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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Verschuldung des ländliche" Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

aber in Wirklichkeit mir, so weit für sie, wie das in Preußen der Fall ist,
Eisenbahnen, Bergwerke und Domänen verpfändet sind. Unsre Neichsschulden
schweben schon in der Luft, denn sie ruhen ganz allein ans der Steuertrast
des Volkes und dein guten Willen der Steuerzahler; die Kraft der einen aber
ist nahezu erschöpft, und bei den andern ist wenig guter Wille vorhanden. Da
nun unter den jetzigen Umstüuden die ländliche Bevölkerung gar nicht mehr
wachsen kann und nur noch die städtische wächst, so wächst mit dieser zugleich
auch der Hypothekenhunger, und es hieße immer größere Massen der städ¬
tischen Bevölkerung zu eiuer proletarischen Existenz verurteilen, wenn man ihr
diese Art von Kapitalanlage versperren wollte. Es giebt nun allerdings zwei
Systeme, durch deren Annahme wir der Notwendigkeit zunehmender Verschul¬
dung des Grundbesitzes entgehen könnten, aber zu dem eiuen werden wir keine
Lust haben, und das andre anzunehmen wird uus nicht möglich sein. Das
eine ist das französische Zweikindersystem: wo der Bauer durchschnittlich nur
zwei Kinder hat, dn brauchen bei der Erbteilung keine Hypotheken aufgenom¬
men zu werden, denn was der Anerbe seiner Schwester auszahlt, das bringt
ihm seine Frau zu. Das andre ist das englische der Majorate. Da giebt
es nun gar keinen andern als proletarischen Vvlkszuwachs mehr, oder würde
es keinen andern geben, wenn nicht ein großer Teil der vom Grundbesitz aus¬
geschlossenen Bevölkerung in den Kolonien und im Handel leidlich versorgt
werden könnte. Für ein zweites England ist aber auf der Erde kein Platz mehr
vorhanden, und was namentlich die Ausdehnung unsers Ausfuhrhandels an¬
langt, so wäre sie uur durch Handelsverträge möglich, die uns mehr und mehr
dem Freihandel nahe bringen würden; das sind aber zwei Dinge, vor denen
sich unsre deutschen Gutsbesitzer bekreuzen.

Selbstverständlich kann die wachsende Verschuldung nicht bis in alle
Ewigkeit fortgehen, sondern muß, wenn nicht ein Ausweg gefunden wird, über
kurz oder lang eine" großen Krach herbeiführen. Aber bis dieser Ausweg
gefunden sein wird, kann keine Staatskunst und keine Gesetzgebung den Fort¬
schritt des Übels aufhalten. Und das Tempo des Fortschritts scheint uns
durchaus den Verhältnissen angemessen zu sein. Nach Angabe des Hand¬
wörterbuchs der Staatswissenschaften von Conrad und Lexis giebt es in
Preußen 1568215 ländliche Grundbesitzer. Dreißigjährige Geschlechtsfolgen
angenommen, würden jährlich über 52000 Erbteiluugeu vorkommen. Werden
bei einer jeden durchschnittlich 3000 Mark Hypvthekeuschuldcu gemacht, so
ergiebt das über 150 Millionen, in zehn Jahren also mehr als 1500. Der
Durchschnitt ist sehr niedrig angesetzt in der Annahme, daß die wohlhabenden
Gutsbesitzer eiuen Teil der Abfindung aus ersparten Gntserträgnissen bestreuten
können, die Magnaten aber ihre Güter in imwiA unter ihre Kinder teilen.
Bei dem durchschnittlichen Bauer, dessen Gut 60--90000 Mark wert ist, be¬
trägt ja die Abfindungssumme meist über 20000 Mark, und braucht der


Die Verschuldung des ländliche» Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen

aber in Wirklichkeit mir, so weit für sie, wie das in Preußen der Fall ist,
Eisenbahnen, Bergwerke und Domänen verpfändet sind. Unsre Neichsschulden
schweben schon in der Luft, denn sie ruhen ganz allein ans der Steuertrast
des Volkes und dein guten Willen der Steuerzahler; die Kraft der einen aber
ist nahezu erschöpft, und bei den andern ist wenig guter Wille vorhanden. Da
nun unter den jetzigen Umstüuden die ländliche Bevölkerung gar nicht mehr
wachsen kann und nur noch die städtische wächst, so wächst mit dieser zugleich
auch der Hypothekenhunger, und es hieße immer größere Massen der städ¬
tischen Bevölkerung zu eiuer proletarischen Existenz verurteilen, wenn man ihr
diese Art von Kapitalanlage versperren wollte. Es giebt nun allerdings zwei
Systeme, durch deren Annahme wir der Notwendigkeit zunehmender Verschul¬
dung des Grundbesitzes entgehen könnten, aber zu dem eiuen werden wir keine
Lust haben, und das andre anzunehmen wird uus nicht möglich sein. Das
eine ist das französische Zweikindersystem: wo der Bauer durchschnittlich nur
zwei Kinder hat, dn brauchen bei der Erbteilung keine Hypotheken aufgenom¬
men zu werden, denn was der Anerbe seiner Schwester auszahlt, das bringt
ihm seine Frau zu. Das andre ist das englische der Majorate. Da giebt
es nun gar keinen andern als proletarischen Vvlkszuwachs mehr, oder würde
es keinen andern geben, wenn nicht ein großer Teil der vom Grundbesitz aus¬
geschlossenen Bevölkerung in den Kolonien und im Handel leidlich versorgt
werden könnte. Für ein zweites England ist aber auf der Erde kein Platz mehr
vorhanden, und was namentlich die Ausdehnung unsers Ausfuhrhandels an¬
langt, so wäre sie uur durch Handelsverträge möglich, die uns mehr und mehr
dem Freihandel nahe bringen würden; das sind aber zwei Dinge, vor denen
sich unsre deutschen Gutsbesitzer bekreuzen.

