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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Sabatiers Übersetzung des Fmist

über alle seine Vorgänger hinaus gethan hat, die einigermaßen verständnisvollen
und empfänglichen seiner Landsleute mit großer Genugthuung erfüllen müßte.
Aber ob nicht Verständnis und Empfänglichkeit in der zur Zeit herrschenden
Stimmung untergehen, ist eben die Frage. Wind und Wetter sind zwischen
uns und den Franzosen ungleicher als je zuvor geteilt. Wir fahren nicht nur
fort -- wie recht und billig ^ , die wahrhaft großen und bedeutenden Leistungen
der Franzosen auf alleu Geistesgebieten zu würdigen und zu bewundern, sondern
wir haben unter uns nach wie vor ein zahlreiches Geschlecht jener "unterthänigen
Bewunderer der nie genug bewundertem Franzosen," die nach Lessings Wort "lieber
Gesicht und Gehör verleugnen, als daß sie alles, was uns von jenseit dem Rheine
kommt, anders als schön, reizend, allerliebst und göttlich finden." In Frank¬
reich herrscht eine entgegengesetzte Strömung. Nicht der Lärm der revanche¬
heischenden Tagesblätter und die dünkelvolle Überhebung der eigentlichen Chau¬
vinisten reißt eine immer breitere Kluft zwischen unsrer Kultur und der fran¬
zösischen Bildung, sondern die unheilbar verwundete Eitelkeit auch der tüchtigsten
Franzosen, das zur Krankheit gesteigerte Bedürfnis, alle Züge des deutscheu
Wesens zu verzerren, wirkt hierbei verhängnisvoll mit. Man muß sich einiger¬
maßen in der französischen Litteratur umsehen, die weder übersetzt, noch von
unsern jüdischen Blättern als aktuell gepriesen wird, um die Wirkungen dieser
Krankheit zu erkennen und den Zustand als ziemlich hoffnungslos zu betrachten.
Da reist z. V. einer der geistvollsten und gebildetsten französischen Schrift¬
steller, der sich zeitlebens viel auf die Schürfe seiner Beobachtung, auf seinen
unbedingten Respekt vor der Wirklichkeit der Dinge eingebildet hat, Monsieur
Edmond de Goncourt, ein paar Wochen im bairischen Hochlande. Am Wege
sieht er in der Zeit der zweiten Heuernte die Dorfkinder von ihren Gro߬
müttern und alten Muhmen gewartet. Es fällt ihm nicht ein, eine Frage zu
thun, wo etwa die jungen Mütter sind, er bringt vielmehr flugs die Wahrheit
zu Papier, daß diesen Deutschen die Poesie und der Reiz der "jungen Mutter¬
schaft" völlig fehlt, daß in Deutschland oder wenigstens in Baiern nur alte
verblühte Weiber Kinder gebären. Das ist ein Beispiel aus taufenden. Der
Wille auch der besten Franzosen, uns im schiefste" Lichte zu sehen, ist so stark
entwickelt, daß er aller Einsicht und selbst dem altberühmten französischen von
8KN8 trotzt. Eine neue Übertragung des "Faust," dieser deutschesten Dichtung,
die wie keine andre den innersten Kern deutscheu Lebens bloßlegt und die
besten Seiten unsers Wesens poetisch verklärt, würde also an sich auf wenig
guten Willen rechnen können; wenn sie nun vollends von einem Manne her¬
rührt, der sein Leben hindurch zu Deutschland und deutschem Geistesleben in
den innigsten Beziehungen gestanden hat, wenn sie schon auf dem Titel an¬
kündigt, daß sie das Heil in dem engsten Anschluß an die Formen des deutschen
Originals sucht und es darum nicht scheut, mit akademischen Überlieferungen
neufranzösischer Verskunst in Widerspruch zu treten, so wird sie mit Hinter-


