Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

Ackerhäusler zu diesem Zweck nur ein paar hundert Mark, so handelt es sich
dafür beim Großgrundbesitzer um Hunderttausende und um Millionen, und
schon auf je 30 Zwergwirte kommt in Preußen ein Großgrundbesitzer. So
entspricht also der Fortschritt der Verschuldung, so bedenklich er auch seil, mag,
durchaus dem natürlichen Gange der Dinge.

Der oben erwähnte Hypothekenhunger der Stadtbevölkerung wird aber
leider nicht auf die richtige Weise befriedigt. Den Arbeitern und Kleinhand¬
werkern, die den ersten Anspruch hätten auf eine kleine Entschädigung für deu
Verlust des Landes ihrer Väter, füllt -- durch Vermittlung der Sparkassen --
nur der kleinere Teil des ländlichen Hypothekenkapitals zu; den größern wissen
Leute in ihre Gewalt zu bringen, die ohnedem schon reich genug sind, und
diese verstehen es auch, durch mancherlei Künste den natürlichen Gang der
zunehmenden Verschuldung des Grundbesitzes beim kleinbäuerlichen Stande un¬
nötigerweise zu beschleunigen. Der Bauer, auch der kleine, hat Vermögen und
ein sicheres Einkommen, aber er hat nicht immer bares Geld. Früher, als
er seine Kinder nicht durch Verschuldung des Stammgutes zu versorgen und
weder Staats- noch Gemeindesteuern zu zahlen brauchte, hatte er bares Geld
gar nicht nötig; heute braucht er abgesehen von den modernen Bedürfnissen
seiner Familie und deu Anforderungen einer rationellen Landwirtschaft --
aller Augenblicke bares Geld: auf Hypotheteuzius, für den Stenererheber, für
Schulbänken und andre Gemeindebedürfnisse, auf Gesindelohn, für einen beim
Militär stehenden Sohn, für einen andern, der in der Stadt eine Schule be¬
sucht u. s. w. Diese Ausgaben brauchen den Durchschnittsertrag seines Gutes
und seiner Arbeit noch nicht zu überschreiten und können den Mann trotzdem
zu Grunde richten. Es ergeht ihm häufig, wie es sonst nur Kaufleuten er¬
gehen konnte, daß sie, ohne insolvent zu sein, durch rücksichtslose und gewinn¬
süchtige Gläubiger zu Grunde gerichtet werden. Um eine fällige Zahlung
leisten zu können, muß der Bauer Schulden macheu, und der gewissenlose
Gläubiger weiß seinen Schuldner durch die bekannten Praktiken so weit zu
bringen, daß ans der anfänglichen Personalschnld eine stetig wachsende Hypv-
thetenschuld wird, die den Bauer schließlich vom Hofe treibt. Demnach ist
drittens zu fragen, ob nicht beim Stande der.Kleinbauern der hypothekarischen
Verschuldung in vielen Fällen durch verständige Regelung des Personalkredits
vorgebeugt werden könnte.

Darauf antwortet nun ein soeben erschienenes Buch mit einem ent-
schiednen und wohlbegründeten ja; wir meinen das Buch: Der ländliche
Personalkredit. sozialpolitische Studien von Dr. Eugen Jäger, Re¬
dakteur der "Pfälzer Zeitung," (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1893).
Das Buch (543 enggedruckte Seiten) bildet den vierten Band des Werkes:
Die Agrarfrage der Gegenwart, das schon bei Besprechung des zweiten Bandes
im Jahre 1884 von den Grenzboten (Heft 13) als ein hochbedeutendes Werk


Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

Ackerhäusler zu diesem Zweck nur ein paar hundert Mark, so handelt es sich
dafür beim Großgrundbesitzer um Hunderttausende und um Millionen, und
schon auf je 30 Zwergwirte kommt in Preußen ein Großgrundbesitzer. So
entspricht also der Fortschritt der Verschuldung, so bedenklich er auch seil, mag,
durchaus dem natürlichen Gange der Dinge.

