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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen

natürlich sofort, was in einem solchen Falle zu thun sei: Entführung,
Flucht zu ihm nach Wesel, rührender Brief an die Mutter, Verzeihung,
da doch nichts mehr zu ändern war, so wie jedes ordentliche Lustspiel aus¬
geht. Und dieses Lustspiel wurde auch sogleich in Szene gesetzt. Ein Brief,
angeblich von einer befreundeten Familie in Köln, lud die jugendliche Lieb¬
haberin dringend zu einem Besuch el", was der Mutter sehr willkommen
war, da es dem verschmähten Liebhaber Gelegenheit bot, den Nebenbuhler
auszustechen, und sie bestand um so mehr auf der Abreise, je mehr Schwierig¬
keiten die Tochter zum Schein machte. In Köln sollte sie der Dichter und Re¬
gisseur erwarten, um sie unes Wesel und in die Arme des Bräutigams zu führen.
Doch ein Zufall, wie sie leider häufiger vorkommen, als einem Lustspieldichter
paßt, verdarb den schönen Plan. An der Landungsbrücke in Köln wurde nämlich
Therese vou dem zufällig vorübergehenden Verschmähten begrüßt, er schöpfte
aus ihren verlegne" Antworten Verdacht und ließ sich trotz all ihrer Bemühungen
nicht abhalten, sie zu der Familie, deren Name mißbraucht worden war, zu
begleiten. Dort kam die Intrigue ans Licht, Therese erhielt zunächst Zimmer¬
arrest, die Mutter wurde schleunigst benachrichtigt und kam unverzüglich an,
verstärkt durch eine alte Taute.

Das junge Mädchen hatte zwar gebeichtet, und alle schwere" Straf¬
predigte" über sich ergehe" lassen, war aber keineswegs entmutigt, bemühte
sich vielmehr auf der Rückfahrt mit Ausdauer, seiner Eskorte die Zeit zu ver¬
kürze". Nahme" die Alte" einen Augenblick Platz, so war die J""ge so¬
gleich verschwunden; fortwährend wurden sie vom Schiffsschnabel zum Steuer,
vom Steuer zum Nadkasten gehetzt. Als im Speisesaal die Suppe auf¬
getragen war, erhob sich Thereschen und begab sich a"fs Deck, und die Ge¬
plagten mußten das Mittagessen unberührt lasse", weil sie befürchtete",
ihr Gefangner werde sich in dem ersten unbewachten Augenblick über Bord
stürze". Denn daß sie fest entschlossen war, nicht nachzugeben, hatte sie
deutlich genug ausgesprochen. Doch wurde sie glücklich ins elterliche Haus
zurückgebracht und war dort Zeuge des Entsetzens der beide" Alten beim Aus-
packen ihres Reisekoffers. Noch ein halbes Kind, hatte sie vor ihrer Flucht
alles eingepackt, was ihr lieb war, Spielsachen so gut wie Bücher und auch
die niedliche Wäsche aus ihrer frühesten Kindheit!

Nach und nach erkannte die Mutter de" Widerstand als nutzlos, und
es begannen die gütlichen Unterhandlungen. Leo sollte vor allem "etwas"
sein und natürlich in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche aufgenommen
werden. Der ersten Bedingung suchte er dadurch zu genüge", daß er auf den
Doktor losarbeitete. Allein der Doktorhut ist bekanntlich ein kostspieliges Klei¬
dungsstück, und wenn er die Kosten hätte vom Honorar des "Sprechers" be¬
streikn wollen, würde sich der Brautstand bedenklich in die Länge gezogen
haben. Etwas bessere Aussicht eröffnete eine untergeordnetere litterarische


Greiizl'lUen 11 1893 W
Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen

natürlich sofort, was in einem solchen Falle zu thun sei: Entführung,
Flucht zu ihm nach Wesel, rührender Brief an die Mutter, Verzeihung,
da doch nichts mehr zu ändern war, so wie jedes ordentliche Lustspiel aus¬
geht. Und dieses Lustspiel wurde auch sogleich in Szene gesetzt. Ein Brief,
angeblich von einer befreundeten Familie in Köln, lud die jugendliche Lieb¬
haberin dringend zu einem Besuch el», was der Mutter sehr willkommen
war, da es dem verschmähten Liebhaber Gelegenheit bot, den Nebenbuhler
auszustechen, und sie bestand um so mehr auf der Abreise, je mehr Schwierig¬
keiten die Tochter zum Schein machte. In Köln sollte sie der Dichter und Re¬
gisseur erwarten, um sie unes Wesel und in die Arme des Bräutigams zu führen.
Doch ein Zufall, wie sie leider häufiger vorkommen, als einem Lustspieldichter
paßt, verdarb den schönen Plan. An der Landungsbrücke in Köln wurde nämlich
Therese vou dem zufällig vorübergehenden Verschmähten begrüßt, er schöpfte
aus ihren verlegne» Antworten Verdacht und ließ sich trotz all ihrer Bemühungen
nicht abhalten, sie zu der Familie, deren Name mißbraucht worden war, zu
begleiten. Dort kam die Intrigue ans Licht, Therese erhielt zunächst Zimmer¬
arrest, die Mutter wurde schleunigst benachrichtigt und kam unverzüglich an,
verstärkt durch eine alte Taute.

