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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Land und Leute in Vstfriesland

und lachen, dieses düstre Meer, dieser umwölkte Himmel, diese harte Arbeit
machen ernst und schweigsam. "So war es nicht Mangel an Seetüchtigkeit -- sagt
Vizeadmiral Batsch --, die den Dreizack des Nordens an Holland auslieferte;
die schwierigen Ufer der Nordsee mit ihren Watten und Sünden, sie ließen
für ein weiches, müßiggüngerisches Strandleben, wie an der Riviera des Mittel¬
meeres, keinen Raum; ein Gebiet, von dem der griechische Reisende und Ge¬
schichtsschreiber Pytheas sagen konnte, die Natur dieses unwirtlichen Gestades
müsse seinen Ursprung einem eigentümlichen Gemisch von Nebel und Schlick¬
stoff verdanken, duldete nur harte Arbeit und mühevolles Ringen, wo es galt,
auch uur für das nackte Dasein die Mittel zu schaffen."

Aber auch am Lande war der Ostfriese von jeher nicht ans Rosen gebettet,
auch da brauchte er die seemännische Ruhe und Besonnenheit. Hatte er doch
immer wieder das dem Meere abgerungne Land gegen das Meer zu.verteidigen.
Als die Fluten noch seine auf "Warfen," natürlichen oder künstlich aufgewor¬
fenen Anhöhen, erbauten Hütten ringsherum bespülten, da galt es, rechtzeitig,
ehe die Flut kam, "sein Schäfchen ins Trockene zu bringen," auf die Warf
zu retten; im übrigen mußte man geduldig abwarten, bis sich die wilden
Waffer wieder verlaufen hatten. Als man aber erst angriffsweise gegen das
Meer vorging und ihm den feinen, fetten Marsch- (mari8in-, Meer-) Boden dnrch
Deiche streitig machte, da begann ein nimmer endender Kampf. Da galt es
bei jeder Springflut und vollends bei jeder Sturmflut ans der Hut sein. Denn
ein gebrochner Deich ist schlimmer als gar keiner. Darum mußte man, wenn
Not an den Mann ging, einen beginnenden Deichbruch mit dem eignen Leibe
dichten. Das macht Männer, Männer, die wissen was sie sollen und was sie
wollen, Männer, die Unmögliches möglich machen, Männer, die zu sterben
verstehen. Aber auch schweigsame Männer, denn es galt, den Mund zu und
den Atem anzuhalten und aufs schärfste auf jedes gurgelnde Geräusch zu
horchen, das etwa die feindlichen Wogen an der Sohle des Deiches ver¬
ursachten.

In ihrer Schweigsamkeit sind die Ostfriesen aber auch durch den Boden,
auf dem sie wohnen, bestärkt worden. Ostfriesland ist eine große Ebne, es
ist wie ein Pfannkuchen, sagt der Volksmund; der Rand (die Marsch) ist
das beste dran. Wenn es nicht Marsch ist, dann ist es Moor, aber Ebne
ist es auf alle Fälle, und uoch heute, trotz sehr vermehrter Bevölkerung und
zahlreicher neu angelegter Moorkolonieen und Fehlte, eine recht einsame Ebne.
In dieser weiten, schweigenden Einsamkeit erschrickt der Mensch vor seiner
eignen Stimme. Das Reden besorgt schon ein andrer, der Wind, der fort
und fort über die weiten, schutzlosen Flächen saust, "der Boreas, der mit
vollen Backen aus Südwest bläst," wie einmal eine hiesige Zeitung so schön
schrieb. Wenn der -- ich meine nicht den Boreas, sondern den Südwest --
seinen Mund aufthut, dann muß der arme Mensch den seinen halten. Dazu


Land und Leute in Vstfriesland

und lachen, dieses düstre Meer, dieser umwölkte Himmel, diese harte Arbeit
machen ernst und schweigsam. „So war es nicht Mangel an Seetüchtigkeit — sagt
Vizeadmiral Batsch —, die den Dreizack des Nordens an Holland auslieferte;
die schwierigen Ufer der Nordsee mit ihren Watten und Sünden, sie ließen
für ein weiches, müßiggüngerisches Strandleben, wie an der Riviera des Mittel¬
meeres, keinen Raum; ein Gebiet, von dem der griechische Reisende und Ge¬
schichtsschreiber Pytheas sagen konnte, die Natur dieses unwirtlichen Gestades
müsse seinen Ursprung einem eigentümlichen Gemisch von Nebel und Schlick¬
stoff verdanken, duldete nur harte Arbeit und mühevolles Ringen, wo es galt,
auch uur für das nackte Dasein die Mittel zu schaffen."

Aber auch am Lande war der Ostfriese von jeher nicht ans Rosen gebettet,
auch da brauchte er die seemännische Ruhe und Besonnenheit. Hatte er doch
immer wieder das dem Meere abgerungne Land gegen das Meer zu.verteidigen.
Als die Fluten noch seine auf „Warfen," natürlichen oder künstlich aufgewor¬
fenen Anhöhen, erbauten Hütten ringsherum bespülten, da galt es, rechtzeitig,
ehe die Flut kam, „sein Schäfchen ins Trockene zu bringen," auf die Warf
zu retten; im übrigen mußte man geduldig abwarten, bis sich die wilden
Waffer wieder verlaufen hatten. Als man aber erst angriffsweise gegen das
Meer vorging und ihm den feinen, fetten Marsch- (mari8in-, Meer-) Boden dnrch
Deiche streitig machte, da begann ein nimmer endender Kampf. Da galt es
bei jeder Springflut und vollends bei jeder Sturmflut ans der Hut sein. Denn
ein gebrochner Deich ist schlimmer als gar keiner. Darum mußte man, wenn
Not an den Mann ging, einen beginnenden Deichbruch mit dem eignen Leibe
dichten. Das macht Männer, Männer, die wissen was sie sollen und was sie
wollen, Männer, die Unmögliches möglich machen, Männer, die zu sterben
verstehen. Aber auch schweigsame Männer, denn es galt, den Mund zu und
den Atem anzuhalten und aufs schärfste auf jedes gurgelnde Geräusch zu
horchen, das etwa die feindlichen Wogen an der Sohle des Deiches ver¬
ursachten.

