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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die BornMdtcr Wurstakten

bleiben. Der Junge ist doch ein Spitzbube; er fürchtet die Verhandlung,
darum kommt er nicht. Soll denn die Lumperei niemals aus der Welt
kommen? Er beantragt einen neuen Termin und Vorführung des Ange¬
schuldigten.

Von Gerichtsferien weiß Karl Pieper nichts; er wundert sich daher etliche
Monate, daß sein Ungehorsam so ungestraft hingeht. Da ereilt ihn uner¬
wartet das Verhängnis. Ant Mittage vor dem neuen Termin taucht der
Gerichtsvollzieher bei deu Meechower Kartoffelbuddlern auf und verhaftet Karl
Pieper. Alle Leute zeigen mit Fingern auf ihn. Der Gutsherr hält zu Pferde
in der Nähe, er sprengt herbei und fragt, was deun Schlimmes vorliege.
Karl Pieper sagt weinend die Ursache, der Gerichtsvollzieher bestätigt sie.

Dein Gutsherrn schwillt die Zornader. Warum bist du Schlingel nicht
zum Termin gegangen?

Karl Pieper stottert die Wahrheit.

Den Gutsherrn jammert des Jungen. Geh jetzt mit! Den Kopf
können sie dir nicht abreißen. Die Arbeit behältst du. Herr Inspektor, daß
einer nach Dewitz geht und die Mutter beruhigt!

Zu Anfang unsrer Geschichte haben wir den Staatsanwalt über die Un¬
zulänglichkeit der Kreisordnuug grollen hören: der Vvrtrng, den der Guts¬
und Amtsvorsteher jetzt seinem Rappen über die Justizrevrganisation hielt,
würde sich auch nicht zur Niederschrift in die Akten eignen. Er schimpft ein¬
mal wieder über die Svzicildemokrateu, sagten die Frauen beim Kartoffellesen.

Karl Pieper hat die Arrestnacht ganz gut verschlafen. Den Kopf können
sie dir nicht abreißen! hat der Herr gesagt; mit diesem Trost betritt er die
Süuderbcink.

Die Herren vom Gericht sehen aber so streng aus, und der Schnurrbart
des Herrn Amtsanwalts steht so deutlich auf schlecht Wetter, daß ihm doch
angst und bange wird. Als aber die Zeugen aufgerufen werden, bekommt er
wieder Mut. Da kommt seine Mutter und sein alter Lehrer mit einem
Mädchen aus Dewitz.

Lehrer Rehwald ist einer von der alten Art, die so ziemlich alles in
ihrer kleinen Gemeinde sind: Schulze, Rechtsanwalt, Briefsteller und Doktor.
Zu dem ist die Frau Pieper gestern in ihrer Herzensangst gelaufen, und der
wackere Mann hat sich in aller Herrgottsfrühe mit ihr auf die Beine ge¬
macht. Er muß glücklich etwas zu Gunsten Karl Piepers ausgeheckt haben,
deun er blinkt ihm ermunternd zu: Kopf oben, Junge! Wir reißen dich
heraus!

Die Verhandlung beginnt. Pieper, warum sind Sie nicht zum vorigen
Termin erschienen? fragt der Amtsrichter hart.

Ich habe Schuld, jammert die Mutter, ich Habs ihm in meiner Dumm¬
heit geraten.


Die BornMdtcr Wurstakten

bleiben. Der Junge ist doch ein Spitzbube; er fürchtet die Verhandlung,
darum kommt er nicht. Soll denn die Lumperei niemals aus der Welt
kommen? Er beantragt einen neuen Termin und Vorführung des Ange¬
schuldigten.

Von Gerichtsferien weiß Karl Pieper nichts; er wundert sich daher etliche
Monate, daß sein Ungehorsam so ungestraft hingeht. Da ereilt ihn uner¬
wartet das Verhängnis. Ant Mittage vor dem neuen Termin taucht der
Gerichtsvollzieher bei deu Meechower Kartoffelbuddlern auf und verhaftet Karl
Pieper. Alle Leute zeigen mit Fingern auf ihn. Der Gutsherr hält zu Pferde
in der Nähe, er sprengt herbei und fragt, was deun Schlimmes vorliege.
Karl Pieper sagt weinend die Ursache, der Gerichtsvollzieher bestätigt sie.

Dein Gutsherrn schwillt die Zornader. Warum bist du Schlingel nicht
zum Termin gegangen?

Karl Pieper stottert die Wahrheit.

Den Gutsherrn jammert des Jungen. Geh jetzt mit! Den Kopf
können sie dir nicht abreißen. Die Arbeit behältst du. Herr Inspektor, daß
einer nach Dewitz geht und die Mutter beruhigt!

Zu Anfang unsrer Geschichte haben wir den Staatsanwalt über die Un¬
zulänglichkeit der Kreisordnuug grollen hören: der Vvrtrng, den der Guts¬
und Amtsvorsteher jetzt seinem Rappen über die Justizrevrganisation hielt,
würde sich auch nicht zur Niederschrift in die Akten eignen. Er schimpft ein¬
mal wieder über die Svzicildemokrateu, sagten die Frauen beim Kartoffellesen.