Der oben erwähnte Hypothekenhunger der Stadtbevölkerung wird aber
leider nicht auf die richtige Weise befriedigt. Den Arbeitern und Kleinhand¬
werkern, die den ersten Anspruch hätten auf eine kleine Entschädigung für deu
Verlust des Landes ihrer Väter, füllt — durch Vermittlung der Sparkassen —
nur der kleinere Teil des ländlichen Hypothekenkapitals zu; den größern wissen
Leute in ihre Gewalt zu bringen, die ohnedem schon reich genug sind, und
diese verstehen es auch, durch mancherlei Künste den natürlichen Gang der
zunehmenden Verschuldung des Grundbesitzes beim kleinbäuerlichen Stande un¬
nötigerweise zu beschleunigen. Der Bauer, auch der kleine, hat Vermögen und
ein sicheres Einkommen, aber er hat nicht immer bares Geld. Früher, als
er seine Kinder nicht durch Verschuldung des Stammgutes zu versorgen und
weder Staats- noch Gemeindesteuern zu zahlen brauchte, hatte er bares Geld
gar nicht nötig; heute braucht er abgesehen von den modernen Bedürfnissen
seiner Familie und deu Anforderungen einer rationellen Landwirtschaft —
aller Augenblicke bares Geld: auf Hypotheteuzius, für den Stenererheber, für
Schulbänken und andre Gemeindebedürfnisse, auf Gesindelohn, für einen beim
Militär stehenden Sohn, für einen andern, der in der Stadt eine Schule be¬
sucht u. s. w. Diese Ausgaben brauchen den Durchschnittsertrag seines Gutes
und seiner Arbeit noch nicht zu überschreiten und können den Mann trotzdem
zu Grunde richten. Es ergeht ihm häufig, wie es sonst nur Kaufleuten er¬
gehen konnte, daß sie, ohne insolvent zu sein, durch rücksichtslose und gewinn¬
süchtige Gläubiger zu Grunde gerichtet werden. Um eine fällige Zahlung
leisten zu können, muß der Bauer Schulden macheu, und der gewissenlose
Gläubiger weiß seinen Schuldner durch die bekannten Praktiken so weit zu
bringen, daß ans der anfänglichen Personalschnld eine stetig wachsende Hypv-
thetenschuld wird, die den Bauer schließlich vom Hofe treibt. Demnach ist
drittens zu fragen, ob nicht beim Stande der.Kleinbauern der hypothekarischen
Verschuldung in vielen Fällen durch verständige Regelung des Personalkredits
vorgebeugt werden könnte.

Darauf antwortet nun ein soeben erschienenes Buch mit einem ent-
schiednen und wohlbegründeten ja; wir meinen das Buch: Der ländliche
Personalkredit. sozialpolitische Studien von Dr. Eugen Jäger, Re¬
dakteur der „Pfälzer Zeitung," (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1893).
Das Buch (543 enggedruckte Seiten) bildet den vierten Band des Werkes:
Die Agrarfrage der Gegenwart, das schon bei Besprechung des zweiten Bandes
im Jahre 1884 von den Grenzboten (Heft 13) als ein hochbedeutendes Werk


