Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sabatiers Übersetzung des Faust

rissen bedenklicher Art zu kämpfen haben. Gleichwohl sind wir von der
Vortrefflichkeit der Leistung so durchdrungen und überzeugt, daß wir über
kurz oder lang ihrer Anerkennung auch bei den Franzosen entgegensehen.

Der Übersetzer, Frnuyois Sabatier, geboren zu Montpellier 1818, ge¬
storben 1892 auf seinem Schlosse Latour de Farge, war einer jener in Frank¬
reich nicht seltnen Menschen, die das gewichtige Wort Fr. Albert Langes
"Reichtum ist ein Amt" begriffen und erfüllt hatten, längst ehe es gesprochen
wurde. Nicht nur daß er von früh ans ernsthafte Studien betrieb und den
spätern Ruhm geschmackvoller Kunstkennerschaft mit jahrelanger persönlicher
Arbeit in einem Maleratelier und mit wiederholten Studienreisen nach Italien
erkaufte, nicht nur daß er der fördernde Freund und in Florenz, Paris und
auf seinem südfranzösischen Gute der liebenswürdige Wirt zahlreicher Künstler und
Schriftsteller war, sondern er setzte sich auch Aufgaben, die neben dem Talent
den eisernsten Fleiß erforderten. Nach seiner Verheiratung mit der berühmten
Wiener Sängerin Karoline Ungher (1841) lebte er wiederholt in Deutschland
(längere Zeit in Wien, Dresden und Berlin), wurde der deutschen Sprache
vollkommen mächtig, faßte das tiefste Interesse für die deutsche Poesie, das er
zunächst in Übersetzungen von Schillers "Tell" und Grillparzers "Sappho"
bethätigte und auch während der langen Jahre seines Aufenthalts in Italien
bewahrte, wo seine Kunststudien natürlich wieder in den Vordergrund traten.
Seit 1850 beschäftigte ihn der Gedanke einer Übersetzung des Goethischen
"Faust" ins Französische, er maß zögernd und ehrlich prüfend den Abstand
seiner Kräfte von dem Genius des großen Dichters, aber er versenkte sich
immer tiefer und anhaltender in die Aufgabe. Den zahlreichen deutschen
Freunden, die er früher in Deutschland gewonnen hatte, gesellte sich in den
ersten fünfziger Jahren der deutsch-böhmische Dichter Moritz Hartmann hinzu,
der als Gast Sabatiers in Latour de Farge sei" inhaltreiches "Tagebuch aus
Languedoc und Provence" schrieb und mit seinem Wirt wiederholt die Schwierig¬
keiten und Möglichkeiten einer französischen Faustwiedergabe durchsprach. Nach¬
dem Sabotier endlich Hand ans Werk gelegt hatte, widmete er sich der Sache
mit Feuereifer und fast jugendlicher Unermüdlichkeit. Schon in den siebziger
Jahren war die Übersetzung des ersten Teils der Dichtung vorläufig beendet,
die Arbeit der Vollendung nahm Sabatier noch viele Jahre in Anspruch und
beschäftigte ihn thatsächlich bis zu seinem Tode. Er hielt es für unerläßliche
Pflicht, mit der Sprödigkeit, das heißt der konventionellen Glätte seiner Sprache
zu ringen und wieder zu ringen, um wenigstens annähernd die Naturgewalt,
die sinnliche Unmittelbarkeit, die malende Anschaulichkeit, die geistige Tiefe, die
sprachschöpferische Macht der deutschen Dichtung zu erreichen. Der Vorbericht
hebt ohne jede Übertreibung hervor, daß der Übersetzer oft wochenlang nach
einem einzigen deckenden Ausdruck gesucht hat. Wer 1878 Sabatier selbst seine
Arbeit vortragen hörte und gewisse Verse und Wendungen von damals im


Sabatiers Übersetzung des Faust

rissen bedenklicher Art zu kämpfen haben. Gleichwohl sind wir von der
Vortrefflichkeit der Leistung so durchdrungen und überzeugt, daß wir über
kurz oder lang ihrer Anerkennung auch bei den Franzosen entgegensehen.

