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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Ans den Tagebüchern Theodor von Bernhardis

solchem Grade alle einflußreichen Stellen und Ämter in die Hände ihrer Partei
gebracht, daß es nicht leicht ist, gegen die Macht anzukämpfen, die sie besitzt.
Alle Landräte sind Leute der reaktionären Partei; die Bürgermeister der kleinen
Städte sind ebenfalls wenigstens sehr geschmeidige Subjekte, die den Mantel
nach dem Winde hängen und thun, was ihnen vom Landrat und Regierungs¬
präsidenten befohlen wird. Überhaupt ist es nicht so leicht, eine komplizirte
große Staatsmaschine aus dem Geleise herauszuheben, in dem sie seit einer
Reihe von Jahren durch alle möglichen Mittel erhalten worden ist; nament¬
lich bei der jetzigen Unsicherheit unsrer Zustände. Die Wahlen werden jeden¬
falls so ausfallen, daß sie uns vor weitern Rückschritten bewahren, und die
Möglichkeit gewähren, für die nächste Legislaturperiode vollkommen befriedigende
Wahlen vorzubereiten. Mehr aber ist für diesmal mit Sicherheit nicht zu
erwarten.

Sehr wichtig ist nun aber zunächst, daß mau auch in England die Sach¬
lage so sieht, wie sie wirklich ist; nicht zu viel von den gegenwärtigen Wahlen
erwartet und nicht infolge dessen, wenn sie nicht ganz den hoch gespannten
Erwartungen entsprechen, auch dies teilweise Mißlingen wieder überschätzt;
nicht daraufhin das Vertrauen zu Preußen und die Hoffnung auf Preußen
verliert; nicht den Gedanken aufgiebt, in Preußen Englands Stütze auf dem
Festlande zu suchen.

Ich fordre den Herzog ans, der Königin Viktoria, seinem Bruder Albert
und den englischen Staatsmännern, die er demnächst sehen wird, auseinander¬
zusetzen, daß diesmal ein vollständiger Erfolg nicht zu erwarten ist; daß ein
teilweises Mißlingen aber auch gar nichts für die Zukunft beweist, wenig auf
sich hat im ganzen, und die Politik Englands in Beziehung auf Preußen nicht
bestimmen darf. Der Herzog verspricht mir das, nachdem er sehr aufmerksam
zugehört hat.

Weniger Glück habe ich mit meinem zweiten Anliegen. Ich spreche von
dem jungen Prinzen Friedrich Wilhelm. Der ist sehr liebenswürdig, hat
manche schöne Eigenschaften, zeigt hin und wieder, daß er den Übermut der
Jnnkerpartei nicht duldet; aber er lebt sorglos, beschäftigt sich mit den Inter¬
essen, die eben der Augenblick bringt. Einfluß auf ihn kann mir der Herzog
üben, der als Onkel, wie wir alle wissen, das volle Vertraue" der Prinzessin
Viktoria besitzt.

Jeder Versuch wäre durchaus vergeblich, erwiderte der Herzog.

Der Herzog fragt nach dem Benehmen des Prinzen Friedrich Wilhelm
in Schlesien, nach meinen Beziehungen zu ihm, nach meiner Denkschrift über
den Kaiser Nikolaus, die auf den Prinzen von Preußen Eindruck gemacht hat,
will aber auch nicht sagen, durch wen er davon gehört hat. Findet es be¬
denklich, daß die Prinzessin von Preußen eine Abschrift behalten hat. Fragt,
ob auch der junge Prinz diese Denkschrift gelesen hat? Ich: Er sagt ja! Die


Grenzboten II 1893 "4
Ans den Tagebüchern Theodor von Bernhardis

solchem Grade alle einflußreichen Stellen und Ämter in die Hände ihrer Partei
gebracht, daß es nicht leicht ist, gegen die Macht anzukämpfen, die sie besitzt.
Alle Landräte sind Leute der reaktionären Partei; die Bürgermeister der kleinen
Städte sind ebenfalls wenigstens sehr geschmeidige Subjekte, die den Mantel
nach dem Winde hängen und thun, was ihnen vom Landrat und Regierungs¬
präsidenten befohlen wird. Überhaupt ist es nicht so leicht, eine komplizirte
große Staatsmaschine aus dem Geleise herauszuheben, in dem sie seit einer
Reihe von Jahren durch alle möglichen Mittel erhalten worden ist; nament¬
lich bei der jetzigen Unsicherheit unsrer Zustände. Die Wahlen werden jeden¬
falls so ausfallen, daß sie uns vor weitern Rückschritten bewahren, und die
Möglichkeit gewähren, für die nächste Legislaturperiode vollkommen befriedigende
Wahlen vorzubereiten. Mehr aber ist für diesmal mit Sicherheit nicht zu
erwarten.

Sehr wichtig ist nun aber zunächst, daß mau auch in England die Sach¬
lage so sieht, wie sie wirklich ist; nicht zu viel von den gegenwärtigen Wahlen
erwartet und nicht infolge dessen, wenn sie nicht ganz den hoch gespannten
Erwartungen entsprechen, auch dies teilweise Mißlingen wieder überschätzt;
nicht daraufhin das Vertrauen zu Preußen und die Hoffnung auf Preußen
verliert; nicht den Gedanken aufgiebt, in Preußen Englands Stütze auf dem
Festlande zu suchen.