Selbstverständlich kann die wachsende Verschuldung nicht bis in alle
Ewigkeit fortgehen, sondern muß, wenn nicht ein Ausweg gefunden wird, über
kurz oder lang eine» großen Krach herbeiführen. Aber bis dieser Ausweg
gefunden sein wird, kann keine Staatskunst und keine Gesetzgebung den Fort¬
schritt des Übels aufhalten. Und das Tempo des Fortschritts scheint uns
durchaus den Verhältnissen angemessen zu sein. Nach Angabe des Hand¬
wörterbuchs der Staatswissenschaften von Conrad und Lexis giebt es in
Preußen 1568215 ländliche Grundbesitzer. Dreißigjährige Geschlechtsfolgen
angenommen, würden jährlich über 52000 Erbteiluugeu vorkommen. Werden
bei einer jeden durchschnittlich 3000 Mark Hypvthekeuschuldcu gemacht, so
ergiebt das über 150 Millionen, in zehn Jahren also mehr als 1500. Der
Durchschnitt ist sehr niedrig angesetzt in der Annahme, daß die wohlhabenden
Gutsbesitzer eiuen Teil der Abfindung aus ersparten Gntserträgnissen bestreuten
können, die Magnaten aber ihre Güter in imwiA unter ihre Kinder teilen.
Bei dem durchschnittlichen Bauer, dessen Gut 60—90000 Mark wert ist, be¬
trägt ja die Abfindungssumme meist über 20000 Mark, und braucht der


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[0595] Die Verschuldung des ländliche» Grundbesitzes und das ländliche Kreditwesen aber in Wirklichkeit mir, so weit für sie, wie das in Preußen der Fall ist, Eisenbahnen, Bergwerke und Domänen verpfändet sind. Unsre Neichsschulden schweben schon in der Luft, denn sie ruhen ganz allein ans der Steuertrast des Volkes und dein guten Willen der Steuerzahler; die Kraft der einen aber ist nahezu erschöpft, und bei den andern ist wenig guter Wille vorhanden. Da nun unter den jetzigen Umstüuden die ländliche Bevölkerung gar nicht mehr wachsen kann und nur noch die städtische wächst, so wächst mit dieser zugleich auch der Hypothekenhunger, und es hieße immer größere Massen der städ¬ tischen Bevölkerung zu eiuer proletarischen Existenz verurteilen, wenn man ihr diese Art von Kapitalanlage versperren wollte. Es giebt nun allerdings zwei Systeme, durch deren Annahme wir der Notwendigkeit zunehmender Verschul¬ dung des Grundbesitzes entgehen könnten, aber zu dem eiuen werden wir keine Lust haben, und das andre anzunehmen wird uus nicht möglich sein. Das eine ist das französische Zweikindersystem: wo der Bauer durchschnittlich nur zwei Kinder hat, dn brauchen bei der Erbteilung keine Hypotheken aufgenom¬ men zu werden, denn was der Anerbe seiner Schwester auszahlt, das bringt ihm seine Frau zu. Das andre ist das englische der Majorate. Da giebt es nun gar keinen andern als proletarischen Vvlkszuwachs mehr, oder würde es keinen andern geben, wenn nicht ein großer Teil der vom Grundbesitz aus¬ geschlossenen Bevölkerung in den Kolonien und im Handel leidlich versorgt werden könnte. Für ein zweites England ist aber auf der Erde kein Platz mehr vorhanden, und was namentlich die Ausdehnung unsers Ausfuhrhandels an¬ langt, so wäre sie uur durch Handelsverträge möglich, die uns mehr und mehr dem Freihandel nahe bringen würden; das sind aber zwei Dinge, vor denen sich unsre deutschen Gutsbesitzer bekreuzen. Selbstverständlich kann die wachsende Verschuldung nicht bis in alle Ewigkeit fortgehen, sondern muß, wenn nicht ein Ausweg gefunden wird, über kurz oder lang eine» großen Krach herbeiführen. Aber bis dieser Ausweg gefunden sein wird, kann keine Staatskunst und keine Gesetzgebung den Fort¬ schritt des Übels aufhalten. Und das Tempo des Fortschritts scheint uns durchaus den Verhältnissen angemessen zu sein. Nach Angabe des Hand¬ wörterbuchs der Staatswissenschaften von Conrad und Lexis giebt es in Preußen 1568215 ländliche Grundbesitzer. Dreißigjährige Geschlechtsfolgen angenommen, würden jährlich über 52000 Erbteiluugeu vorkommen. Werden bei einer jeden durchschnittlich 3000 Mark Hypvthekeuschuldcu gemacht, so ergiebt das über 150 Millionen, in zehn Jahren also mehr als 1500. Der Durchschnitt ist sehr niedrig angesetzt in der Annahme, daß die wohlhabenden Gutsbesitzer eiuen Teil der Abfindung aus ersparten Gntserträgnissen bestreuten können, die Magnaten aber ihre Güter in imwiA unter ihre Kinder teilen. Bei dem durchschnittlichen Bauer, dessen Gut 60—90000 Mark wert ist, be¬ trägt ja die Abfindungssumme meist über 20000 Mark, und braucht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/595>, abgerufen am 23.07.2024.