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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhard!?

Das Gespräch wendet sich auf Napoleon III.; da wird es für Erbach
(der den Herzog dn nennt) ganz besonders interessant, und er fordert eine Cha¬
rakteristik dieses merkwürdigen Mannes.

Der Herzog: Das eigentlich charakteristische an Napoleon III. ist, daß
er durchaus gnr keine Phantasie hat; er sieht alles ungemein nüchtern an,
auch die Gefahr, und darum imponirt sie ihm anch nicht. Die Phantasie ver¬
größert ihm nichts; auch die Gefahr nicht. Er ist so: wenn man ihm eine
brennende Granate in die Hand giebt und ihm dabei sagt, in achtundfunfzig
Sekunden werde sie platzen, dann denkt er: so! da habe ich also sechsundfünfzig
Sekunde" Zeit, sie mir zu betrachten, und dreht sie dann auch wirklich in der
Hand sechsundfünfzig Sekunden lang herum, sie von allen Seiten zu besehen
"ut wegzuwerfen, wenn es wirklich nötig ist.

Überhaupt hat er durchaus gar nichts Geniales; im Gegenteil, er begreift
ungemein langsam. Er weiß das auch selbst; wenn man ihm etwas vortragen
soll, fordert er selbst auf: IZxplic^iW-inen osla ditil, parler lenksame, jo suis
druf-tout! Man muß denn auch, wenn man ihm etwas begreiflich machen
will, in seinem Vortrag sehr regelrecht, folgerichtig und methodisch zu Werke
gehen, Schritt vor Schritt, von Stufe zu Stufe; man darf kein Glied über¬
springen in der Kette der Schlüsse, die einer aus dem andern folgen. Dabei
wird man dann gleich gewahr, wenn er die Sache gefaßt und begriffen hat;
denn in dein Augenblick geht eine sehr merkliche Veränderung in seinen Ge¬
sichtszügen vor. Überspringt man dagegen ein einziges Glied in der Kette
von Schlüssen, deren er bedarf, um ans den rechten Punkt zu kommen, dann
ist es aus. Er verliert dann den Faden und kann nicht weiter folgen; er wird
zerstreut, sein Blick leer und unsicher umherschweifend; er hört nicht mehr auf
das, was für ihn keinen Sinn mehr hat.

Mit diesem Phlegma, diesem Mangel an Phantasie, dieser Leidenschaft,
losigkeit scheint er ganz unverwundbar; und dennoch hat er eine Achillesferse.
Er hat das Gefühl, daß er ein Parvenü ist, glaubt sich sehr leicht als Par¬
venü behandelt und ist dann unversöhnlich beleidigt. Geht ein Fürst aus alt¬
anerkanntem Hanse ganz unbefangen mit ihm um. wie mit seinesgleichen, so
vermag er ohne weiteres sehr viel über ihn und kann ihn zu vielem bringen.
Aber der rechte Ton ist gar schwer zu treffen! Es gehört eben die vollkom¬
menste Unbefangenheit dazu; eine zu große Familiarität verletzt diesen Napoleon
den Dritten als Nichtachtung, ein zeremoniöses irgend steifes Wesen noch
mehr. Er sieht darin mit Argwohn und Mißtrauen ein Zeichen, daß man ihn
als Eindringling, als einen Fremden im Kreise der regierenden Herren und
Fürsten behandelt.

Der Herzog hat daher der ersten Zusammenkunft Napoleons III. mit
seinem Bruder, dem Prinzen Albert, aus der Entfernung mit großer Span¬
nung zugesehen. Das Zustandekommen des französisch-englischen Bündnisses


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhard!?

Das Gespräch wendet sich auf Napoleon III.; da wird es für Erbach
(der den Herzog dn nennt) ganz besonders interessant, und er fordert eine Cha¬
rakteristik dieses merkwürdigen Mannes.

Der Herzog: Das eigentlich charakteristische an Napoleon III. ist, daß
er durchaus gnr keine Phantasie hat; er sieht alles ungemein nüchtern an,
auch die Gefahr, und darum imponirt sie ihm anch nicht. Die Phantasie ver¬
größert ihm nichts; auch die Gefahr nicht. Er ist so: wenn man ihm eine
brennende Granate in die Hand giebt und ihm dabei sagt, in achtundfunfzig
Sekunden werde sie platzen, dann denkt er: so! da habe ich also sechsundfünfzig
Sekunde» Zeit, sie mir zu betrachten, und dreht sie dann auch wirklich in der
Hand sechsundfünfzig Sekunden lang herum, sie von allen Seiten zu besehen
»ut wegzuwerfen, wenn es wirklich nötig ist.

Überhaupt hat er durchaus gar nichts Geniales; im Gegenteil, er begreift
ungemein langsam. Er weiß das auch selbst; wenn man ihm etwas vortragen
soll, fordert er selbst auf: IZxplic^iW-inen osla ditil, parler lenksame, jo suis
druf-tout! Man muß denn auch, wenn man ihm etwas begreiflich machen
will, in seinem Vortrag sehr regelrecht, folgerichtig und methodisch zu Werke
gehen, Schritt vor Schritt, von Stufe zu Stufe; man darf kein Glied über¬
springen in der Kette der Schlüsse, die einer aus dem andern folgen. Dabei
wird man dann gleich gewahr, wenn er die Sache gefaßt und begriffen hat;
denn in dein Augenblick geht eine sehr merkliche Veränderung in seinen Ge¬
sichtszügen vor. Überspringt man dagegen ein einziges Glied in der Kette
von Schlüssen, deren er bedarf, um ans den rechten Punkt zu kommen, dann
ist es aus. Er verliert dann den Faden und kann nicht weiter folgen; er wird
zerstreut, sein Blick leer und unsicher umherschweifend; er hört nicht mehr auf
das, was für ihn keinen Sinn mehr hat.

