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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Philologenverstunmlmig in Wie"

dem sächsischen und dein bairischen Gesandten in a. in. Fast zwei Stunden
lang verweilte der Monarch im Kreise der Versammlung, während eine Militär¬
kapelle eine Reihe ausgesuchter Musikstücke vortrug, und ließ sich unermüdlich
durch den Kultusminister einzelne Mitglieder vorstellen, wobei im Verhältnis die
Gäste aus dem Reiche wohl mehr berücksichtigt wurden als die Österreicher.
Noch niemals hat ein Fürst eine wissenschaftliche Versammlung in solcher Weise
ausgezeichnet wie Kaiser Franz Joseph diese deutsche Philologenversammlung,
und man geht wohl nicht zu weit, wenn man annimmt, daß er, der erlauchte
Erbe eines alten, gerade an solchen Traditionen besonders reichen Hauses und
der Beherrscher von Ländern einer uralten Kultur, damit ebensowohl seine
Wertschätzung der Wissenschaft und der Gelehrtenschule zum Ausdruck bringen,
als den unauflöslichen geistigen Zusammenhang zwischen Deutschland und
Osterreich betonen wollte. Es war eine im hervorragenden Sinne deutsch¬
freundliche Kundgebung, die allen Teilnehmern in dankbarer Erinnerung bleiben
wird und ganz im allgemeinen die aufmerksamste Beachtung verdient.

Mit solchen unvergeßlichen Eindrücken entließ Wien seine Gäste in die
Heimat, bis nach Bremen und Köln, Serajewo und Sofia. Sie hatten etwas
erlebt, was wohl geeignet ist, über das Wirrsal und die Verstimmung der
Gegenwart in eine reinere und freiere Luft emporzuheben. Das eine ist die
Überzeugung von der unauflöslichen Verbindung des deutschen Reichs und
Österreich-Ungarns, unauflöslich, weil sie der Geschichte, der nationalen Ge¬
nieinsamkeit und der gemeinsamen Kultur entspricht, das zweite die Gewißheit,
daß die Herrschaft der deutschen Bildung und Wissenschaft unerschütterlich fest¬
steht im ganzen Südosten und immer weitere Kreise zieht, das dritte der Ge¬
danke, daß die beste Kraft der Völker sich nicht äußert in dem oft so unfruchtbaren,
verbitternden Parteistreit der Parlamente, sondern daß sie vielmehr vor allem
wirksam ist in der stillen Kulturarbeit, die neben der Kirche die Wissenschaft
und die Schule leisten. Bei allem Hader der Parteien und der Nationali¬
täten geht diese Arbeit ruhig fort, und sie verbürgt die Zukunft.




Die deutsche Philologenverstunmlmig in Wie»

dem sächsischen und dein bairischen Gesandten in a. in. Fast zwei Stunden
lang verweilte der Monarch im Kreise der Versammlung, während eine Militär¬
kapelle eine Reihe ausgesuchter Musikstücke vortrug, und ließ sich unermüdlich
durch den Kultusminister einzelne Mitglieder vorstellen, wobei im Verhältnis die
Gäste aus dem Reiche wohl mehr berücksichtigt wurden als die Österreicher.
Noch niemals hat ein Fürst eine wissenschaftliche Versammlung in solcher Weise
ausgezeichnet wie Kaiser Franz Joseph diese deutsche Philologenversammlung,
und man geht wohl nicht zu weit, wenn man annimmt, daß er, der erlauchte
Erbe eines alten, gerade an solchen Traditionen besonders reichen Hauses und
der Beherrscher von Ländern einer uralten Kultur, damit ebensowohl seine
Wertschätzung der Wissenschaft und der Gelehrtenschule zum Ausdruck bringen,
als den unauflöslichen geistigen Zusammenhang zwischen Deutschland und
Osterreich betonen wollte. Es war eine im hervorragenden Sinne deutsch¬
freundliche Kundgebung, die allen Teilnehmern in dankbarer Erinnerung bleiben
wird und ganz im allgemeinen die aufmerksamste Beachtung verdient.

