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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

geht mit fast geräuschloser Geschäftsmüßigkeit vor sich in diesen von Blut
dampfenden und täglich von dem letzten Lebensodem von mehr als fünfhundert
großen Vierfüßlern erfüllten Räumen.

Wie viel Minuten wohl das Gehirn nach dem Augenblick des Schlächters
noch den Schmerz empfinden mag? fragte der Sonnenstrahl an meiner Seite.
Wie der Kopf des Enthaupteten noch minutenlang nach den vorher verab¬
redeten Zeichen den Fragenden mit den Angen nach rechts und links ver
folgt -- auch ohne Sprache und Luftröhre --, so ist gewiß auch bis zur
völlig ciugetretueu Blutleere des Hirns Schmerz vorhanden, auch nach dem
letzten Todesschrei. Und wie lange mag das bei so großen Tieren dauern?

Ich wendete mich von dem unbequemer Frager ab, meinem freundliche"
Führer, Mr. Twain, zu, der uns ans der Liste seines Taschenbuchs mit¬
teilte, daß hier im vorige" Jahr, d. h. vom ersten November 1888 bis zum
ersten November 1889, nicht weniger als 150 377 Stück Rindvieh geschlachtet
worden seien.

Wenn Sie die handliche und äußerst praktische Art ansehen wollen, wie
hier sechstausend Schweine täglich (das heißt sechshundert in einer Stunde, den
Tag zu zehn Arbeitsstunden gerechnet) geschlachtet, gebrüht, zerteilt und zu
Wurst verarbeitet werden, so bitte ich die Herren, sich mit mir unter der Hvch-
bahnbrücke hinweg in dieses Gebunde dort zu begeben, sagte Mr. Twain.

Wir schritten mit ihm über Schienen hinweg, die noch rasselten von dem
Gewicht eines Schweinefleischzuges, der sie gerade verlassen hatte. Über unsern
Köpfen polterte auf der von eisernen Pfeilern getragnen Hochbahn ein end¬
loser Wagenzug mit Hunderten von auiekenden Schweinen beladen heran, und
dort, jenseits der großen Rotunde, zog über die Dächer der vielen Schuppen
wieder eine schwarze Schlange von etwa vierzig Güterwagen, die, wie uns
Mr. Twain versicherte, nichts weiter enthielten als neugefertigte Blech¬
büchsen.

Bald standen wir vor dem Eingänge zum Schweineschlachthause.

Wir sahen, wie oben Schweine aus einem eben angelangten Zuge
auf eine geräumige hölzerne Plattform ausgeladen wurden. Arglos und
fröhlich ließen sich die Tiere das gefallen. Sie aHuten anch nichts böses,
als sie die anfangs recht breite Hvlzbrttcke entlang getrieben wurden. Sie



") Das macht ans die Woche über 3000, auf den Tag über 400. Kälber wurden in
derselben Zeit ZZ41 geschlachtet und Schafe 41913. Am meisten wurde unter den Schweinen
ausgeräumt: 600526 wurden in dem einen Jahre hier getötet. Diese Zahlen sind übrigens
uoch nicht das höchste, was diese Anstalt täglich und jährlich leisten kann. Wenn alle ge¬
gebnen Möglichkeiten bis zum äußersten ausgenutzt werden, können täglich 3000 Schweine,
1200 Ochsen und 500 Schafe geschlachtet werden. Denn die Anstalt nimmt ein Areal ton
12 Acres ein, wewou 8 Acres allein mit Fabrikgebäuden bedeckt sind. Die Schuppe" erstrecken
sich über ein Areal von 18 Acres. Die Hvfmume nehmen 30 Acres ein.
Bilder aus dem Westen

geht mit fast geräuschloser Geschäftsmüßigkeit vor sich in diesen von Blut
dampfenden und täglich von dem letzten Lebensodem von mehr als fünfhundert
großen Vierfüßlern erfüllten Räumen.

Wie viel Minuten wohl das Gehirn nach dem Augenblick des Schlächters
noch den Schmerz empfinden mag? fragte der Sonnenstrahl an meiner Seite.
Wie der Kopf des Enthaupteten noch minutenlang nach den vorher verab¬
redeten Zeichen den Fragenden mit den Angen nach rechts und links ver
folgt — auch ohne Sprache und Luftröhre —, so ist gewiß auch bis zur
völlig ciugetretueu Blutleere des Hirns Schmerz vorhanden, auch nach dem
letzten Todesschrei. Und wie lange mag das bei so großen Tieren dauern?

Ich wendete mich von dem unbequemer Frager ab, meinem freundliche»
Führer, Mr. Twain, zu, der uns ans der Liste seines Taschenbuchs mit¬
teilte, daß hier im vorige» Jahr, d. h. vom ersten November 1888 bis zum
ersten November 1889, nicht weniger als 150 377 Stück Rindvieh geschlachtet
worden seien.

Wenn Sie die handliche und äußerst praktische Art ansehen wollen, wie
hier sechstausend Schweine täglich (das heißt sechshundert in einer Stunde, den
Tag zu zehn Arbeitsstunden gerechnet) geschlachtet, gebrüht, zerteilt und zu
Wurst verarbeitet werden, so bitte ich die Herren, sich mit mir unter der Hvch-
bahnbrücke hinweg in dieses Gebunde dort zu begeben, sagte Mr. Twain.

