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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dein Westen

An einem der Pulte saß Mr. Armonr. Herr von Nachdem führte mich
bei ihm ein und stellte mich dem "Alten" vor.

Der Alte, t1>o via irn,", das ist in Nordamerika wie bei uns der Ehren¬
titel jedes Prinzipals. Aber er entbehrt des mitleidigen Beigeschmackes, den
wir ihm im Deutschen zu geben geneigt sind. Er kommt Alten wie Jungen
zu, wenn sie Chefs find.

In diesem Falle war der "Alte" ein wirklich schöner, ältlicher Herr mit
interessantem, klugem Gesicht, etwas graugcmischtem Haar, noch dunkeln buschigen
Augenbrauen und tiefliegenden, dunkeln, scharfen Augen. Er trug nur den
börsenmäunisch zugeschnittnen Backenbart, der Mund war scharfgeschnitten, die
dünnen Lippe", einem Sparbüchsenschlitz gleichend, wurden trotz ihres verbind¬
lichen Lächelns, wenn sie nicht zum Sprechen geöffnet waren, festgeschlossen
gehalten. Die Sprache war leise, gemessen, verbindlich, bestimmt, kurz, ohne
Umschweife. Man hätte diese schöne, vornehme Sechzigergestalt mit ihrem leicht
vorgeneigten Denkerkopf eher für einen Börseufttrsten oder Diplomaten als für
einen Fleischereidirektvr halten können.

Auf meinen Wunsch, nachdem ich die Einrichtung des Berliner Zentral¬
viehhofs studirt hatte, nun auch dieses Zentrum des Weltfleischmarktes keimen
zu lernen, ging Herr Armour mit der größten Bereitwilligkeit ein, nachdem
ich ihm von der Berliner Musteranstalt einiges, das ihn interessirte, hatte er¬
zählen müssen. Ich wurde der Führung eines jungen Engländers, des
Inspektors der Schlachtsäle, anvertraut.

Wir traten in einen großen, halbdunkeln, von Blutgeruch erfüllten Raum.
Doch halt: nur der, dessen Nerven stark genug sind, trete mit uns ein! Auch
dem abgehärtetsten, der sich plötzlich in diese Btutatmosphüre versetzt sieht,
können seltsame Gedanken durch den Kopf gehen beim Anblick dieses schrecklichsten
aller Handwerke, auch einem, der jahrelang auf den Leichensälen einer Uni-
versitätsauatvmie gearbeitet und zweiundzwanzig Schlachten und Gefechte als
Schwadronarzt mitgemacht hat, kann dabei merkwürdig zu Mute werden.

Zumal wenn ein neugieriger Gast mit hereinschlüpft und allerhand Kreuz-
uud Querfragen aufwirft, die gar uicht zur Sache gehören! Das war der erste
milde Frühlingssouuenstrnhl, der sich durch den Thürspalt hereingestvhlen hatte
in diese" halbdunkeln, von Blut und Todesröcheln erfüllten Raum, in einer
Lache hellrote" Arterienblutes am Boden spielte und das brechende Auge eines
eben geschlachteten großen Wiederkäuers beschien, als ob er fragen wollte:
Laßt sehen, ob wirklich das Sterben für Tiere leichter ist als für Menschen!
Zudringlich blickte er mir über die Schulter, als ich nun alle die praktischen
Einrichtungen bewunderte.

Dort in der Mitte der großen Halle werden die zum Schlachten herein¬
geführten Ochsen mit dem .Kopf an den Boden gefesselt, durch eine" Beilhieb
an die Stirn betäubt, dann in die Höhe gezogen und hängend entblutet. Alles


Bilder aus dein Westen

An einem der Pulte saß Mr. Armonr. Herr von Nachdem führte mich
bei ihm ein und stellte mich dem „Alten" vor.

Der Alte, t1>o via irn,», das ist in Nordamerika wie bei uns der Ehren¬
titel jedes Prinzipals. Aber er entbehrt des mitleidigen Beigeschmackes, den
wir ihm im Deutschen zu geben geneigt sind. Er kommt Alten wie Jungen
zu, wenn sie Chefs find.

In diesem Falle war der „Alte" ein wirklich schöner, ältlicher Herr mit
interessantem, klugem Gesicht, etwas graugcmischtem Haar, noch dunkeln buschigen
Augenbrauen und tiefliegenden, dunkeln, scharfen Augen. Er trug nur den
börsenmäunisch zugeschnittnen Backenbart, der Mund war scharfgeschnitten, die
dünnen Lippe», einem Sparbüchsenschlitz gleichend, wurden trotz ihres verbind¬
lichen Lächelns, wenn sie nicht zum Sprechen geöffnet waren, festgeschlossen
gehalten. Die Sprache war leise, gemessen, verbindlich, bestimmt, kurz, ohne
Umschweife. Man hätte diese schöne, vornehme Sechzigergestalt mit ihrem leicht
vorgeneigten Denkerkopf eher für einen Börseufttrsten oder Diplomaten als für
einen Fleischereidirektvr halten können.

Auf meinen Wunsch, nachdem ich die Einrichtung des Berliner Zentral¬
viehhofs studirt hatte, nun auch dieses Zentrum des Weltfleischmarktes keimen
zu lernen, ging Herr Armour mit der größten Bereitwilligkeit ein, nachdem
ich ihm von der Berliner Musteranstalt einiges, das ihn interessirte, hatte er¬
zählen müssen. Ich wurde der Führung eines jungen Engländers, des
Inspektors der Schlachtsäle, anvertraut.