Ich fordre den Herzog ans, der Königin Viktoria, seinem Bruder Albert
und den englischen Staatsmännern, die er demnächst sehen wird, auseinander¬
zusetzen, daß diesmal ein vollständiger Erfolg nicht zu erwarten ist; daß ein
teilweises Mißlingen aber auch gar nichts für die Zukunft beweist, wenig auf
sich hat im ganzen, und die Politik Englands in Beziehung auf Preußen nicht
bestimmen darf. Der Herzog verspricht mir das, nachdem er sehr aufmerksam
zugehört hat.

Weniger Glück habe ich mit meinem zweiten Anliegen. Ich spreche von
dem jungen Prinzen Friedrich Wilhelm. Der ist sehr liebenswürdig, hat
manche schöne Eigenschaften, zeigt hin und wieder, daß er den Übermut der
Jnnkerpartei nicht duldet; aber er lebt sorglos, beschäftigt sich mit den Inter¬
essen, die eben der Augenblick bringt. Einfluß auf ihn kann mir der Herzog
üben, der als Onkel, wie wir alle wissen, das volle Vertraue» der Prinzessin
Viktoria besitzt.

Jeder Versuch wäre durchaus vergeblich, erwiderte der Herzog.

Der Herzog fragt nach dem Benehmen des Prinzen Friedrich Wilhelm
in Schlesien, nach meinen Beziehungen zu ihm, nach meiner Denkschrift über
den Kaiser Nikolaus, die auf den Prinzen von Preußen Eindruck gemacht hat,
will aber auch nicht sagen, durch wen er davon gehört hat. Findet es be¬
denklich, daß die Prinzessin von Preußen eine Abschrift behalten hat. Fragt,
ob auch der junge Prinz diese Denkschrift gelesen hat? Ich: Er sagt ja! Die


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[0514] Ans den Tagebüchern Theodor von Bernhardis solchem Grade alle einflußreichen Stellen und Ämter in die Hände ihrer Partei gebracht, daß es nicht leicht ist, gegen die Macht anzukämpfen, die sie besitzt. Alle Landräte sind Leute der reaktionären Partei; die Bürgermeister der kleinen Städte sind ebenfalls wenigstens sehr geschmeidige Subjekte, die den Mantel nach dem Winde hängen und thun, was ihnen vom Landrat und Regierungs¬ präsidenten befohlen wird. Überhaupt ist es nicht so leicht, eine komplizirte große Staatsmaschine aus dem Geleise herauszuheben, in dem sie seit einer Reihe von Jahren durch alle möglichen Mittel erhalten worden ist; nament¬ lich bei der jetzigen Unsicherheit unsrer Zustände. Die Wahlen werden jeden¬ falls so ausfallen, daß sie uns vor weitern Rückschritten bewahren, und die Möglichkeit gewähren, für die nächste Legislaturperiode vollkommen befriedigende Wahlen vorzubereiten. Mehr aber ist für diesmal mit Sicherheit nicht zu erwarten. Sehr wichtig ist nun aber zunächst, daß mau auch in England die Sach¬ lage so sieht, wie sie wirklich ist; nicht zu viel von den gegenwärtigen Wahlen erwartet und nicht infolge dessen, wenn sie nicht ganz den hoch gespannten Erwartungen entsprechen, auch dies teilweise Mißlingen wieder überschätzt; nicht daraufhin das Vertrauen zu Preußen und die Hoffnung auf Preußen verliert; nicht den Gedanken aufgiebt, in Preußen Englands Stütze auf dem Festlande zu suchen. Ich fordre den Herzog ans, der Königin Viktoria, seinem Bruder Albert und den englischen Staatsmännern, die er demnächst sehen wird, auseinander¬ zusetzen, daß diesmal ein vollständiger Erfolg nicht zu erwarten ist; daß ein teilweises Mißlingen aber auch gar nichts für die Zukunft beweist, wenig auf sich hat im ganzen, und die Politik Englands in Beziehung auf Preußen nicht bestimmen darf. Der Herzog verspricht mir das, nachdem er sehr aufmerksam zugehört hat. Weniger Glück habe ich mit meinem zweiten Anliegen. Ich spreche von dem jungen Prinzen Friedrich Wilhelm. Der ist sehr liebenswürdig, hat manche schöne Eigenschaften, zeigt hin und wieder, daß er den Übermut der Jnnkerpartei nicht duldet; aber er lebt sorglos, beschäftigt sich mit den Inter¬ essen, die eben der Augenblick bringt. Einfluß auf ihn kann mir der Herzog üben, der als Onkel, wie wir alle wissen, das volle Vertraue» der Prinzessin Viktoria besitzt. Jeder Versuch wäre durchaus vergeblich, erwiderte der Herzog. Der Herzog fragt nach dem Benehmen des Prinzen Friedrich Wilhelm in Schlesien, nach meinen Beziehungen zu ihm, nach meiner Denkschrift über den Kaiser Nikolaus, die auf den Prinzen von Preußen Eindruck gemacht hat, will aber auch nicht sagen, durch wen er davon gehört hat. Findet es be¬ denklich, daß die Prinzessin von Preußen eine Abschrift behalten hat. Fragt, ob auch der junge Prinz diese Denkschrift gelesen hat? Ich: Er sagt ja! Die Grenzboten II 1893 «4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/514>, abgerufen am 23.07.2024.