Wir schritten mit ihm über Schienen hinweg, die noch rasselten von dem
Gewicht eines Schweinefleischzuges, der sie gerade verlassen hatte. Über unsern
Köpfen polterte auf der von eisernen Pfeilern getragnen Hochbahn ein end¬
loser Wagenzug mit Hunderten von auiekenden Schweinen beladen heran, und
dort, jenseits der großen Rotunde, zog über die Dächer der vielen Schuppen
wieder eine schwarze Schlange von etwa vierzig Güterwagen, die, wie uns
Mr. Twain versicherte, nichts weiter enthielten als neugefertigte Blech¬
büchsen.

Bald standen wir vor dem Eingänge zum Schweineschlachthause.

Wir sahen, wie oben Schweine aus einem eben angelangten Zuge
auf eine geräumige hölzerne Plattform ausgeladen wurden. Arglos und
fröhlich ließen sich die Tiere das gefallen. Sie aHuten anch nichts böses,
als sie die anfangs recht breite Hvlzbrttcke entlang getrieben wurden. Sie



") Das macht ans die Woche über 3000, auf den Tag über 400. Kälber wurden in
derselben Zeit ZZ41 geschlachtet und Schafe 41913. Am meisten wurde unter den Schweinen
ausgeräumt: 600526 wurden in dem einen Jahre hier getötet. Diese Zahlen sind übrigens
uoch nicht das höchste, was diese Anstalt täglich und jährlich leisten kann. Wenn alle ge¬
gebnen Möglichkeiten bis zum äußersten ausgenutzt werden, können täglich 3000 Schweine,
1200 Ochsen und 500 Schafe geschlachtet werden. Denn die Anstalt nimmt ein Areal ton
12 Acres ein, wewou 8 Acres allein mit Fabrikgebäuden bedeckt sind. Die Schuppe» erstrecken
sich über ein Areal von 18 Acres. Die Hvfmume nehmen 30 Acres ein.
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[0416] Bilder aus dem Westen geht mit fast geräuschloser Geschäftsmüßigkeit vor sich in diesen von Blut dampfenden und täglich von dem letzten Lebensodem von mehr als fünfhundert großen Vierfüßlern erfüllten Räumen. Wie viel Minuten wohl das Gehirn nach dem Augenblick des Schlächters noch den Schmerz empfinden mag? fragte der Sonnenstrahl an meiner Seite. Wie der Kopf des Enthaupteten noch minutenlang nach den vorher verab¬ redeten Zeichen den Fragenden mit den Angen nach rechts und links ver folgt — auch ohne Sprache und Luftröhre —, so ist gewiß auch bis zur völlig ciugetretueu Blutleere des Hirns Schmerz vorhanden, auch nach dem letzten Todesschrei. Und wie lange mag das bei so großen Tieren dauern? Ich wendete mich von dem unbequemer Frager ab, meinem freundliche» Führer, Mr. Twain, zu, der uns ans der Liste seines Taschenbuchs mit¬ teilte, daß hier im vorige» Jahr, d. h. vom ersten November 1888 bis zum ersten November 1889, nicht weniger als 150 377 Stück Rindvieh geschlachtet worden seien. Wenn Sie die handliche und äußerst praktische Art ansehen wollen, wie hier sechstausend Schweine täglich (das heißt sechshundert in einer Stunde, den Tag zu zehn Arbeitsstunden gerechnet) geschlachtet, gebrüht, zerteilt und zu Wurst verarbeitet werden, so bitte ich die Herren, sich mit mir unter der Hvch- bahnbrücke hinweg in dieses Gebunde dort zu begeben, sagte Mr. Twain. Wir schritten mit ihm über Schienen hinweg, die noch rasselten von dem Gewicht eines Schweinefleischzuges, der sie gerade verlassen hatte. Über unsern Köpfen polterte auf der von eisernen Pfeilern getragnen Hochbahn ein end¬ loser Wagenzug mit Hunderten von auiekenden Schweinen beladen heran, und dort, jenseits der großen Rotunde, zog über die Dächer der vielen Schuppen wieder eine schwarze Schlange von etwa vierzig Güterwagen, die, wie uns Mr. Twain versicherte, nichts weiter enthielten als neugefertigte Blech¬ büchsen. Bald standen wir vor dem Eingänge zum Schweineschlachthause. Wir sahen, wie oben Schweine aus einem eben angelangten Zuge auf eine geräumige hölzerne Plattform ausgeladen wurden. Arglos und fröhlich ließen sich die Tiere das gefallen. Sie aHuten anch nichts böses, als sie die anfangs recht breite Hvlzbrttcke entlang getrieben wurden. Sie ") Das macht ans die Woche über 3000, auf den Tag über 400. Kälber wurden in derselben Zeit ZZ41 geschlachtet und Schafe 41913. Am meisten wurde unter den Schweinen ausgeräumt: 600526 wurden in dem einen Jahre hier getötet. Diese Zahlen sind übrigens uoch nicht das höchste, was diese Anstalt täglich und jährlich leisten kann. Wenn alle ge¬ gebnen Möglichkeiten bis zum äußersten ausgenutzt werden, können täglich 3000 Schweine, 1200 Ochsen und 500 Schafe geschlachtet werden. Denn die Anstalt nimmt ein Areal ton 12 Acres ein, wewou 8 Acres allein mit Fabrikgebäuden bedeckt sind. Die Schuppe» erstrecken sich über ein Areal von 18 Acres. Die Hvfmume nehmen 30 Acres ein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/416>, abgerufen am 24.07.2024.