Sabatiers Übersetzung des Fmist

über alle seine Vorgänger hinaus gethan hat, die einigermaßen verständnisvollen
und empfänglichen seiner Landsleute mit großer Genugthuung erfüllen müßte.
Aber ob nicht Verständnis und Empfänglichkeit in der zur Zeit herrschenden
Stimmung untergehen, ist eben die Frage. Wind und Wetter sind zwischen
uns und den Franzosen ungleicher als je zuvor geteilt. Wir fahren nicht nur
fort — wie recht und billig ^ , die wahrhaft großen und bedeutenden Leistungen
der Franzosen auf alleu Geistesgebieten zu würdigen und zu bewundern, sondern
wir haben unter uns nach wie vor ein zahlreiches Geschlecht jener „unterthänigen
Bewunderer der nie genug bewundertem Franzosen," die nach Lessings Wort „lieber
Gesicht und Gehör verleugnen, als daß sie alles, was uns von jenseit dem Rheine
kommt, anders als schön, reizend, allerliebst und göttlich finden." In Frank¬
reich herrscht eine entgegengesetzte Strömung. Nicht der Lärm der revanche¬
heischenden Tagesblätter und die dünkelvolle Überhebung der eigentlichen Chau¬
vinisten reißt eine immer breitere Kluft zwischen unsrer Kultur und der fran¬
zösischen Bildung, sondern die unheilbar verwundete Eitelkeit auch der tüchtigsten
Franzosen, das zur Krankheit gesteigerte Bedürfnis, alle Züge des deutscheu
Wesens zu verzerren, wirkt hierbei verhängnisvoll mit. Man muß sich einiger¬
maßen in der französischen Litteratur umsehen, die weder übersetzt, noch von
unsern jüdischen Blättern als aktuell gepriesen wird, um die Wirkungen dieser
Krankheit zu erkennen und den Zustand als ziemlich hoffnungslos zu betrachten.
Da reist z. V. einer der geistvollsten und gebildetsten französischen Schrift¬
steller, der sich zeitlebens viel auf die Schürfe seiner Beobachtung, auf seinen
unbedingten Respekt vor der Wirklichkeit der Dinge eingebildet hat, Monsieur
Edmond de Goncourt, ein paar Wochen im bairischen Hochlande. Am Wege
sieht er in der Zeit der zweiten Heuernte die Dorfkinder von ihren Gro߬
müttern und alten Muhmen gewartet. Es fällt ihm nicht ein, eine Frage zu
thun, wo etwa die jungen Mütter sind, er bringt vielmehr flugs die Wahrheit
zu Papier, daß diesen Deutschen die Poesie und der Reiz der „jungen Mutter¬
schaft" völlig fehlt, daß in Deutschland oder wenigstens in Baiern nur alte
verblühte Weiber Kinder gebären. Das ist ein Beispiel aus taufenden. Der
Wille auch der besten Franzosen, uns im schiefste» Lichte zu sehen, ist so stark
entwickelt, daß er aller Einsicht und selbst dem altberühmten französischen von
8KN8 trotzt. Eine neue Übertragung des „Faust," dieser deutschesten Dichtung,
die wie keine andre den innersten Kern deutscheu Lebens bloßlegt und die
besten Seiten unsers Wesens poetisch verklärt, würde also an sich auf wenig
guten Willen rechnen können; wenn sie nun vollends von einem Manne her¬
rührt, der sein Leben hindurch zu Deutschland und deutschem Geistesleben in
den innigsten Beziehungen gestanden hat, wenn sie schon auf dem Titel an¬
kündigt, daß sie das Heil in dem engsten Anschluß an die Formen des deutschen
Originals sucht und es darum nicht scheut, mit akademischen Überlieferungen
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[0615] Sabatiers Übersetzung des Fmist über alle seine Vorgänger hinaus gethan hat, die einigermaßen verständnisvollen und empfänglichen seiner Landsleute mit großer Genugthuung erfüllen müßte. Aber ob nicht Verständnis und Empfänglichkeit in der zur Zeit herrschenden Stimmung untergehen, ist eben die Frage. Wind und Wetter sind zwischen uns und den Franzosen ungleicher als je zuvor geteilt. Wir fahren nicht nur fort — wie recht und billig ^ , die wahrhaft großen und bedeutenden Leistungen der Franzosen auf alleu Geistesgebieten zu würdigen und zu bewundern, sondern wir haben unter uns nach wie vor ein zahlreiches Geschlecht jener „unterthänigen Bewunderer der nie genug bewundertem Franzosen," die nach Lessings Wort „lieber Gesicht und Gehör verleugnen, als daß sie alles, was uns von jenseit dem Rheine kommt, anders als schön, reizend, allerliebst und göttlich finden." In Frank¬ reich herrscht eine entgegengesetzte Strömung. Nicht der Lärm der revanche¬ heischenden Tagesblätter und die dünkelvolle Überhebung der eigentlichen Chau¬ vinisten reißt eine immer breitere Kluft zwischen unsrer Kultur und der fran¬ zösischen Bildung, sondern die unheilbar verwundete Eitelkeit auch der tüchtigsten Franzosen, das zur Krankheit gesteigerte Bedürfnis, alle Züge des deutscheu Wesens zu verzerren, wirkt hierbei verhängnisvoll mit. Man muß sich einiger¬ maßen in der französischen Litteratur umsehen, die weder übersetzt, noch von unsern jüdischen Blättern als aktuell gepriesen wird, um die Wirkungen dieser Krankheit zu erkennen und den Zustand als ziemlich hoffnungslos zu betrachten. Da reist z. V. einer der geistvollsten und gebildetsten französischen Schrift¬ steller, der sich zeitlebens viel auf die Schürfe seiner Beobachtung, auf seinen unbedingten Respekt vor der Wirklichkeit der Dinge eingebildet hat, Monsieur Edmond de Goncourt, ein paar Wochen im bairischen Hochlande. Am Wege sieht er in der Zeit der zweiten Heuernte die Dorfkinder von ihren Gro߬ müttern und alten Muhmen gewartet. Es fällt ihm nicht ein, eine Frage zu thun, wo etwa die jungen Mütter sind, er bringt vielmehr flugs die Wahrheit zu Papier, daß diesen Deutschen die Poesie und der Reiz der „jungen Mutter¬ schaft" völlig fehlt, daß in Deutschland oder wenigstens in Baiern nur alte verblühte Weiber Kinder gebären. Das ist ein Beispiel aus taufenden. Der Wille auch der besten Franzosen, uns im schiefste» Lichte zu sehen, ist so stark entwickelt, daß er aller Einsicht und selbst dem altberühmten französischen von 8KN8 trotzt. Eine neue Übertragung des „Faust," dieser deutschesten Dichtung, die wie keine andre den innersten Kern deutscheu Lebens bloßlegt und die besten Seiten unsers Wesens poetisch verklärt, würde also an sich auf wenig guten Willen rechnen können; wenn sie nun vollends von einem Manne her¬ rührt, der sein Leben hindurch zu Deutschland und deutschem Geistesleben in den innigsten Beziehungen gestanden hat, wenn sie schon auf dem Titel an¬ kündigt, daß sie das Heil in dem engsten Anschluß an die Formen des deutschen Originals sucht und es darum nicht scheut, mit akademischen Überlieferungen neufranzösischer Verskunst in Widerspruch zu treten, so wird sie mit Hinter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/615>, abgerufen am 23.07.2024.