worden: „Der Zunftmeister von Nürnberg." Schon wurden
Proben gehalten, als plötzlich verlautete, zur öffentlichen Darstellung werde
es wohl nicht kommen. Und abermals nannte man den Namen Beckmann,
Er habe, hieß es, wieder an der rechten Stelle, die feierliche Erklärung ab¬
gegeben, wenn auf der Hofbühue die Auflehnung der Handwerker gegen ihre
Obrigkeit verherrlicht würde, und am nächsten Tage sich in den Gassen Wiens
Barrikaden erhöben, so solle man wenigstens ihn nicht dafür verantwortlich
machen. Sicher ist, daß der unglückliche „Zunftmeister" ohne Verhör und
Urteil im Theaterarchiv eingekerkert wurde. Nach alledem konnte die
Freundschaft zwischen dem Komiker und einem Geheimpolizisten nicht mehr
auffallen. Um so weniger, als Beckmann immer offen bekannt hatte, daß
er an einem weit verbreiteten Übel, den sogenannten Kreuzschmerzen, leide.
Als vorsichtiger Mann hielt er augenscheinlich zwei Eisen im Feuer: glückte
es in Wien nicht, dann vielleicht in Berlin! Dort war er ja wohlbekannt.
Ein geborner Schlesier, hatte er als Statist am Breslauer Theater die Auf¬
merksamkeit des Heldenspielers Anschlltz dadurch erregt, daß er sich in Knnppen-
tracht auf sein Stichwort wartend, auf einen vom Ritter erlegten und bei der
Szenenverwandlung liegengebliebnen Drachen stürzte, ihn noch einmal über¬
wand und nnter schallendem Gelächter der Zuschauer hinter die Koulisfen
schleppte. Dann kam er aus Königstädtische Theater in Berlin in dessen
glänzendster Zeit, der Zeit der „Mamsell Sontag," verfaßte den „Eckensteher
Rande," indem er die Figur einem Stücke von Holtet und das komische Ver¬
hör einer Wiener Posse entlehnte, und war lange Zeit der erklärte Liebling
der Berliner. Es ist bekannt, daß das Königstädtische Theater damals bei
Friedrich Wilhelm III. und dem ganzen königlichen Hause in großer Gunst
stand, die es erst 1848 verscherzte — als Beckmann schon in Wien war. Ihm
konnten also die revolutionären Sünden nicht nachgetragen werden.

Endlich rollten die Wagen von Gastet» heran, das der König damals,
glaube ich, zum letztenmal besucht hatte. Gastein und Salzburg waren in
jenen Zeiten in der Politik vielgenannte Orte. In Gastein hatte der König
1863 die Einladung zum Fürstentage ausgeschlagen; das Jahr darauf erschien
er wieder nach dem Abschlüsse des Wiener Friedens mit Dänemark, mit ihm
Graf Bismarck, den die andern Gäste noch mit sehr gemischten Empfindungen
betrachteten, wen» er abends in der Wandelbahn auf- und abschritt, den Schlapp¬
hut ins Gesicht gedrückt, lebhaft sprechend, während Herr von Keudell in dem
den luftigen Bau abschließenden Raume Beethoven oder Mendelssohn spielte.
In Salzburg aber erfolgte 1867 der Besuch des Kaisers und der Kaiserin der
Franzosen.

Die Begrüßung, deren Zeuge ich 1865 in Salzburg sei» durfte, war so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/622>, abgerufen am 23.07.2024.