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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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stellen. Aber die Vorstellung von Farben mit der Vorstellung von Blumen¬
blättern zu verbinden, das ist von der ursprünglichen Aufgabe dieser Verba
so weit entfernt, daß ich mir gar nichts dabei vorstellen kann. Denn damit
sich das Verbum so wirksam als möglich erweise, ist es notwendig, daß die
Vorstellungen, die es zum Bilde vereinigen soll, so deutlich als möglich seien.
Darin dürfte der Grund zu suchen sein, daß Homer seine großen poetischen
Gemälde in viele einzelne Bilder auflöst. Deu Wagen der Juno kann ich
mir als Ganzes nicht vorstellen, so lauge ich nicht ihn oder ein Bild davon
gesehen habe. Läßt aber der Dichter den Wagen ans Rädern, Achsen,
Deichsel n. s. w. zusammensetzen, so arbeitet er mit Vorstellungen, die jeder¬
mann geläufig sind, und die er daher mittels konkreter Verba zu plastischen
Bildern vereinigen kann. Doch es kommt nur nicht darauf an, eine Frage
der poetischen Technik erschöpfend zu behandeln. Ich wollte nur nachweisen,
daß Lessing einen Fehler begange" hat: er hat zwischen der Poesie und den
artikulirteu Lauten als ihrem Mittel ein Zwischenglied übersehen, den Or¬
ganismus der Sprache. Artitulirte Laute geben Vorstellungen, Vorstellungen
vereinigt die Sprache zu plastische" Bilder", plastische Bilder vereinigt die
Poesie zu poetischen Gemälden. Nun ist die Sprache weder das einzige Mittel
der Poesie, noch das plastische Bild das einzige Mittel der Sprache. Aber
sofern die Poesie nicht handelnde Personen verwendet, oder sofern diese Per¬
sonen nicht in Geberden oder unartikulirter Lauten ihr Seelenleben offenbaren,
sofern muß sie sich doch immer der Sprache bedienen. Und die Sprache be¬
darf des plastischen Bildes zwar nnr da, wo sie sich unmittelbar an unser
Gefühl wendet. Wo die Sprache nur etwas darzustellen hat, ohne dadurch
unser Gefühl unmittelbar zu erwecken, da genügt es, daß sie klar sei. Eine
klare Darstellung aber erreicht die Sprache nur dadurch, daß sie den Mecha¬
nismus des plastischen Bildes nachahmt! zwei möglichst enge Begriffe, ver¬
bunden durch ein möglichst einfaches Verbum. Wo dieser Mechanismus klar
zu erkennen ist, da ist die deutsche Sprache klar. Was sie sonst noch ist,
hängt von der Art und Fülle des Beiwerks ab, das dies Gerippe mit Sehnen,
Muskeln und Haut bekleidet und beweglich macht.

Die ganze Weisheit liefe also darauf hinaus, zu deu richtigem Substan¬
tive" das richtige Verbum zu finden. Das ist so einfach, daß man darüber
lachen möchte. Das Lachen aber vergeht dem bald, der auf Grund dieses ein¬
fachen Satzes unser landläufiges Deutsch kritisirt. Fragt doch einmal el"e"
glücklichen Besitzer von Königs Litteraturgeschichte, wie Walther auf dem Bilde
der Manessischen Handschrift aussehe. Fragt zur Vorsicht schriftlich, denn
sonst möchte der Gefragte ganz natürlich herausplatze": i" diesem Bilde sitzt
Walther auf einem Stein. Laßt ihr ihm aber Zeit zum Schreiben, so taucht
hinter ihm alsbald der gute Genius des neuhochdeutschen, der große Papierne
auf, den Otto Schröder entdeckt hat, und raunt dem Schreiber ins Ohr:


stellen. Aber die Vorstellung von Farben mit der Vorstellung von Blumen¬
blättern zu verbinden, das ist von der ursprünglichen Aufgabe dieser Verba
so weit entfernt, daß ich mir gar nichts dabei vorstellen kann. Denn damit
sich das Verbum so wirksam als möglich erweise, ist es notwendig, daß die
Vorstellungen, die es zum Bilde vereinigen soll, so deutlich als möglich seien.
Darin dürfte der Grund zu suchen sein, daß Homer seine großen poetischen
Gemälde in viele einzelne Bilder auflöst. Deu Wagen der Juno kann ich
mir als Ganzes nicht vorstellen, so lauge ich nicht ihn oder ein Bild davon
gesehen habe. Läßt aber der Dichter den Wagen ans Rädern, Achsen,
Deichsel n. s. w. zusammensetzen, so arbeitet er mit Vorstellungen, die jeder¬
mann geläufig sind, und die er daher mittels konkreter Verba zu plastischen
Bildern vereinigen kann. Doch es kommt nur nicht darauf an, eine Frage
der poetischen Technik erschöpfend zu behandeln. Ich wollte nur nachweisen,
daß Lessing einen Fehler begange» hat: er hat zwischen der Poesie und den
artikulirteu Lauten als ihrem Mittel ein Zwischenglied übersehen, den Or¬
ganismus der Sprache. Artitulirte Laute geben Vorstellungen, Vorstellungen
vereinigt die Sprache zu plastische» Bilder», plastische Bilder vereinigt die
Poesie zu poetischen Gemälden. Nun ist die Sprache weder das einzige Mittel
der Poesie, noch das plastische Bild das einzige Mittel der Sprache. Aber
sofern die Poesie nicht handelnde Personen verwendet, oder sofern diese Per¬
sonen nicht in Geberden oder unartikulirter Lauten ihr Seelenleben offenbaren,
sofern muß sie sich doch immer der Sprache bedienen. Und die Sprache be¬
darf des plastischen Bildes zwar nnr da, wo sie sich unmittelbar an unser
Gefühl wendet. Wo die Sprache nur etwas darzustellen hat, ohne dadurch
unser Gefühl unmittelbar zu erwecken, da genügt es, daß sie klar sei. Eine
klare Darstellung aber erreicht die Sprache nur dadurch, daß sie den Mecha¬
nismus des plastischen Bildes nachahmt! zwei möglichst enge Begriffe, ver¬
bunden durch ein möglichst einfaches Verbum. Wo dieser Mechanismus klar
zu erkennen ist, da ist die deutsche Sprache klar. Was sie sonst noch ist,
hängt von der Art und Fülle des Beiwerks ab, das dies Gerippe mit Sehnen,
Muskeln und Haut bekleidet und beweglich macht.

