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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Voruntersuchung gegen Karl Pieper ist geschlossen. Der Staats-
anwnlt stellt aktenmüßig sest, daß zu einer Anklage aus 242 des Reichs¬
strafgesetzbuchs kein genügendes Veweismaterial oder vielmehr ein genügendes
Reweismnterial nicht herbeizuschaffen gewesen sei; dagegen liege die im 8 370
unter Ur. 5 a. n. O. vorgesehue Übertretung vor: Entwertung vou Nahrungs¬
mitteln zum nlsbaldigen Gebrauche. Demgemäß wird die Sache dem Schöffen¬
gerichte in Bornstädt zur Aburteilung überwiesen.

Die Beamten der Staatsanwaltschaft jubeln, daß die lächerlich dick ge-
wordnen Wurstakten zum letztenmnle eingepackt werde"?. Schon sind sie zur
Post, da trifft ein Brief Viedermeyers ein, der die Stellung wieder gewechselt
hat und jetzt in Treuenbrietzen "in Kondition steht." Offenbar möchte der
Schlaukopf gern als Zeuge eine Vergnügungsreise auf Staatskosten machen.
Das Schreiben wandert nach Bornstädt und mit den Akten an den Herrn
Amtsanwalt.

Das ist ein alter Offizier, der das Amt wegen des kleinen Zuschusses
angenommen hat, den es zur Pension bringt. Zum Teufel! wettert er, da
möchte man doch lieber die dreißig Pfennige für die Wurst ersetzen, als die
vertrackten Akten durchochseu! Aber H ,'!70 Ur. 5 verlangt Sühne; der alte Herr
macht wütend einen saubern Auszug für die Amtsanwaltsregistratnr und ar¬
beitet auf dieser gediegnen Grundlage eine tadellose Anklage aus. Er be¬
antragt Hauptverhandlung, Ladung des Angeschuldigten und des Zeuge"
Klapper zum Schvffentermin. Auf das Zeugnis Biedermeyers verzichtet er,
mit sichtlichem Vergnügen, daß er dem Windhunde die Vergnügungsreise zu
Waffer machen kann.

Karl Pieper zieht indes Zuckerrüben auf Gut Meechow, denn die Sonne
steht wieder so hoch, daß diese nützlichen Pflanzen aufschießen können. Die
dumme Wurstgeschichte hält er längst für abgethan, ist ihm doch seit dem
Verhör in Berlin uicht bekannt geworden, daß sie noch "schwebe." Da kommt
seine Mutter abends von Kleindewitz herüber, schilt, daß sie seinetwegen einen
halben Arbeitstag versäumen müsse, und bringt eine gerichtliche Vvrlndnng.

Was hast du nur wieder gemacht? sagt sie.

Der einfältigen Frau will die Möglichkeit durchaus nicht in den Kopf,
daß es sich noch um die Wurst handeln könne. Was kommt, sehe ich, sagt sie
beim Gehen, der Inspektor jagt dich aus der Arbeit, wenn du einen Tag
wegbleibst.

Recht hat die Alte, denkt Karl Pieper und -- versnnmt den Termin.

Der Schöffenapparat ist zur Stelle, es fehlt nichts zum Urteilsspruch als
der Angeschuldigte.

Der Amtsanwalt hat ans Ärger über die dicken Akten heimlich ein gutes
Vorurteil für deu Jungen gefaßt und sich vorgenommen, eine recht milde
Strafe zu beantragen. Um so mehr erzürnt den Offizier das dreiste Aus-


Die Voruntersuchung gegen Karl Pieper ist geschlossen. Der Staats-
anwnlt stellt aktenmüßig sest, daß zu einer Anklage aus 242 des Reichs¬
strafgesetzbuchs kein genügendes Veweismaterial oder vielmehr ein genügendes
Reweismnterial nicht herbeizuschaffen gewesen sei; dagegen liege die im 8 370
unter Ur. 5 a. n. O. vorgesehue Übertretung vor: Entwertung vou Nahrungs¬
mitteln zum nlsbaldigen Gebrauche. Demgemäß wird die Sache dem Schöffen¬
gerichte in Bornstädt zur Aburteilung überwiesen.

Die Beamten der Staatsanwaltschaft jubeln, daß die lächerlich dick ge-
wordnen Wurstakten zum letztenmnle eingepackt werde«?. Schon sind sie zur
Post, da trifft ein Brief Viedermeyers ein, der die Stellung wieder gewechselt
hat und jetzt in Treuenbrietzen „in Kondition steht." Offenbar möchte der
Schlaukopf gern als Zeuge eine Vergnügungsreise auf Staatskosten machen.
Das Schreiben wandert nach Bornstädt und mit den Akten an den Herrn
Amtsanwalt.

Das ist ein alter Offizier, der das Amt wegen des kleinen Zuschusses
angenommen hat, den es zur Pension bringt. Zum Teufel! wettert er, da
möchte man doch lieber die dreißig Pfennige für die Wurst ersetzen, als die
vertrackten Akten durchochseu! Aber H ,'!70 Ur. 5 verlangt Sühne; der alte Herr
macht wütend einen saubern Auszug für die Amtsanwaltsregistratnr und ar¬
beitet auf dieser gediegnen Grundlage eine tadellose Anklage aus. Er be¬
antragt Hauptverhandlung, Ladung des Angeschuldigten und des Zeuge»
Klapper zum Schvffentermin. Auf das Zeugnis Biedermeyers verzichtet er,
mit sichtlichem Vergnügen, daß er dem Windhunde die Vergnügungsreise zu
Waffer machen kann.