In ihrer Schweigsamkeit sind die Ostfriesen aber auch durch den Boden,
auf dem sie wohnen, bestärkt worden. Ostfriesland ist eine große Ebne, es
ist wie ein Pfannkuchen, sagt der Volksmund; der Rand (die Marsch) ist
das beste dran. Wenn es nicht Marsch ist, dann ist es Moor, aber Ebne
ist es auf alle Fälle, und uoch heute, trotz sehr vermehrter Bevölkerung und
zahlreicher neu angelegter Moorkolonieen und Fehlte, eine recht einsame Ebne.
In dieser weiten, schweigenden Einsamkeit erschrickt der Mensch vor seiner
eignen Stimme. Das Reden besorgt schon ein andrer, der Wind, der fort
und fort über die weiten, schutzlosen Flächen saust, „der Boreas, der mit
vollen Backen aus Südwest bläst," wie einmal eine hiesige Zeitung so schön
schrieb. Wenn der — ich meine nicht den Boreas, sondern den Südwest —
seinen Mund aufthut, dann muß der arme Mensch den seinen halten. Dazu


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[0461] Land und Leute in Vstfriesland und lachen, dieses düstre Meer, dieser umwölkte Himmel, diese harte Arbeit machen ernst und schweigsam. „So war es nicht Mangel an Seetüchtigkeit — sagt Vizeadmiral Batsch —, die den Dreizack des Nordens an Holland auslieferte; die schwierigen Ufer der Nordsee mit ihren Watten und Sünden, sie ließen für ein weiches, müßiggüngerisches Strandleben, wie an der Riviera des Mittel¬ meeres, keinen Raum; ein Gebiet, von dem der griechische Reisende und Ge¬ schichtsschreiber Pytheas sagen konnte, die Natur dieses unwirtlichen Gestades müsse seinen Ursprung einem eigentümlichen Gemisch von Nebel und Schlick¬ stoff verdanken, duldete nur harte Arbeit und mühevolles Ringen, wo es galt, auch uur für das nackte Dasein die Mittel zu schaffen." Aber auch am Lande war der Ostfriese von jeher nicht ans Rosen gebettet, auch da brauchte er die seemännische Ruhe und Besonnenheit. Hatte er doch immer wieder das dem Meere abgerungne Land gegen das Meer zu.verteidigen. Als die Fluten noch seine auf „Warfen," natürlichen oder künstlich aufgewor¬ fenen Anhöhen, erbauten Hütten ringsherum bespülten, da galt es, rechtzeitig, ehe die Flut kam, „sein Schäfchen ins Trockene zu bringen," auf die Warf zu retten; im übrigen mußte man geduldig abwarten, bis sich die wilden Waffer wieder verlaufen hatten. Als man aber erst angriffsweise gegen das Meer vorging und ihm den feinen, fetten Marsch- (mari8in-, Meer-) Boden dnrch Deiche streitig machte, da begann ein nimmer endender Kampf. Da galt es bei jeder Springflut und vollends bei jeder Sturmflut ans der Hut sein. Denn ein gebrochner Deich ist schlimmer als gar keiner. Darum mußte man, wenn Not an den Mann ging, einen beginnenden Deichbruch mit dem eignen Leibe dichten. Das macht Männer, Männer, die wissen was sie sollen und was sie wollen, Männer, die Unmögliches möglich machen, Männer, die zu sterben verstehen. Aber auch schweigsame Männer, denn es galt, den Mund zu und den Atem anzuhalten und aufs schärfste auf jedes gurgelnde Geräusch zu horchen, das etwa die feindlichen Wogen an der Sohle des Deiches ver¬ ursachten. In ihrer Schweigsamkeit sind die Ostfriesen aber auch durch den Boden, auf dem sie wohnen, bestärkt worden. Ostfriesland ist eine große Ebne, es ist wie ein Pfannkuchen, sagt der Volksmund; der Rand (die Marsch) ist das beste dran. Wenn es nicht Marsch ist, dann ist es Moor, aber Ebne ist es auf alle Fälle, und uoch heute, trotz sehr vermehrter Bevölkerung und zahlreicher neu angelegter Moorkolonieen und Fehlte, eine recht einsame Ebne. In dieser weiten, schweigenden Einsamkeit erschrickt der Mensch vor seiner eignen Stimme. Das Reden besorgt schon ein andrer, der Wind, der fort und fort über die weiten, schutzlosen Flächen saust, „der Boreas, der mit vollen Backen aus Südwest bläst," wie einmal eine hiesige Zeitung so schön schrieb. Wenn der — ich meine nicht den Boreas, sondern den Südwest — seinen Mund aufthut, dann muß der arme Mensch den seinen halten. Dazu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/461>, abgerufen am 29.09.2024.