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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Land und Leute in Gstfriesland

dafür hats denn auch mehr Obst gegeben; wo machen Sie denn hin? Sie
wollen wohl in die Stadt? Und wenn du nicht schleunigst machst, daß du
weiter kommst, so überschüttet er dich mit einem Wasserfall von Beredsamkeit.
Hierzulande ist das ganz anders. Der tartoffclnausmachende ostfriesische
Bauer an deinem Wege hat so wenig erwartet, von dir angeredet zu werden,
daß ihn dein freundliches Wort ganz unvorbereitet trifft. Er läßt sich freilich
nicht verblüffen. Wann Hütte ein Friese bei solcher Gelegenheit je seine Ruhe
verloren? Aber bis er die Leitung vom Ohr nach dein Sitze des Auffassungs¬
vermögens eingeschaltet hat, und ihm endlich zum Bewußtsein kommt, daß
jemand etwas zu ihm gesagt hat, weiß er ganz gewiß nicht mehr, was du
gesagt hast, und so ringt sich denn zunächst ein langgedehntes sah? aus seinem
"Worthort" hervor. Aber bis er das sah? heraus hat, wärest du schon über
alle Berge, wenn hier von Bergen die Rede sein könnte. Er aber hält dich
wahrscheinlich für einen unausstehlichen Schwätzer und schickt wenigstens im
Geiste einige von seinen kurzen, treffenden, wenig schmeichelhaften Sprichwörtern
hinter dir her, die vom xroten handeln. I^rotsii heißt nämlich sprechen, aber
es scheint mir, als ob es eine leise tadelnde Nebenbedeutung hatte und eigent¬
lich mehr schwatzen als sprechen bedeutete. Vielleicht ist es sogar -- wie
schwatzen -- lautmalend und mit dem neuhochdeutschen "brodeln" verwandt,
und dann wäre das Sprichwort überaus treffend: "He prot'd as'n metwurst,
de an beide enden aper is." Jedenfalls wußte Wilhelm von Oranien, was
er that. Der war bekanntlich ans Dillenburg im Nassciuischeu, und die Nassauer
sind bekanntlich auch ein redseliges Völkchen. Aber Graf Wilhelm lernte, ein
Moltke vor Moltke, das "Solger," und das mag den Friesen, die seinen
Fahnen folgten, nicht schlecht imponirt haben. Im Haag hat man dem großen
Schweiger ein wohlverdientes Denkmal gesetzt.

Du darfst aber nun nicht etwa denken, der Kartoffelmann an deinem
Wege habe dich nicht beachtet. O, er hat dich genau aufs Korn genommen!
Der gesprächige Rheinländer oder Sachse hätte dich längst vergessen, während
der schweigsame Ostfricse noch lange über deine Erscheinung und über den
Eindruck, den sie auf ihn gemacht hat, nachsinnt. Im stillen und auf seine
Art denkt er sogar scharf und tief, und grübelt über den schwierigsten Problemen.
Er bleibt nichts weniger als unbewegt von den großen Gedanken einer Zeit.
Sollte es etwas langsam gehen, so bewegen sie ihn um so tiefer und gründ¬
licher, und der Entschluß ist dann um so entschieduer, kräftiger, nachhaltiger.
Darum bleibt der Friese auch in keinem Stück hinter irgend einem der deutschen
Stämme zurück. Ostfriesland war eins der ersten Länder, wo die Reformation
eingeführt wurde. Trefflich hatten von Holland her die "Brüder des gemein¬
samen Lebens" den Boden für die Kirchenverbesserung vorbereitet, wie denn
überhaupt die geistig so regsamen Niederlande jener Tage einen so nachhaltigen
Einfluß auf das Nachbarland ausgeübt haben, daß noch vor einem Menschen-


Land und Leute in Gstfriesland

dafür hats denn auch mehr Obst gegeben; wo machen Sie denn hin? Sie
wollen wohl in die Stadt? Und wenn du nicht schleunigst machst, daß du
weiter kommst, so überschüttet er dich mit einem Wasserfall von Beredsamkeit.
Hierzulande ist das ganz anders. Der tartoffclnausmachende ostfriesische
Bauer an deinem Wege hat so wenig erwartet, von dir angeredet zu werden,
daß ihn dein freundliches Wort ganz unvorbereitet trifft. Er läßt sich freilich
nicht verblüffen. Wann Hütte ein Friese bei solcher Gelegenheit je seine Ruhe
verloren? Aber bis er die Leitung vom Ohr nach dein Sitze des Auffassungs¬
vermögens eingeschaltet hat, und ihm endlich zum Bewußtsein kommt, daß
jemand etwas zu ihm gesagt hat, weiß er ganz gewiß nicht mehr, was du
gesagt hast, und so ringt sich denn zunächst ein langgedehntes sah? aus seinem
„Worthort" hervor. Aber bis er das sah? heraus hat, wärest du schon über
alle Berge, wenn hier von Bergen die Rede sein könnte. Er aber hält dich
wahrscheinlich für einen unausstehlichen Schwätzer und schickt wenigstens im
Geiste einige von seinen kurzen, treffenden, wenig schmeichelhaften Sprichwörtern
hinter dir her, die vom xroten handeln. I^rotsii heißt nämlich sprechen, aber
es scheint mir, als ob es eine leise tadelnde Nebenbedeutung hatte und eigent¬
lich mehr schwatzen als sprechen bedeutete. Vielleicht ist es sogar — wie
schwatzen — lautmalend und mit dem neuhochdeutschen „brodeln" verwandt,
und dann wäre das Sprichwort überaus treffend: „He prot'd as'n metwurst,
de an beide enden aper is." Jedenfalls wußte Wilhelm von Oranien, was
er that. Der war bekanntlich ans Dillenburg im Nassciuischeu, und die Nassauer
sind bekanntlich auch ein redseliges Völkchen. Aber Graf Wilhelm lernte, ein
Moltke vor Moltke, das „Solger," und das mag den Friesen, die seinen
Fahnen folgten, nicht schlecht imponirt haben. Im Haag hat man dem großen
Schweiger ein wohlverdientes Denkmal gesetzt.

