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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen

renden Kommandoton Heinrich Laubes und den mürrischen Bariton Beck-
manns. Ihr Beobachtungsposten war bedeutend günstiger als der meine, und
ich wollte daher versuchen, bei ihnen noch Platz zu finden. Laube hieß mich
willkommen, setzte jedoch hinzu, er sei selbst dort Gast, das Zimmer gehöre
einem Freunde Beckmanns, und damit stellte er mich einem schwarzbärtigen
Herrn vor. Dieser, ein Polizeirat aus Berlin, war ebenfalls sehr entgegen¬
kommend, doch hatte ich Mühe, das Lachen zu verbeißen. Ein Mann in solcher
Stellung muß natürlich jahraus jahrein die Bekanntschaft so vieler Verdäch¬
tigen machen, daß er sich unmöglich alle Namen und Gesichter merken kann.
Mich aber kitzelte der Gedanke, ihn zu fragen, ob er sich nicht einer frühern
Begegnung zwischen uns entsinne? Beckmann vor seinem Gönner bei der ge¬
heimen Polizei der Bekanntschaft mit einem überführt, der irgend einmal po¬
litisch anrüchig gewesen war -- Hütte er kein Mauseloch gefunden, um zu ver¬
schwinden, so würde er doch eine Szene aufrichtiger Verlegenheit zum besten
gegeben haben, viel komischer als seine gespielten. Aber ein solcher Scherz
wäre doch dem Ort und der Zeit zu wenig angemessen gewesen. Beckmann
stand nämlich in dem Rufe, zur Polizei stets in genauen Beziehungen zu stehn,
und die Theaterleute erzählten von ihm allerlei Geschichten, die hoffentlich nicht
besser begründet gewesen sind, als die Vorstellungen von seinem Witz und
Humor. So sollte er wiederholt die oberste Zensur in Theaterfragcn aus¬
geübt haben. Zwei Fülle, wo ihm ein entscheidender Einfluß zugeschrieben
wurde, sind mir erinnerlich. Mosenthal, ein Konkurrent der Frau Birch-
Pfeiffer, hatte gefunden, daß die schöne Dyveke, die unglückliche Geliebte König
Christians des Zweiten, noch nicht oft genng von Dramatikern und Novellisten
in ihrer Ruhe gestört worden sei, und hatte sie deshalb wieder einmal zur
Heldin eines Trauerspiels gemacht. Es fand bei der ersten Aufführung wenig
Beifall, am wenigsten, wie es hieß, bei Fritz Beckmann. Vielleicht kamen darin
Andeutungen von der Wüterichsnatur des Königs vor; genug, er soll an
rechter Stelle geltend gemacht haben, wie tief jedes loyale Gemüt durch ein
solches Stück verletzt werden müsse. Aber was thun? Mosenthal verbieten,
das würde einen zu komischen Eindruck gemacht haben. Beckmann wußte Rat:
er beredete den Träger einer wichtigen Rolle, sich einen verdorbnen Magen
anzudichten, die zweite Vorstellung wurde abgesagt, und damit war das ge¬
fährliche Drama beseitigt. So schmerzlich dem Verfasser diese unvermutete
Geschäftsstörung gewesen sein mag, war er doch der Mann, sich Trost zu ver¬
schaffen. Seine musterhaft eingerichtete Fabrik dramatischer Modewaren konnte,
wenn der eine "Artikel" nicht gefiel, in kürzester Frist ein neues auf den Markt
bringen. Viel schwerer traf ein ähnlicher Schlag den armen Redwitz. Der
war zum Lohn für seine fromme "Amaranth" als Professor der Ästhetik nach
Wien berufen worden, aber er und die Studenten hatten gleich wenig Gefallen
an einander gefunden, und auch durch seine Buchdramen waren keine engern


Streif- und Federzüge aus vergangnen Tagen

renden Kommandoton Heinrich Laubes und den mürrischen Bariton Beck-
manns. Ihr Beobachtungsposten war bedeutend günstiger als der meine, und
ich wollte daher versuchen, bei ihnen noch Platz zu finden. Laube hieß mich
willkommen, setzte jedoch hinzu, er sei selbst dort Gast, das Zimmer gehöre
einem Freunde Beckmanns, und damit stellte er mich einem schwarzbärtigen
Herrn vor. Dieser, ein Polizeirat aus Berlin, war ebenfalls sehr entgegen¬
kommend, doch hatte ich Mühe, das Lachen zu verbeißen. Ein Mann in solcher
Stellung muß natürlich jahraus jahrein die Bekanntschaft so vieler Verdäch¬
tigen machen, daß er sich unmöglich alle Namen und Gesichter merken kann.
Mich aber kitzelte der Gedanke, ihn zu fragen, ob er sich nicht einer frühern
Begegnung zwischen uns entsinne? Beckmann vor seinem Gönner bei der ge¬
heimen Polizei der Bekanntschaft mit einem überführt, der irgend einmal po¬
litisch anrüchig gewesen war — Hütte er kein Mauseloch gefunden, um zu ver¬
schwinden, so würde er doch eine Szene aufrichtiger Verlegenheit zum besten
gegeben haben, viel komischer als seine gespielten. Aber ein solcher Scherz
wäre doch dem Ort und der Zeit zu wenig angemessen gewesen. Beckmann
stand nämlich in dem Rufe, zur Polizei stets in genauen Beziehungen zu stehn,
und die Theaterleute erzählten von ihm allerlei Geschichten, die hoffentlich nicht
besser begründet gewesen sind, als die Vorstellungen von seinem Witz und
Humor. So sollte er wiederholt die oberste Zensur in Theaterfragcn aus¬
geübt haben. Zwei Fülle, wo ihm ein entscheidender Einfluß zugeschrieben
wurde, sind mir erinnerlich. Mosenthal, ein Konkurrent der Frau Birch-
Pfeiffer, hatte gefunden, daß die schöne Dyveke, die unglückliche Geliebte König
Christians des Zweiten, noch nicht oft genng von Dramatikern und Novellisten
in ihrer Ruhe gestört worden sei, und hatte sie deshalb wieder einmal zur
Heldin eines Trauerspiels gemacht. Es fand bei der ersten Aufführung wenig
Beifall, am wenigsten, wie es hieß, bei Fritz Beckmann. Vielleicht kamen darin
Andeutungen von der Wüterichsnatur des Königs vor; genug, er soll an
rechter Stelle geltend gemacht haben, wie tief jedes loyale Gemüt durch ein
solches Stück verletzt werden müsse. Aber was thun? Mosenthal verbieten,
das würde einen zu komischen Eindruck gemacht haben. Beckmann wußte Rat:
er beredete den Träger einer wichtigen Rolle, sich einen verdorbnen Magen
anzudichten, die zweite Vorstellung wurde abgesagt, und damit war das ge¬
fährliche Drama beseitigt. So schmerzlich dem Verfasser diese unvermutete
Geschäftsstörung gewesen sein mag, war er doch der Mann, sich Trost zu ver¬
schaffen. Seine musterhaft eingerichtete Fabrik dramatischer Modewaren konnte,
wenn der eine „Artikel" nicht gefiel, in kürzester Frist ein neues auf den Markt
bringen. Viel schwerer traf ein ähnlicher Schlag den armen Redwitz. Der
war zum Lohn für seine fromme „Amaranth" als Professor der Ästhetik nach
Wien berufen worden, aber er und die Studenten hatten gleich wenig Gefallen
an einander gefunden, und auch durch seine Buchdramen waren keine engern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/621>, abgerufen am 23.07.2024.