Mit solchen unvergeßlichen Eindrücken entließ Wien seine Gäste in die
Heimat, bis nach Bremen und Köln, Serajewo und Sofia. Sie hatten etwas
erlebt, was wohl geeignet ist, über das Wirrsal und die Verstimmung der
Gegenwart in eine reinere und freiere Luft emporzuheben. Das eine ist die
Überzeugung von der unauflöslichen Verbindung des deutschen Reichs und
Österreich-Ungarns, unauflöslich, weil sie der Geschichte, der nationalen Ge¬
nieinsamkeit und der gemeinsamen Kultur entspricht, das zweite die Gewißheit,
daß die Herrschaft der deutschen Bildung und Wissenschaft unerschütterlich fest¬
steht im ganzen Südosten und immer weitere Kreise zieht, das dritte der Ge¬
danke, daß die beste Kraft der Völker sich nicht äußert in dem oft so unfruchtbaren,
verbitternden Parteistreit der Parlamente, sondern daß sie vielmehr vor allem
wirksam ist in der stillen Kulturarbeit, die neben der Kirche die Wissenschaft
und die Schule leisten. Bei allem Hader der Parteien und der Nationali¬
täten geht diese Arbeit ruhig fort, und sie verbürgt die Zukunft.




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[0502] Die deutsche Philologenverstunmlmig in Wie» dem sächsischen und dein bairischen Gesandten in a. in. Fast zwei Stunden lang verweilte der Monarch im Kreise der Versammlung, während eine Militär¬ kapelle eine Reihe ausgesuchter Musikstücke vortrug, und ließ sich unermüdlich durch den Kultusminister einzelne Mitglieder vorstellen, wobei im Verhältnis die Gäste aus dem Reiche wohl mehr berücksichtigt wurden als die Österreicher. Noch niemals hat ein Fürst eine wissenschaftliche Versammlung in solcher Weise ausgezeichnet wie Kaiser Franz Joseph diese deutsche Philologenversammlung, und man geht wohl nicht zu weit, wenn man annimmt, daß er, der erlauchte Erbe eines alten, gerade an solchen Traditionen besonders reichen Hauses und der Beherrscher von Ländern einer uralten Kultur, damit ebensowohl seine Wertschätzung der Wissenschaft und der Gelehrtenschule zum Ausdruck bringen, als den unauflöslichen geistigen Zusammenhang zwischen Deutschland und Osterreich betonen wollte. Es war eine im hervorragenden Sinne deutsch¬ freundliche Kundgebung, die allen Teilnehmern in dankbarer Erinnerung bleiben wird und ganz im allgemeinen die aufmerksamste Beachtung verdient. Mit solchen unvergeßlichen Eindrücken entließ Wien seine Gäste in die Heimat, bis nach Bremen und Köln, Serajewo und Sofia. Sie hatten etwas erlebt, was wohl geeignet ist, über das Wirrsal und die Verstimmung der Gegenwart in eine reinere und freiere Luft emporzuheben. Das eine ist die Überzeugung von der unauflöslichen Verbindung des deutschen Reichs und Österreich-Ungarns, unauflöslich, weil sie der Geschichte, der nationalen Ge¬ nieinsamkeit und der gemeinsamen Kultur entspricht, das zweite die Gewißheit, daß die Herrschaft der deutschen Bildung und Wissenschaft unerschütterlich fest¬ steht im ganzen Südosten und immer weitere Kreise zieht, das dritte der Ge¬ danke, daß die beste Kraft der Völker sich nicht äußert in dem oft so unfruchtbaren, verbitternden Parteistreit der Parlamente, sondern daß sie vielmehr vor allem wirksam ist in der stillen Kulturarbeit, die neben der Kirche die Wissenschaft und die Schule leisten. Bei allem Hader der Parteien und der Nationali¬ täten geht diese Arbeit ruhig fort, und sie verbürgt die Zukunft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/502>, abgerufen am 03.07.2024.