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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

Dingen an der Einheit Deutschlands gelegen ist, und daß ihm weniger darauf
ankommt, auf welche Weise sie gerade zu stände kommt; geht es damit auf
die eine Weise nicht, so soll es eben auf eine andre gehen. Es ergiebt sich,
daß er es schon auf mancherlei Weise versucht, aber schließlich immer wieder
zu der Überzeugung zurückgekehrt ist, daß sie eben nur durch Preußen zu
stände kommen kann.

Nachdem unser König die Kaiserkrone abgelehnt hatte, hat der
Herzog viel in Wien verkehrt und sich bemüht, es dahin zu bringen, daß
Österreich sich an die Spitze Deutschlands stelle und entschieden darauf hin¬
arbeite, Deutschland unter dem kaiserlichen Szepter zu vereinigen. Er fand
aber damit durchaus gar keinen Anklang. Der Gedanke war den dortigen
Regierenden viel zu groß; er ging über den Horizont der Leute weit hinaus
und kam ihnen abenteuerlich vor. "Die Aufgabe übersteigt ihren geistigen
Mut," sie wollen nicht, weder der Kaiser noch die Minister. Sie wollen nur
mit sich zu thun haben und scheuen sich davor, ganz in alle Interessen Deutsch¬
lands verflochten zu werden.

(Darnach wäre Österreichs deutsche Politik eine wesentlich negative, die
sich die Aufgabe stellt, zu verhindern, daß die Einheit Deutschlands unter
Preußens Fahne zu stände kommt. Das positive Element liefe so ziemlich
darauf hinaus, die Kräfte Deutschlands für die Sonderzwecke Österreichs aus¬
zubeuten, gelegentlich, anstatt die Kräfte Österreichs der Sache Deutschlands
zu weihen.)

Ich: Es ist in dem österreichischen Wesen vieles, was ich nicht be¬
greifen kann; ein unlösbarer innerer Widerspruch: im allgemeinen die laut an¬
gekündigte Absicht, "den Staat zu regeneriren," vieles, was mau revolutionär
nenneu könnte, und dann wieder vieles, was mit diesen Bestrebungen in dem
entschiedensten und seltsamstem Widerspruch steht, wie namentlich und vor allem
das Konkordat.

Der Herzog: Das Konkordat rührt weder vom Kaiser, noch von seinen
Ministern her; das hat die Erzherzogin Sophie mit ihren Pfaffen zusammen
ausgeheckt. Es war schon zwei Jahre vor seiner Annahme vollkommen fertig.
Der Herzog kannte es und hatte eine Abschrift davon; er sprach damals mit
dem Minister Bach über den unerhörten Inhalt und äußerte, etwas so augen¬
scheinlich verderbliches werde doch nicht zur Ausführung kommen? Bach ver¬
sicherte: So lange er Minister sei, werde es nicht vom Kaiser unterschrieben
werden, nicht zur Ausführung kommen. Am Ende aber gelang es der Erz¬
herzogin Sophie und den Pfaffen doch, den Minister Bach zu gewinnen. Wie?
das weiß der Herzog nicht, aber er deutet an, daß Bach Parvenü ist und
kein Vermögen hat. Aus seiner Ministerstellung verdrängt, sinkt er, ohne
Vermögen, ohne Familienanhang, in das vollkommenste Nichts zurück. Kurz,
Bach wurde gewonnen; das Konkordat wurde dem Kaiser "unterbreitet."


Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardts

Dingen an der Einheit Deutschlands gelegen ist, und daß ihm weniger darauf
ankommt, auf welche Weise sie gerade zu stände kommt; geht es damit auf
die eine Weise nicht, so soll es eben auf eine andre gehen. Es ergiebt sich,
daß er es schon auf mancherlei Weise versucht, aber schließlich immer wieder
zu der Überzeugung zurückgekehrt ist, daß sie eben nur durch Preußen zu
stände kommen kann.

Nachdem unser König die Kaiserkrone abgelehnt hatte, hat der
Herzog viel in Wien verkehrt und sich bemüht, es dahin zu bringen, daß
Österreich sich an die Spitze Deutschlands stelle und entschieden darauf hin¬
arbeite, Deutschland unter dem kaiserlichen Szepter zu vereinigen. Er fand
aber damit durchaus gar keinen Anklang. Der Gedanke war den dortigen
Regierenden viel zu groß; er ging über den Horizont der Leute weit hinaus
und kam ihnen abenteuerlich vor. „Die Aufgabe übersteigt ihren geistigen
Mut," sie wollen nicht, weder der Kaiser noch die Minister. Sie wollen nur
mit sich zu thun haben und scheuen sich davor, ganz in alle Interessen Deutsch¬
lands verflochten zu werden.

(Darnach wäre Österreichs deutsche Politik eine wesentlich negative, die
sich die Aufgabe stellt, zu verhindern, daß die Einheit Deutschlands unter
Preußens Fahne zu stände kommt. Das positive Element liefe so ziemlich
darauf hinaus, die Kräfte Deutschlands für die Sonderzwecke Österreichs aus¬
zubeuten, gelegentlich, anstatt die Kräfte Österreichs der Sache Deutschlands
zu weihen.)

Ich: Es ist in dem österreichischen Wesen vieles, was ich nicht be¬
greifen kann; ein unlösbarer innerer Widerspruch: im allgemeinen die laut an¬
gekündigte Absicht, „den Staat zu regeneriren," vieles, was mau revolutionär
nenneu könnte, und dann wieder vieles, was mit diesen Bestrebungen in dem
entschiedensten und seltsamstem Widerspruch steht, wie namentlich und vor allem
das Konkordat.

Der Herzog: Das Konkordat rührt weder vom Kaiser, noch von seinen
Ministern her; das hat die Erzherzogin Sophie mit ihren Pfaffen zusammen
ausgeheckt. Es war schon zwei Jahre vor seiner Annahme vollkommen fertig.
Der Herzog kannte es und hatte eine Abschrift davon; er sprach damals mit
dem Minister Bach über den unerhörten Inhalt und äußerte, etwas so augen¬
scheinlich verderbliches werde doch nicht zur Ausführung kommen? Bach ver¬
sicherte: So lange er Minister sei, werde es nicht vom Kaiser unterschrieben
werden, nicht zur Ausführung kommen. Am Ende aber gelang es der Erz¬
herzogin Sophie und den Pfaffen doch, den Minister Bach zu gewinnen. Wie?
das weiß der Herzog nicht, aber er deutet an, daß Bach Parvenü ist und
kein Vermögen hat. Aus seiner Ministerstellung verdrängt, sinkt er, ohne
Vermögen, ohne Familienanhang, in das vollkommenste Nichts zurück. Kurz,
Bach wurde gewonnen; das Konkordat wurde dem Kaiser „unterbreitet."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/511>, abgerufen am 23.07.2024.