Du darfst aber nun nicht etwa denken, der Kartoffelmann an deinem
Wege habe dich nicht beachtet. O, er hat dich genau aufs Korn genommen!
Der gesprächige Rheinländer oder Sachse hätte dich längst vergessen, während
der schweigsame Ostfricse noch lange über deine Erscheinung und über den
Eindruck, den sie auf ihn gemacht hat, nachsinnt. Im stillen und auf seine
Art denkt er sogar scharf und tief, und grübelt über den schwierigsten Problemen.
Er bleibt nichts weniger als unbewegt von den großen Gedanken einer Zeit.
Sollte es etwas langsam gehen, so bewegen sie ihn um so tiefer und gründ¬
licher, und der Entschluß ist dann um so entschieduer, kräftiger, nachhaltiger.
Darum bleibt der Friese auch in keinem Stück hinter irgend einem der deutschen
Stämme zurück. Ostfriesland war eins der ersten Länder, wo die Reformation
eingeführt wurde. Trefflich hatten von Holland her die „Brüder des gemein¬
samen Lebens" den Boden für die Kirchenverbesserung vorbereitet, wie denn
überhaupt die geistig so regsamen Niederlande jener Tage einen so nachhaltigen
Einfluß auf das Nachbarland ausgeübt haben, daß noch vor einem Menschen-


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[0464] Land und Leute in Gstfriesland dafür hats denn auch mehr Obst gegeben; wo machen Sie denn hin? Sie wollen wohl in die Stadt? Und wenn du nicht schleunigst machst, daß du weiter kommst, so überschüttet er dich mit einem Wasserfall von Beredsamkeit. Hierzulande ist das ganz anders. Der tartoffclnausmachende ostfriesische Bauer an deinem Wege hat so wenig erwartet, von dir angeredet zu werden, daß ihn dein freundliches Wort ganz unvorbereitet trifft. Er läßt sich freilich nicht verblüffen. Wann Hütte ein Friese bei solcher Gelegenheit je seine Ruhe verloren? Aber bis er die Leitung vom Ohr nach dein Sitze des Auffassungs¬ vermögens eingeschaltet hat, und ihm endlich zum Bewußtsein kommt, daß jemand etwas zu ihm gesagt hat, weiß er ganz gewiß nicht mehr, was du gesagt hast, und so ringt sich denn zunächst ein langgedehntes sah? aus seinem „Worthort" hervor. Aber bis er das sah? heraus hat, wärest du schon über alle Berge, wenn hier von Bergen die Rede sein könnte. Er aber hält dich wahrscheinlich für einen unausstehlichen Schwätzer und schickt wenigstens im Geiste einige von seinen kurzen, treffenden, wenig schmeichelhaften Sprichwörtern hinter dir her, die vom xroten handeln. I^rotsii heißt nämlich sprechen, aber es scheint mir, als ob es eine leise tadelnde Nebenbedeutung hatte und eigent¬ lich mehr schwatzen als sprechen bedeutete. Vielleicht ist es sogar — wie schwatzen — lautmalend und mit dem neuhochdeutschen „brodeln" verwandt, und dann wäre das Sprichwort überaus treffend: „He prot'd as'n metwurst, de an beide enden aper is." Jedenfalls wußte Wilhelm von Oranien, was er that. Der war bekanntlich ans Dillenburg im Nassciuischeu, und die Nassauer sind bekanntlich auch ein redseliges Völkchen. Aber Graf Wilhelm lernte, ein Moltke vor Moltke, das „Solger," und das mag den Friesen, die seinen Fahnen folgten, nicht schlecht imponirt haben. Im Haag hat man dem großen Schweiger ein wohlverdientes Denkmal gesetzt. Du darfst aber nun nicht etwa denken, der Kartoffelmann an deinem Wege habe dich nicht beachtet. O, er hat dich genau aufs Korn genommen! Der gesprächige Rheinländer oder Sachse hätte dich längst vergessen, während der schweigsame Ostfricse noch lange über deine Erscheinung und über den Eindruck, den sie auf ihn gemacht hat, nachsinnt. Im stillen und auf seine Art denkt er sogar scharf und tief, und grübelt über den schwierigsten Problemen. Er bleibt nichts weniger als unbewegt von den großen Gedanken einer Zeit. Sollte es etwas langsam gehen, so bewegen sie ihn um so tiefer und gründ¬ licher, und der Entschluß ist dann um so entschieduer, kräftiger, nachhaltiger. Darum bleibt der Friese auch in keinem Stück hinter irgend einem der deutschen Stämme zurück. Ostfriesland war eins der ersten Länder, wo die Reformation eingeführt wurde. Trefflich hatten von Holland her die „Brüder des gemein¬ samen Lebens" den Boden für die Kirchenverbesserung vorbereitet, wie denn überhaupt die geistig so regsamen Niederlande jener Tage einen so nachhaltigen Einfluß auf das Nachbarland ausgeübt haben, daß noch vor einem Menschen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/464>, abgerufen am 29.09.2024.