Wir traten in einen großen, halbdunkeln, von Blutgeruch erfüllten Raum.
Doch halt: nur der, dessen Nerven stark genug sind, trete mit uns ein! Auch
dem abgehärtetsten, der sich plötzlich in diese Btutatmosphüre versetzt sieht,
können seltsame Gedanken durch den Kopf gehen beim Anblick dieses schrecklichsten
aller Handwerke, auch einem, der jahrelang auf den Leichensälen einer Uni-
versitätsauatvmie gearbeitet und zweiundzwanzig Schlachten und Gefechte als
Schwadronarzt mitgemacht hat, kann dabei merkwürdig zu Mute werden.

Zumal wenn ein neugieriger Gast mit hereinschlüpft und allerhand Kreuz-
uud Querfragen aufwirft, die gar uicht zur Sache gehören! Das war der erste
milde Frühlingssouuenstrnhl, der sich durch den Thürspalt hereingestvhlen hatte
in diese» halbdunkeln, von Blut und Todesröcheln erfüllten Raum, in einer
Lache hellrote» Arterienblutes am Boden spielte und das brechende Auge eines
eben geschlachteten großen Wiederkäuers beschien, als ob er fragen wollte:
Laßt sehen, ob wirklich das Sterben für Tiere leichter ist als für Menschen!
Zudringlich blickte er mir über die Schulter, als ich nun alle die praktischen
Einrichtungen bewunderte.

Dort in der Mitte der großen Halle werden die zum Schlachten herein¬
geführten Ochsen mit dem .Kopf an den Boden gefesselt, durch eine» Beilhieb
an die Stirn betäubt, dann in die Höhe gezogen und hängend entblutet. Alles


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[0415] Bilder aus dein Westen An einem der Pulte saß Mr. Armonr. Herr von Nachdem führte mich bei ihm ein und stellte mich dem „Alten" vor. Der Alte, t1>o via irn,», das ist in Nordamerika wie bei uns der Ehren¬ titel jedes Prinzipals. Aber er entbehrt des mitleidigen Beigeschmackes, den wir ihm im Deutschen zu geben geneigt sind. Er kommt Alten wie Jungen zu, wenn sie Chefs find. In diesem Falle war der „Alte" ein wirklich schöner, ältlicher Herr mit interessantem, klugem Gesicht, etwas graugcmischtem Haar, noch dunkeln buschigen Augenbrauen und tiefliegenden, dunkeln, scharfen Augen. Er trug nur den börsenmäunisch zugeschnittnen Backenbart, der Mund war scharfgeschnitten, die dünnen Lippe», einem Sparbüchsenschlitz gleichend, wurden trotz ihres verbind¬ lichen Lächelns, wenn sie nicht zum Sprechen geöffnet waren, festgeschlossen gehalten. Die Sprache war leise, gemessen, verbindlich, bestimmt, kurz, ohne Umschweife. Man hätte diese schöne, vornehme Sechzigergestalt mit ihrem leicht vorgeneigten Denkerkopf eher für einen Börseufttrsten oder Diplomaten als für einen Fleischereidirektvr halten können. Auf meinen Wunsch, nachdem ich die Einrichtung des Berliner Zentral¬ viehhofs studirt hatte, nun auch dieses Zentrum des Weltfleischmarktes keimen zu lernen, ging Herr Armour mit der größten Bereitwilligkeit ein, nachdem ich ihm von der Berliner Musteranstalt einiges, das ihn interessirte, hatte er¬ zählen müssen. Ich wurde der Führung eines jungen Engländers, des Inspektors der Schlachtsäle, anvertraut. Wir traten in einen großen, halbdunkeln, von Blutgeruch erfüllten Raum. Doch halt: nur der, dessen Nerven stark genug sind, trete mit uns ein! Auch dem abgehärtetsten, der sich plötzlich in diese Btutatmosphüre versetzt sieht, können seltsame Gedanken durch den Kopf gehen beim Anblick dieses schrecklichsten aller Handwerke, auch einem, der jahrelang auf den Leichensälen einer Uni- versitätsauatvmie gearbeitet und zweiundzwanzig Schlachten und Gefechte als Schwadronarzt mitgemacht hat, kann dabei merkwürdig zu Mute werden. Zumal wenn ein neugieriger Gast mit hereinschlüpft und allerhand Kreuz- uud Querfragen aufwirft, die gar uicht zur Sache gehören! Das war der erste milde Frühlingssouuenstrnhl, der sich durch den Thürspalt hereingestvhlen hatte in diese» halbdunkeln, von Blut und Todesröcheln erfüllten Raum, in einer Lache hellrote» Arterienblutes am Boden spielte und das brechende Auge eines eben geschlachteten großen Wiederkäuers beschien, als ob er fragen wollte: Laßt sehen, ob wirklich das Sterben für Tiere leichter ist als für Menschen! Zudringlich blickte er mir über die Schulter, als ich nun alle die praktischen Einrichtungen bewunderte. Dort in der Mitte der großen Halle werden die zum Schlachten herein¬ geführten Ochsen mit dem .Kopf an den Boden gefesselt, durch eine» Beilhieb an die Stirn betäubt, dann in die Höhe gezogen und hängend entblutet. Alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/415>, abgerufen am 24.07.2024.