Karl Pieper zieht indes Zuckerrüben auf Gut Meechow, denn die Sonne
steht wieder so hoch, daß diese nützlichen Pflanzen aufschießen können. Die
dumme Wurstgeschichte hält er längst für abgethan, ist ihm doch seit dem
Verhör in Berlin uicht bekannt geworden, daß sie noch „schwebe." Da kommt
seine Mutter abends von Kleindewitz herüber, schilt, daß sie seinetwegen einen
halben Arbeitstag versäumen müsse, und bringt eine gerichtliche Vvrlndnng.

Was hast du nur wieder gemacht? sagt sie.

Der einfältigen Frau will die Möglichkeit durchaus nicht in den Kopf,
daß es sich noch um die Wurst handeln könne. Was kommt, sehe ich, sagt sie
beim Gehen, der Inspektor jagt dich aus der Arbeit, wenn du einen Tag
wegbleibst.

Recht hat die Alte, denkt Karl Pieper und — versnnmt den Termin.

Der Schöffenapparat ist zur Stelle, es fehlt nichts zum Urteilsspruch als
der Angeschuldigte.

Der Amtsanwalt hat ans Ärger über die dicken Akten heimlich ein gutes
Vorurteil für deu Jungen gefaßt und sich vorgenommen, eine recht milde
Strafe zu beantragen. Um so mehr erzürnt den Offizier das dreiste Aus-


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[0430] Die Voruntersuchung gegen Karl Pieper ist geschlossen. Der Staats- anwnlt stellt aktenmüßig sest, daß zu einer Anklage aus 242 des Reichs¬ strafgesetzbuchs kein genügendes Veweismaterial oder vielmehr ein genügendes Reweismnterial nicht herbeizuschaffen gewesen sei; dagegen liege die im 8 370 unter Ur. 5 a. n. O. vorgesehue Übertretung vor: Entwertung vou Nahrungs¬ mitteln zum nlsbaldigen Gebrauche. Demgemäß wird die Sache dem Schöffen¬ gerichte in Bornstädt zur Aburteilung überwiesen. Die Beamten der Staatsanwaltschaft jubeln, daß die lächerlich dick ge- wordnen Wurstakten zum letztenmnle eingepackt werde«?. Schon sind sie zur Post, da trifft ein Brief Viedermeyers ein, der die Stellung wieder gewechselt hat und jetzt in Treuenbrietzen „in Kondition steht." Offenbar möchte der Schlaukopf gern als Zeuge eine Vergnügungsreise auf Staatskosten machen. Das Schreiben wandert nach Bornstädt und mit den Akten an den Herrn Amtsanwalt. Das ist ein alter Offizier, der das Amt wegen des kleinen Zuschusses angenommen hat, den es zur Pension bringt. Zum Teufel! wettert er, da möchte man doch lieber die dreißig Pfennige für die Wurst ersetzen, als die vertrackten Akten durchochseu! Aber H ,'!70 Ur. 5 verlangt Sühne; der alte Herr macht wütend einen saubern Auszug für die Amtsanwaltsregistratnr und ar¬ beitet auf dieser gediegnen Grundlage eine tadellose Anklage aus. Er be¬ antragt Hauptverhandlung, Ladung des Angeschuldigten und des Zeuge» Klapper zum Schvffentermin. Auf das Zeugnis Biedermeyers verzichtet er, mit sichtlichem Vergnügen, daß er dem Windhunde die Vergnügungsreise zu Waffer machen kann. Karl Pieper zieht indes Zuckerrüben auf Gut Meechow, denn die Sonne steht wieder so hoch, daß diese nützlichen Pflanzen aufschießen können. Die dumme Wurstgeschichte hält er längst für abgethan, ist ihm doch seit dem Verhör in Berlin uicht bekannt geworden, daß sie noch „schwebe." Da kommt seine Mutter abends von Kleindewitz herüber, schilt, daß sie seinetwegen einen halben Arbeitstag versäumen müsse, und bringt eine gerichtliche Vvrlndnng. Was hast du nur wieder gemacht? sagt sie. Der einfältigen Frau will die Möglichkeit durchaus nicht in den Kopf, daß es sich noch um die Wurst handeln könne. Was kommt, sehe ich, sagt sie beim Gehen, der Inspektor jagt dich aus der Arbeit, wenn du einen Tag wegbleibst. Recht hat die Alte, denkt Karl Pieper und — versnnmt den Termin. Der Schöffenapparat ist zur Stelle, es fehlt nichts zum Urteilsspruch als der Angeschuldigte. Der Amtsanwalt hat ans Ärger über die dicken Akten heimlich ein gutes Vorurteil für deu Jungen gefaßt und sich vorgenommen, eine recht milde Strafe zu beantragen. Um so mehr erzürnt den Offizier das dreiste Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/430>, abgerufen am 23.07.2024.