Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Laokocm, Kapitel ^6 kann ich mir dabei etwas vorstelle"? O ja, daß sie jetzt schlechter Laune sein Hier ist es allein das Verbum "sitzen," das dem poetischen Gemälde Plastik Die Antwort auf die Frage, wie die Sprache im Hörer deutliche Vorstel¬ Laokocm, Kapitel ^6 kann ich mir dabei etwas vorstelle»? O ja, daß sie jetzt schlechter Laune sein Hier ist es allein das Verbum „sitzen," das dem poetischen Gemälde Plastik Die Antwort auf die Frage, wie die Sprache im Hörer deutliche Vorstel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0603" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215058"/> <fw type="header" place="top"> Laokocm, Kapitel ^6</fw><lb/> <p xml:id="ID_2313" prev="#ID_2312" next="#ID_2314"> kann ich mir dabei etwas vorstelle»? O ja, daß sie jetzt schlechter Laune sein<lb/> wird, aber sicher nichts, was die Vorstellung der beide» Dinge, Kleid und<lb/> Mädchen, zu einem deutlichen Bilde verknüpfte. Denn „sitzen" soll hier um¬<lb/> gekehrt die Beziehung eines leblosen Dinges zu einem lebenden bezeichnen, und<lb/> dazu ist es nicht eigentlich da. Mit Hilfe des Verbums „sitzen" erzeugt man<lb/> eine deutliche Vorstellung uur da, wo es seiner eigentlichen Aufgabe gemäß<lb/> ausgesprochen wird, wo also ein lebendes Wesen Subjekt des Verbums ist.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_49" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2314" prev="#ID_2313"> Hier ist es allein das Verbum „sitzen," das dem poetischen Gemälde Plastik<lb/> verleiht, alles andre ist Kolorit. Denn das plastische Bild an sich ist noch<lb/> leine Poesie, poetisch wirkt es erst im richtigen Zusammenhang. Aber kann<lb/> wohl etwas eine tiefere Wirkung ausüben, als es an seinem Orte das einfache<lb/> Bild thut!</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_50" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2315" next="#ID_2316"> Die Antwort auf die Frage, wie die Sprache im Hörer deutliche Vorstel¬<lb/> lungen von Dingen im Raume schafft, lautet also: mit Hilfe einer bestimmten Klasse<lb/> von Verden, deren eigentliche Aufgabe es ist, eine sichtbare Beziehung zwischen<lb/> Dingen im Raum zu bezeichnen. (Es sei gestattet, diese Verba der Kurze<lb/> halber konkrete zu nennen.) Ob sich die sichtbare Beziehung als eine Handlung,<lb/> Bewegung oder Ruhelage darstellt, das ist für die Plastik des Bildes von<lb/> gar keiner Bedeutung. Zwei konkrete Substantiva oder ihre Stellvertreter,<lb/> Pronomina, verbunden durch ein konkretes Verbum, auf diesen Mechanismus<lb/> ist der Geist eingeübt, und wo ihm Lantgruppen, durch diesen Mechanismus<lb/> verbunden, dargeboten werden, dn stellt er sich ein plastisches Bild vor. Auf<lb/> leine andre Weise kann die Sprache diese Bilder erzengen, und sie muß mit<lb/> dem Schmuck der Adjektiva nud Adverbia sparsam sein, damit das schmückende<lb/> Beiwerk ja nicht den Mechanismus verdenke. Man sehe Goethes beste Natur-<lb/> schilderungen durch auf die Natur ihrer Verba, ob uicht die Mehrzahl konkrete<lb/> Verba siud, gebraucht in ihrer ursprünglichen, konkreten Bedeutung. Um auch<lb/> die Gegenprobe nicht zu unterlasse», betrachte man das Beispiel eines schlechten<lb/> poetischen Gemäldes, das Lessing aus Hallers Alpen anführt. Umbiegen, sich<lb/> auftürmen, krönen, durchziehen sind vier Verba in drei aufeinander folgenden<lb/> Zeilen. Sich anstürmen und krönen haben gar keine Verbalstämme. Um¬<lb/> biegen und durchziehen sind konkrete Verba, und eine mngebogue Lciiizenspitze<lb/> oder einen Kahn, der den stillen See durchzieht, kauu ich mir recht gut vor-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0603]
Laokocm, Kapitel ^6
kann ich mir dabei etwas vorstelle»? O ja, daß sie jetzt schlechter Laune sein
wird, aber sicher nichts, was die Vorstellung der beide» Dinge, Kleid und
Mädchen, zu einem deutlichen Bilde verknüpfte. Denn „sitzen" soll hier um¬
gekehrt die Beziehung eines leblosen Dinges zu einem lebenden bezeichnen, und
dazu ist es nicht eigentlich da. Mit Hilfe des Verbums „sitzen" erzeugt man
eine deutliche Vorstellung uur da, wo es seiner eigentlichen Aufgabe gemäß
ausgesprochen wird, wo also ein lebendes Wesen Subjekt des Verbums ist.
Hier ist es allein das Verbum „sitzen," das dem poetischen Gemälde Plastik
verleiht, alles andre ist Kolorit. Denn das plastische Bild an sich ist noch
leine Poesie, poetisch wirkt es erst im richtigen Zusammenhang. Aber kann
wohl etwas eine tiefere Wirkung ausüben, als es an seinem Orte das einfache
Bild thut!
Die Antwort auf die Frage, wie die Sprache im Hörer deutliche Vorstel¬
lungen von Dingen im Raume schafft, lautet also: mit Hilfe einer bestimmten Klasse
von Verden, deren eigentliche Aufgabe es ist, eine sichtbare Beziehung zwischen
Dingen im Raum zu bezeichnen. (Es sei gestattet, diese Verba der Kurze
halber konkrete zu nennen.) Ob sich die sichtbare Beziehung als eine Handlung,
Bewegung oder Ruhelage darstellt, das ist für die Plastik des Bildes von
gar keiner Bedeutung. Zwei konkrete Substantiva oder ihre Stellvertreter,
Pronomina, verbunden durch ein konkretes Verbum, auf diesen Mechanismus
ist der Geist eingeübt, und wo ihm Lantgruppen, durch diesen Mechanismus
verbunden, dargeboten werden, dn stellt er sich ein plastisches Bild vor. Auf
leine andre Weise kann die Sprache diese Bilder erzengen, und sie muß mit
dem Schmuck der Adjektiva nud Adverbia sparsam sein, damit das schmückende
Beiwerk ja nicht den Mechanismus verdenke. Man sehe Goethes beste Natur-
schilderungen durch auf die Natur ihrer Verba, ob uicht die Mehrzahl konkrete
Verba siud, gebraucht in ihrer ursprünglichen, konkreten Bedeutung. Um auch
die Gegenprobe nicht zu unterlasse», betrachte man das Beispiel eines schlechten
poetischen Gemäldes, das Lessing aus Hallers Alpen anführt. Umbiegen, sich
auftürmen, krönen, durchziehen sind vier Verba in drei aufeinander folgenden
Zeilen. Sich anstürmen und krönen haben gar keine Verbalstämme. Um¬
biegen und durchziehen sind konkrete Verba, und eine mngebogue Lciiizenspitze
oder einen Kahn, der den stillen See durchzieht, kauu ich mir recht gut vor-
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