Der Übersetzer, Frnuyois Sabatier, geboren zu Montpellier 1818, ge¬
storben 1892 auf seinem Schlosse Latour de Farge, war einer jener in Frank¬
reich nicht seltnen Menschen, die das gewichtige Wort Fr. Albert Langes
„Reichtum ist ein Amt" begriffen und erfüllt hatten, längst ehe es gesprochen
wurde. Nicht nur daß er von früh ans ernsthafte Studien betrieb und den
spätern Ruhm geschmackvoller Kunstkennerschaft mit jahrelanger persönlicher
Arbeit in einem Maleratelier und mit wiederholten Studienreisen nach Italien
erkaufte, nicht nur daß er der fördernde Freund und in Florenz, Paris und
auf seinem südfranzösischen Gute der liebenswürdige Wirt zahlreicher Künstler und
Schriftsteller war, sondern er setzte sich auch Aufgaben, die neben dem Talent
den eisernsten Fleiß erforderten. Nach seiner Verheiratung mit der berühmten
Wiener Sängerin Karoline Ungher (1841) lebte er wiederholt in Deutschland
(längere Zeit in Wien, Dresden und Berlin), wurde der deutschen Sprache
vollkommen mächtig, faßte das tiefste Interesse für die deutsche Poesie, das er
zunächst in Übersetzungen von Schillers „Tell" und Grillparzers „Sappho"
bethätigte und auch während der langen Jahre seines Aufenthalts in Italien
bewahrte, wo seine Kunststudien natürlich wieder in den Vordergrund traten.
Seit 1850 beschäftigte ihn der Gedanke einer Übersetzung des Goethischen
„Faust" ins Französische, er maß zögernd und ehrlich prüfend den Abstand
seiner Kräfte von dem Genius des großen Dichters, aber er versenkte sich
immer tiefer und anhaltender in die Aufgabe. Den zahlreichen deutschen
Freunden, die er früher in Deutschland gewonnen hatte, gesellte sich in den
ersten fünfziger Jahren der deutsch-böhmische Dichter Moritz Hartmann hinzu,
der als Gast Sabatiers in Latour de Farge sei« inhaltreiches „Tagebuch aus
Languedoc und Provence" schrieb und mit seinem Wirt wiederholt die Schwierig¬
keiten und Möglichkeiten einer französischen Faustwiedergabe durchsprach. Nach¬
dem Sabotier endlich Hand ans Werk gelegt hatte, widmete er sich der Sache
mit Feuereifer und fast jugendlicher Unermüdlichkeit. Schon in den siebziger
Jahren war die Übersetzung des ersten Teils der Dichtung vorläufig beendet,
die Arbeit der Vollendung nahm Sabatier noch viele Jahre in Anspruch und
beschäftigte ihn thatsächlich bis zu seinem Tode. Er hielt es für unerläßliche
Pflicht, mit der Sprödigkeit, das heißt der konventionellen Glätte seiner Sprache
zu ringen und wieder zu ringen, um wenigstens annähernd die Naturgewalt,
die sinnliche Unmittelbarkeit, die malende Anschaulichkeit, die geistige Tiefe, die
sprachschöpferische Macht der deutschen Dichtung zu erreichen. Der Vorbericht
hebt ohne jede Übertreibung hervor, daß der Übersetzer oft wochenlang nach
einem einzigen deckenden Ausdruck gesucht hat. Wer 1878 Sabatier selbst seine
Arbeit vortragen hörte und gewisse Verse und Wendungen von damals im