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215051"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2295" prev="#ID_2294"> Ackerhäusler zu diesem Zweck nur ein paar hundert Mark, so handelt es sich<lb/>
dafür beim Großgrundbesitzer um Hunderttausende und um Millionen, und<lb/>
schon auf je 30 Zwergwirte kommt in Preußen ein Großgrundbesitzer. So<lb/>
entspricht also der Fortschritt der Verschuldung, so bedenklich er auch seil, mag,<lb/>
durchaus dem natürlichen Gange der Dinge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2296"> Der oben erwähnte Hypothekenhunger der Stadtbevölkerung wird aber<lb/>
leider nicht auf die richtige Weise befriedigt. Den Arbeitern und Kleinhand¬<lb/>
werkern, die den ersten Anspruch hätten auf eine kleine Entschädigung für deu<lb/>
Verlust des Landes ihrer Väter, füllt &#x2014; durch Vermittlung der Sparkassen &#x2014;<lb/>
nur der kleinere Teil des ländlichen Hypothekenkapitals zu; den größern wissen<lb/>
Leute in ihre Gewalt zu bringen, die ohnedem schon reich genug sind, und<lb/>
diese verstehen es auch, durch mancherlei Künste den natürlichen Gang der<lb/>
zunehmenden Verschuldung des Grundbesitzes beim kleinbäuerlichen Stande un¬<lb/>
nötigerweise zu beschleunigen. Der Bauer, auch der kleine, hat Vermögen und<lb/>
ein sicheres Einkommen, aber er hat nicht immer bares Geld. Früher, als<lb/>
er seine Kinder nicht durch Verschuldung des Stammgutes zu versorgen und<lb/>
weder Staats- noch Gemeindesteuern zu zahlen brauchte, hatte er bares Geld<lb/>
gar nicht nötig; heute braucht er abgesehen von den modernen Bedürfnissen<lb/>
seiner Familie und deu Anforderungen einer rationellen Landwirtschaft &#x2014;<lb/>
aller Augenblicke bares Geld: auf Hypotheteuzius, für den Stenererheber, für<lb/>
Schulbänken und andre Gemeindebedürfnisse, auf Gesindelohn, für einen beim<lb/>
Militär stehenden Sohn, für einen andern, der in der Stadt eine Schule be¬<lb/>
sucht u. s. w. Diese Ausgaben brauchen den Durchschnittsertrag seines Gutes<lb/>
und seiner Arbeit noch nicht zu überschreiten und können den Mann trotzdem<lb/>
zu Grunde richten. Es ergeht ihm häufig, wie es sonst nur Kaufleuten er¬<lb/>
gehen konnte, daß sie, ohne insolvent zu sein, durch rücksichtslose und gewinn¬<lb/>
süchtige Gläubiger zu Grunde gerichtet werden. Um eine fällige Zahlung<lb/>
leisten zu können, muß der Bauer Schulden macheu, und der gewissenlose<lb/>
Gläubiger weiß seinen Schuldner durch die bekannten Praktiken so weit zu<lb/>
bringen, daß ans der anfänglichen Personalschnld eine stetig wachsende Hypv-<lb/>
thetenschuld wird, die den Bauer schließlich vom Hofe treibt. Demnach ist<lb/>
drittens zu fragen, ob nicht beim Stande der.Kleinbauern der hypothekarischen<lb/>
Verschuldung in vielen Fällen durch verständige Regelung des Personalkredits<lb/>
vorgebeugt werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2297" next="#ID_2298"> Darauf antwortet nun ein soeben erschienenes Buch mit einem ent-<lb/>
schiednen und wohlbegründeten ja; wir meinen das Buch: Der ländliche<lb/>
Personalkredit. sozialpolitische Studien von Dr. Eugen Jäger, Re¬<lb/>
dakteur der &#x201E;Pfälzer Zeitung," (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1893).<lb/>
Das Buch (543 enggedruckte Seiten) bildet den vierten Band des Werkes:<lb/>
Die Agrarfrage der Gegenwart, das schon bei Besprechung des zweiten Bandes<lb/>
im Jahre 1884 von den Grenzboten (Heft 13) als ein hochbedeutendes Werk</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen Ackerhäusler zu diesem Zweck nur ein paar hundert Mark, so handelt es sich dafür beim Großgrundbesitzer um Hunderttausende und um Millionen, und schon auf je 30 Zwergwirte kommt in Preußen ein Großgrundbesitzer. So entspricht also der Fortschritt der Verschuldung, so bedenklich er auch seil, mag, durchaus dem natürlichen Gange der Dinge. Der oben erwähnte Hypothekenhunger der Stadtbevölkerung wird aber leider nicht auf die richtige Weise befriedigt. Den Arbeitern und Kleinhand¬ werkern, die den ersten Anspruch hätten auf eine kleine Entschädigung für deu Verlust des Landes ihrer Väter, füllt — durch Vermittlung der Sparkassen — nur der kleinere Teil des ländlichen Hypothekenkapitals zu; den größern wissen Leute in ihre Gewalt zu bringen, die ohnedem schon reich genug sind, und diese verstehen es auch, durch mancherlei Künste den natürlichen Gang der zunehmenden Verschuldung des Grundbesitzes beim kleinbäuerlichen Stande un¬ nötigerweise zu beschleunigen. Der Bauer, auch der kleine, hat Vermögen und ein sicheres Einkommen, aber er hat nicht immer bares Geld. Früher, als er seine Kinder nicht durch Verschuldung des Stammgutes zu versorgen und weder Staats- noch Gemeindesteuern zu zahlen brauchte, hatte er bares Geld gar nicht nötig; heute braucht er abgesehen von den modernen Bedürfnissen seiner Familie und deu Anforderungen einer rationellen Landwirtschaft — aller Augenblicke bares Geld: auf Hypotheteuzius, für den Stenererheber, für Schulbänken und andre Gemeindebedürfnisse, auf Gesindelohn, für einen beim Militär stehenden Sohn, für einen andern, der in der Stadt eine Schule be¬ sucht u. s. w. Diese Ausgaben brauchen den Durchschnittsertrag seines Gutes und seiner Arbeit noch nicht zu überschreiten und können den Mann trotzdem zu Grunde richten. Es ergeht ihm häufig, wie es sonst nur Kaufleuten er¬ gehen konnte, daß sie, ohne insolvent zu sein, durch rücksichtslose und gewinn¬ süchtige Gläubiger zu Grunde gerichtet werden. Um eine fällige Zahlung leisten zu können, muß der Bauer Schulden macheu, und der gewissenlose Gläubiger weiß seinen Schuldner durch die bekannten Praktiken so weit zu bringen, daß ans der anfänglichen Personalschnld eine stetig wachsende Hypv- thetenschuld wird, die den Bauer schließlich vom Hofe treibt. Demnach ist drittens zu fragen, ob nicht beim Stande der.Kleinbauern der hypothekarischen Verschuldung in vielen Fällen durch verständige Regelung des Personalkredits vorgebeugt werden könnte. Darauf antwortet nun ein soeben erschienenes Buch mit einem ent- schiednen und wohlbegründeten ja; wir meinen das Buch: Der ländliche Personalkredit. sozialpolitische Studien von Dr. Eugen Jäger, Re¬ dakteur der „Pfälzer Zeitung," (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1893). Das Buch (543 enggedruckte Seiten) bildet den vierten Band des Werkes: Die Agrarfrage der Gegenwart, das schon bei Besprechung des zweiten Bandes im Jahre 1884 von den Grenzboten (Heft 13) als ein hochbedeutendes Werk

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/596>, abgerufen am 23.07.2024.