Das junge Mädchen hatte zwar gebeichtet, und alle schwere» Straf¬
predigte» über sich ergehe» lassen, war aber keineswegs entmutigt, bemühte
sich vielmehr auf der Rückfahrt mit Ausdauer, seiner Eskorte die Zeit zu ver¬
kürze». Nahme» die Alte» einen Augenblick Platz, so war die J»»ge so¬
gleich verschwunden; fortwährend wurden sie vom Schiffsschnabel zum Steuer,
vom Steuer zum Nadkasten gehetzt. Als im Speisesaal die Suppe auf¬
getragen war, erhob sich Thereschen und begab sich a»fs Deck, und die Ge¬
plagten mußten das Mittagessen unberührt lasse», weil sie befürchtete»,
ihr Gefangner werde sich in dem ersten unbewachten Augenblick über Bord
stürze». Denn daß sie fest entschlossen war, nicht nachzugeben, hatte sie
deutlich genug ausgesprochen. Doch wurde sie glücklich ins elterliche Haus
zurückgebracht und war dort Zeuge des Entsetzens der beide» Alten beim Aus-
packen ihres Reisekoffers. Noch ein halbes Kind, hatte sie vor ihrer Flucht
alles eingepackt, was ihr lieb war, Spielsachen so gut wie Bücher und auch
die niedliche Wäsche aus ihrer frühesten Kindheit!

Nach und nach erkannte die Mutter de» Widerstand als nutzlos, und
es begannen die gütlichen Unterhandlungen. Leo sollte vor allem „etwas"
sein und natürlich in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche aufgenommen
werden. Der ersten Bedingung suchte er dadurch zu genüge», daß er auf den
Doktor losarbeitete. Allein der Doktorhut ist bekanntlich ein kostspieliges Klei¬
dungsstück, und wenn er die Kosten hätte vom Honorar des „Sprechers" be¬
streikn wollen, würde sich der Brautstand bedenklich in die Länge gezogen
haben. Etwas bessere Aussicht eröffnete eine untergeordnetere litterarische


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[0426] Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen natürlich sofort, was in einem solchen Falle zu thun sei: Entführung, Flucht zu ihm nach Wesel, rührender Brief an die Mutter, Verzeihung, da doch nichts mehr zu ändern war, so wie jedes ordentliche Lustspiel aus¬ geht. Und dieses Lustspiel wurde auch sogleich in Szene gesetzt. Ein Brief, angeblich von einer befreundeten Familie in Köln, lud die jugendliche Lieb¬ haberin dringend zu einem Besuch el», was der Mutter sehr willkommen war, da es dem verschmähten Liebhaber Gelegenheit bot, den Nebenbuhler auszustechen, und sie bestand um so mehr auf der Abreise, je mehr Schwierig¬ keiten die Tochter zum Schein machte. In Köln sollte sie der Dichter und Re¬ gisseur erwarten, um sie unes Wesel und in die Arme des Bräutigams zu führen. Doch ein Zufall, wie sie leider häufiger vorkommen, als einem Lustspieldichter paßt, verdarb den schönen Plan. An der Landungsbrücke in Köln wurde nämlich Therese vou dem zufällig vorübergehenden Verschmähten begrüßt, er schöpfte aus ihren verlegne» Antworten Verdacht und ließ sich trotz all ihrer Bemühungen nicht abhalten, sie zu der Familie, deren Name mißbraucht worden war, zu begleiten. Dort kam die Intrigue ans Licht, Therese erhielt zunächst Zimmer¬ arrest, die Mutter wurde schleunigst benachrichtigt und kam unverzüglich an, verstärkt durch eine alte Taute. Das junge Mädchen hatte zwar gebeichtet, und alle schwere» Straf¬ predigte» über sich ergehe» lassen, war aber keineswegs entmutigt, bemühte sich vielmehr auf der Rückfahrt mit Ausdauer, seiner Eskorte die Zeit zu ver¬ kürze». Nahme» die Alte» einen Augenblick Platz, so war die J»»ge so¬ gleich verschwunden; fortwährend wurden sie vom Schiffsschnabel zum Steuer, vom Steuer zum Nadkasten gehetzt. Als im Speisesaal die Suppe auf¬ getragen war, erhob sich Thereschen und begab sich a»fs Deck, und die Ge¬ plagten mußten das Mittagessen unberührt lasse», weil sie befürchtete», ihr Gefangner werde sich in dem ersten unbewachten Augenblick über Bord stürze». Denn daß sie fest entschlossen war, nicht nachzugeben, hatte sie deutlich genug ausgesprochen. Doch wurde sie glücklich ins elterliche Haus zurückgebracht und war dort Zeuge des Entsetzens der beide» Alten beim Aus- packen ihres Reisekoffers. Noch ein halbes Kind, hatte sie vor ihrer Flucht alles eingepackt, was ihr lieb war, Spielsachen so gut wie Bücher und auch die niedliche Wäsche aus ihrer frühesten Kindheit! Nach und nach erkannte die Mutter de» Widerstand als nutzlos, und es begannen die gütlichen Unterhandlungen. Leo sollte vor allem „etwas" sein und natürlich in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche aufgenommen werden. Der ersten Bedingung suchte er dadurch zu genüge», daß er auf den Doktor losarbeitete. Allein der Doktorhut ist bekanntlich ein kostspieliges Klei¬ dungsstück, und wenn er die Kosten hätte vom Honorar des „Sprechers" be¬ streikn wollen, würde sich der Brautstand bedenklich in die Länge gezogen haben. Etwas bessere Aussicht eröffnete eine untergeordnetere litterarische Greiizl'lUen 11 1893 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/426>, abgerufen am 23.07.2024.