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215071"/>
          <fw type="header" place="top"> Sabatiers Übersetzung des Faust</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2338" prev="#ID_2337"> rissen bedenklicher Art zu kämpfen haben. Gleichwohl sind wir von der<lb/>
Vortrefflichkeit der Leistung so durchdrungen und überzeugt, daß wir über<lb/>
kurz oder lang ihrer Anerkennung auch bei den Franzosen entgegensehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2339" next="#ID_2340"> Der Übersetzer, Frnuyois Sabatier, geboren zu Montpellier 1818, ge¬<lb/>
storben 1892 auf seinem Schlosse Latour de Farge, war einer jener in Frank¬<lb/>
reich nicht seltnen Menschen, die das gewichtige Wort Fr. Albert Langes<lb/>
&#x201E;Reichtum ist ein Amt" begriffen und erfüllt hatten, längst ehe es gesprochen<lb/>
wurde.  Nicht nur daß er von früh ans ernsthafte Studien betrieb und den<lb/>
spätern Ruhm geschmackvoller Kunstkennerschaft mit jahrelanger persönlicher<lb/>
Arbeit in einem Maleratelier und mit wiederholten Studienreisen nach Italien<lb/>
erkaufte, nicht nur daß er der fördernde Freund und in Florenz, Paris und<lb/>
auf seinem südfranzösischen Gute der liebenswürdige Wirt zahlreicher Künstler und<lb/>
Schriftsteller war, sondern er setzte sich auch Aufgaben, die neben dem Talent<lb/>
den eisernsten Fleiß erforderten. Nach seiner Verheiratung mit der berühmten<lb/>
Wiener Sängerin Karoline Ungher (1841) lebte er wiederholt in Deutschland<lb/>
(längere Zeit in Wien, Dresden und Berlin), wurde der deutschen Sprache<lb/>
vollkommen mächtig, faßte das tiefste Interesse für die deutsche Poesie, das er<lb/>
zunächst in Übersetzungen von Schillers &#x201E;Tell" und Grillparzers &#x201E;Sappho"<lb/>
bethätigte und auch während der langen Jahre seines Aufenthalts in Italien<lb/>
bewahrte, wo seine Kunststudien natürlich wieder in den Vordergrund traten.<lb/>
Seit 1850 beschäftigte ihn der Gedanke einer Übersetzung des Goethischen<lb/>
&#x201E;Faust" ins Französische, er maß zögernd und ehrlich prüfend den Abstand<lb/>
seiner Kräfte von dem Genius des großen Dichters, aber er versenkte sich<lb/>
immer tiefer und anhaltender in die Aufgabe.  Den zahlreichen deutschen<lb/>
Freunden, die er früher in Deutschland gewonnen hatte, gesellte sich in den<lb/>
ersten fünfziger Jahren der deutsch-böhmische Dichter Moritz Hartmann hinzu,<lb/>
der als Gast Sabatiers in Latour de Farge sei« inhaltreiches &#x201E;Tagebuch aus<lb/>
Languedoc und Provence" schrieb und mit seinem Wirt wiederholt die Schwierig¬<lb/>
keiten und Möglichkeiten einer französischen Faustwiedergabe durchsprach. Nach¬<lb/>
dem Sabotier endlich Hand ans Werk gelegt hatte, widmete er sich der Sache<lb/>
mit Feuereifer und fast jugendlicher Unermüdlichkeit.  Schon in den siebziger<lb/>
Jahren war die Übersetzung des ersten Teils der Dichtung vorläufig beendet,<lb/>
die Arbeit der Vollendung nahm Sabatier noch viele Jahre in Anspruch und<lb/>
beschäftigte ihn thatsächlich bis zu seinem Tode. Er hielt es für unerläßliche<lb/>
Pflicht, mit der Sprödigkeit, das heißt der konventionellen Glätte seiner Sprache<lb/>
zu ringen und wieder zu ringen, um wenigstens annähernd die Naturgewalt,<lb/>
die sinnliche Unmittelbarkeit, die malende Anschaulichkeit, die geistige Tiefe, die<lb/>
sprachschöpferische Macht der deutschen Dichtung zu erreichen. Der Vorbericht<lb/>
hebt ohne jede Übertreibung hervor, daß der Übersetzer oft wochenlang nach<lb/>