Die ganze Weisheit liefe also darauf hinaus, zu deu richtigem Substan¬
tive» das richtige Verbum zu finden. Das ist so einfach, daß man darüber
lachen möchte. Das Lachen aber vergeht dem bald, der auf Grund dieses ein¬
fachen Satzes unser landläufiges Deutsch kritisirt. Fragt doch einmal el»e»
glücklichen Besitzer von Königs Litteraturgeschichte, wie Walther auf dem Bilde
der Manessischen Handschrift aussehe. Fragt zur Vorsicht schriftlich, denn
sonst möchte der Gefragte ganz natürlich herausplatze»: i» diesem Bilde sitzt
Walther auf einem Stein. Laßt ihr ihm aber Zeit zum Schreiben, so taucht
hinter ihm alsbald der gute Genius des neuhochdeutschen, der große Papierne
auf, den Otto Schröder entdeckt hat, und raunt dem Schreiber ins Ohr:


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[0604] stellen. Aber die Vorstellung von Farben mit der Vorstellung von Blumen¬ blättern zu verbinden, das ist von der ursprünglichen Aufgabe dieser Verba so weit entfernt, daß ich mir gar nichts dabei vorstellen kann. Denn damit sich das Verbum so wirksam als möglich erweise, ist es notwendig, daß die Vorstellungen, die es zum Bilde vereinigen soll, so deutlich als möglich seien. Darin dürfte der Grund zu suchen sein, daß Homer seine großen poetischen Gemälde in viele einzelne Bilder auflöst. Deu Wagen der Juno kann ich mir als Ganzes nicht vorstellen, so lauge ich nicht ihn oder ein Bild davon gesehen habe. Läßt aber der Dichter den Wagen ans Rädern, Achsen, Deichsel n. s. w. zusammensetzen, so arbeitet er mit Vorstellungen, die jeder¬ mann geläufig sind, und die er daher mittels konkreter Verba zu plastischen Bildern vereinigen kann. Doch es kommt nur nicht darauf an, eine Frage der poetischen Technik erschöpfend zu behandeln. Ich wollte nur nachweisen, daß Lessing einen Fehler begange» hat: er hat zwischen der Poesie und den artikulirteu Lauten als ihrem Mittel ein Zwischenglied übersehen, den Or¬ ganismus der Sprache. Artitulirte Laute geben Vorstellungen, Vorstellungen vereinigt die Sprache zu plastische» Bilder», plastische Bilder vereinigt die Poesie zu poetischen Gemälden. Nun ist die Sprache weder das einzige Mittel der Poesie, noch das plastische Bild das einzige Mittel der Sprache. Aber sofern die Poesie nicht handelnde Personen verwendet, oder sofern diese Per¬ sonen nicht in Geberden oder unartikulirter Lauten ihr Seelenleben offenbaren, sofern muß sie sich doch immer der Sprache bedienen. Und die Sprache be¬ darf des plastischen Bildes zwar nnr da, wo sie sich unmittelbar an unser Gefühl wendet. Wo die Sprache nur etwas darzustellen hat, ohne dadurch unser Gefühl unmittelbar zu erwecken, da genügt es, daß sie klar sei. Eine klare Darstellung aber erreicht die Sprache nur dadurch, daß sie den Mecha¬ nismus des plastischen Bildes nachahmt! zwei möglichst enge Begriffe, ver¬ bunden durch ein möglichst einfaches Verbum. Wo dieser Mechanismus klar zu erkennen ist, da ist die deutsche Sprache klar. Was sie sonst noch ist, hängt von der Art und Fülle des Beiwerks ab, das dies Gerippe mit Sehnen, Muskeln und Haut bekleidet und beweglich macht. Die ganze Weisheit liefe also darauf hinaus, zu deu richtigem Substan¬ tive» das richtige Verbum zu finden. Das ist so einfach, daß man darüber lachen möchte. Das Lachen aber vergeht dem bald, der auf Grund dieses ein¬ fachen Satzes unser landläufiges Deutsch kritisirt. Fragt doch einmal el»e» glücklichen Besitzer von Königs Litteraturgeschichte, wie Walther auf dem Bilde der Manessischen Handschrift aussehe. Fragt zur Vorsicht schriftlich, denn sonst möchte der Gefragte ganz natürlich herausplatze»: i» diesem Bilde sitzt Walther auf einem Stein. Laßt ihr ihm aber Zeit zum Schreiben, so taucht hinter ihm alsbald der gute Genius des neuhochdeutschen, der große Papierne auf, den Otto Schröder entdeckt hat, und raunt dem Schreiber ins Ohr:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/604>, abgerufen am 23.07.2024.