Karl Pieper hat die Arrestnacht ganz gut verschlafen. Den Kopf können
sie dir nicht abreißen! hat der Herr gesagt; mit diesem Trost betritt er die
Süuderbcink.

Die Herren vom Gericht sehen aber so streng aus, und der Schnurrbart
des Herrn Amtsanwalts steht so deutlich auf schlecht Wetter, daß ihm doch
angst und bange wird. Als aber die Zeugen aufgerufen werden, bekommt er
wieder Mut. Da kommt seine Mutter und sein alter Lehrer mit einem
Mädchen aus Dewitz.

Lehrer Rehwald ist einer von der alten Art, die so ziemlich alles in
ihrer kleinen Gemeinde sind: Schulze, Rechtsanwalt, Briefsteller und Doktor.
Zu dem ist die Frau Pieper gestern in ihrer Herzensangst gelaufen, und der
wackere Mann hat sich in aller Herrgottsfrühe mit ihr auf die Beine ge¬
macht. Er muß glücklich etwas zu Gunsten Karl Piepers ausgeheckt haben,
deun er blinkt ihm ermunternd zu: Kopf oben, Junge! Wir reißen dich
heraus!

Die Verhandlung beginnt. Pieper, warum sind Sie nicht zum vorigen
Termin erschienen? fragt der Amtsrichter hart.

Ich habe Schuld, jammert die Mutter, ich Habs ihm in meiner Dumm¬
heit geraten.


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[0431] Die BornMdtcr Wurstakten bleiben. Der Junge ist doch ein Spitzbube; er fürchtet die Verhandlung, darum kommt er nicht. Soll denn die Lumperei niemals aus der Welt kommen? Er beantragt einen neuen Termin und Vorführung des Ange¬ schuldigten. Von Gerichtsferien weiß Karl Pieper nichts; er wundert sich daher etliche Monate, daß sein Ungehorsam so ungestraft hingeht. Da ereilt ihn uner¬ wartet das Verhängnis. Ant Mittage vor dem neuen Termin taucht der Gerichtsvollzieher bei deu Meechower Kartoffelbuddlern auf und verhaftet Karl Pieper. Alle Leute zeigen mit Fingern auf ihn. Der Gutsherr hält zu Pferde in der Nähe, er sprengt herbei und fragt, was deun Schlimmes vorliege. Karl Pieper sagt weinend die Ursache, der Gerichtsvollzieher bestätigt sie. Dein Gutsherrn schwillt die Zornader. Warum bist du Schlingel nicht zum Termin gegangen? Karl Pieper stottert die Wahrheit. Den Gutsherrn jammert des Jungen. Geh jetzt mit! Den Kopf können sie dir nicht abreißen. Die Arbeit behältst du. Herr Inspektor, daß einer nach Dewitz geht und die Mutter beruhigt! Zu Anfang unsrer Geschichte haben wir den Staatsanwalt über die Un¬ zulänglichkeit der Kreisordnuug grollen hören: der Vvrtrng, den der Guts¬ und Amtsvorsteher jetzt seinem Rappen über die Justizrevrganisation hielt, würde sich auch nicht zur Niederschrift in die Akten eignen. Er schimpft ein¬ mal wieder über die Svzicildemokrateu, sagten die Frauen beim Kartoffellesen. Karl Pieper hat die Arrestnacht ganz gut verschlafen. Den Kopf können sie dir nicht abreißen! hat der Herr gesagt; mit diesem Trost betritt er die Süuderbcink. Die Herren vom Gericht sehen aber so streng aus, und der Schnurrbart des Herrn Amtsanwalts steht so deutlich auf schlecht Wetter, daß ihm doch angst und bange wird. Als aber die Zeugen aufgerufen werden, bekommt er wieder Mut. Da kommt seine Mutter und sein alter Lehrer mit einem Mädchen aus Dewitz. Lehrer Rehwald ist einer von der alten Art, die so ziemlich alles in ihrer kleinen Gemeinde sind: Schulze, Rechtsanwalt, Briefsteller und Doktor. Zu dem ist die Frau Pieper gestern in ihrer Herzensangst gelaufen, und der wackere Mann hat sich in aller Herrgottsfrühe mit ihr auf die Beine ge¬ macht. Er muß glücklich etwas zu Gunsten Karl Piepers ausgeheckt haben, deun er blinkt ihm ermunternd zu: Kopf oben, Junge! Wir reißen dich heraus! Die Verhandlung beginnt. Pieper, warum sind Sie nicht zum vorigen Termin erschienen? fragt der Amtsrichter hart. Ich habe Schuld, jammert die Mutter, ich Habs ihm in meiner Dumm¬ heit geraten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/431>, abgerufen am 23.07.2024.