Mit diesem Phlegma, diesem Mangel an Phantasie, dieser Leidenschaft,
losigkeit scheint er ganz unverwundbar; und dennoch hat er eine Achillesferse.
Er hat das Gefühl, daß er ein Parvenü ist, glaubt sich sehr leicht als Par¬
venü behandelt und ist dann unversöhnlich beleidigt. Geht ein Fürst aus alt¬
anerkanntem Hanse ganz unbefangen mit ihm um. wie mit seinesgleichen, so
vermag er ohne weiteres sehr viel über ihn und kann ihn zu vielem bringen.
Aber der rechte Ton ist gar schwer zu treffen! Es gehört eben die vollkom¬
menste Unbefangenheit dazu; eine zu große Familiarität verletzt diesen Napoleon
den Dritten als Nichtachtung, ein zeremoniöses irgend steifes Wesen noch
mehr. Er sieht darin mit Argwohn und Mißtrauen ein Zeichen, daß man ihn
als Eindringling, als einen Fremden im Kreise der regierenden Herren und
Fürsten behandelt.

Der Herzog hat daher der ersten Zusammenkunft Napoleons III. mit
seinem Bruder, dem Prinzen Albert, aus der Entfernung mit großer Span¬
nung zugesehen. Das Zustandekommen des französisch-englischen Bündnisses


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[0512] Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhard!? Das Gespräch wendet sich auf Napoleon III.; da wird es für Erbach (der den Herzog dn nennt) ganz besonders interessant, und er fordert eine Cha¬ rakteristik dieses merkwürdigen Mannes. Der Herzog: Das eigentlich charakteristische an Napoleon III. ist, daß er durchaus gnr keine Phantasie hat; er sieht alles ungemein nüchtern an, auch die Gefahr, und darum imponirt sie ihm anch nicht. Die Phantasie ver¬ größert ihm nichts; auch die Gefahr nicht. Er ist so: wenn man ihm eine brennende Granate in die Hand giebt und ihm dabei sagt, in achtundfunfzig Sekunden werde sie platzen, dann denkt er: so! da habe ich also sechsundfünfzig Sekunde» Zeit, sie mir zu betrachten, und dreht sie dann auch wirklich in der Hand sechsundfünfzig Sekunden lang herum, sie von allen Seiten zu besehen »ut wegzuwerfen, wenn es wirklich nötig ist. Überhaupt hat er durchaus gar nichts Geniales; im Gegenteil, er begreift ungemein langsam. Er weiß das auch selbst; wenn man ihm etwas vortragen soll, fordert er selbst auf: IZxplic^iW-inen osla ditil, parler lenksame, jo suis druf-tout! Man muß denn auch, wenn man ihm etwas begreiflich machen will, in seinem Vortrag sehr regelrecht, folgerichtig und methodisch zu Werke gehen, Schritt vor Schritt, von Stufe zu Stufe; man darf kein Glied über¬ springen in der Kette der Schlüsse, die einer aus dem andern folgen. Dabei wird man dann gleich gewahr, wenn er die Sache gefaßt und begriffen hat; denn in dein Augenblick geht eine sehr merkliche Veränderung in seinen Ge¬ sichtszügen vor. Überspringt man dagegen ein einziges Glied in der Kette von Schlüssen, deren er bedarf, um ans den rechten Punkt zu kommen, dann ist es aus. Er verliert dann den Faden und kann nicht weiter folgen; er wird zerstreut, sein Blick leer und unsicher umherschweifend; er hört nicht mehr auf das, was für ihn keinen Sinn mehr hat. Mit diesem Phlegma, diesem Mangel an Phantasie, dieser Leidenschaft, losigkeit scheint er ganz unverwundbar; und dennoch hat er eine Achillesferse. Er hat das Gefühl, daß er ein Parvenü ist, glaubt sich sehr leicht als Par¬ venü behandelt und ist dann unversöhnlich beleidigt. Geht ein Fürst aus alt¬ anerkanntem Hanse ganz unbefangen mit ihm um. wie mit seinesgleichen, so vermag er ohne weiteres sehr viel über ihn und kann ihn zu vielem bringen. Aber der rechte Ton ist gar schwer zu treffen! Es gehört eben die vollkom¬ menste Unbefangenheit dazu; eine zu große Familiarität verletzt diesen Napoleon den Dritten als Nichtachtung, ein zeremoniöses irgend steifes Wesen noch mehr. Er sieht darin mit Argwohn und Mißtrauen ein Zeichen, daß man ihn als Eindringling, als einen Fremden im Kreise der regierenden Herren und Fürsten behandelt. Der Herzog hat daher der ersten Zusammenkunft Napoleons III. mit seinem Bruder, dem Prinzen Albert, aus der Entfernung mit großer Span¬ nung zugesehen. Das Zustandekommen des französisch-englischen Bündnisses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/512>, abgerufen am 23.07.2024.