einem einzigen deckenden Ausdruck gesucht hat. Wer 1878 Sabatier selbst seine<lb/>
Arbeit vortragen hörte und gewisse Verse und Wendungen von damals im</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0616] Sabatiers Übersetzung des Faust rissen bedenklicher Art zu kämpfen haben. Gleichwohl sind wir von der Vortrefflichkeit der Leistung so durchdrungen und überzeugt, daß wir über kurz oder lang ihrer Anerkennung auch bei den Franzosen entgegensehen. Der Übersetzer, Frnuyois Sabatier, geboren zu Montpellier 1818, ge¬ storben 1892 auf seinem Schlosse Latour de Farge, war einer jener in Frank¬ reich nicht seltnen Menschen, die das gewichtige Wort Fr. Albert Langes „Reichtum ist ein Amt" begriffen und erfüllt hatten, längst ehe es gesprochen wurde. Nicht nur daß er von früh ans ernsthafte Studien betrieb und den spätern Ruhm geschmackvoller Kunstkennerschaft mit jahrelanger persönlicher Arbeit in einem Maleratelier und mit wiederholten Studienreisen nach Italien erkaufte, nicht nur daß er der fördernde Freund und in Florenz, Paris und auf seinem südfranzösischen Gute der liebenswürdige Wirt zahlreicher Künstler und Schriftsteller war, sondern er setzte sich auch Aufgaben, die neben dem Talent den eisernsten Fleiß erforderten. Nach seiner Verheiratung mit der berühmten Wiener Sängerin Karoline Ungher (1841) lebte er wiederholt in Deutschland (längere Zeit in Wien, Dresden und Berlin), wurde der deutschen Sprache vollkommen mächtig, faßte das tiefste Interesse für die deutsche Poesie, das er zunächst in Übersetzungen von Schillers „Tell" und Grillparzers „Sappho" bethätigte und auch während der langen Jahre seines Aufenthalts in Italien bewahrte, wo seine Kunststudien natürlich wieder in den Vordergrund traten. Seit 1850 beschäftigte ihn der Gedanke einer Übersetzung des Goethischen „Faust" ins Französische, er maß zögernd und ehrlich prüfend den Abstand seiner Kräfte von dem Genius des großen Dichters, aber er versenkte sich immer tiefer und anhaltender in die Aufgabe. Den zahlreichen deutschen Freunden, die er früher in Deutschland gewonnen hatte, gesellte sich in den ersten fünfziger Jahren der deutsch-böhmische Dichter Moritz Hartmann hinzu, der als Gast Sabatiers in Latour de Farge sei« inhaltreiches „Tagebuch aus Languedoc und Provence" schrieb und mit seinem Wirt wiederholt die Schwierig¬ keiten und Möglichkeiten einer französischen Faustwiedergabe durchsprach. Nach¬ dem Sabotier endlich Hand ans Werk gelegt hatte, widmete er sich der Sache mit Feuereifer und fast jugendlicher Unermüdlichkeit. Schon in den siebziger Jahren war die Übersetzung des ersten Teils der Dichtung vorläufig beendet, die Arbeit der Vollendung nahm Sabatier noch viele Jahre in Anspruch und beschäftigte ihn thatsächlich bis zu seinem Tode. Er hielt es für unerläßliche Pflicht, mit der Sprödigkeit, das heißt der konventionellen Glätte seiner Sprache zu ringen und wieder zu ringen, um wenigstens annähernd die Naturgewalt, die sinnliche Unmittelbarkeit, die malende Anschaulichkeit, die geistige Tiefe, die sprachschöpferische Macht der deutschen Dichtung zu erreichen. Der Vorbericht hebt ohne jede Übertreibung hervor, daß der Übersetzer oft wochenlang nach einem einzigen deckenden Ausdruck gesucht hat. Wer 1878 Sabatier selbst seine Arbeit vortragen hörte und gewisse Verse und Wendungen von damals im

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/616
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/616>, abgerufen am 23.07.2024.