Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Die Familie Humboldt lind Lagen der Mensch hat, als darauf, daß er jede wahrhaft in sein inneres Das rührendste an dem unvergleichlichen Gemälde von mannichfnltigstem Gefühle, denen die eben angeführten Worte entsprechen, ziehen sich durch Die Familie Humboldt lind Lagen der Mensch hat, als darauf, daß er jede wahrhaft in sein inneres Das rührendste an dem unvergleichlichen Gemälde von mannichfnltigstem Gefühle, denen die eben angeführten Worte entsprechen, ziehen sich durch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214864"/> <fw type="header" place="top"> Die Familie Humboldt</fw><lb/> <p xml:id="ID_1597" prev="#ID_1596"> lind Lagen der Mensch hat, als darauf, daß er jede wahrhaft in sein inneres<lb/> und äußeres Leben verwebt." So versteht man es, daß er in Gastein immer<lb/> dieselben Wege zum Spaziergang benutzt: „Ich hange so ungestörter meinen<lb/> Ideen nach, und jeder Baum, jeder Berg wird einem lieber, den man täglich<lb/> wiedersieht. Ich habe immer das Alte mehr als das Neue, die Erinnerung<lb/> an Vergangnes mehr als die Beschäftigung mit der Zukunft geliebt, und jetzt<lb/> ist das zehnfach stärker in mir."</p><lb/> <p xml:id="ID_1598"> Das rührendste an dem unvergleichlichen Gemälde von mannichfnltigstem<lb/> Familienglück und Familienschmerz ist Humboldts Verhältnis zum Tode. Seit<lb/> er zwei Kinder an der Cestinspyramide begraben hat, weilen seine Gedanken<lb/> unaufhörlich im Jenseits, und gar seit dem Tode seiner Frau ist sein inneres<lb/> Leben mit nichts mehr beschäftigt, als mit der Hoffnung des Wiedersehens<lb/> nach dem Tode. So schreibt er im Jahre 1832: „Daß man den Gedanken<lb/> an geliebte Vcrstorbue so gar an keinen Ort besten kau», bewegt mich oft<lb/> so schmerzlich. Das Grab vermehrt uur die Sehnsucht, weil es auf die Ver¬<lb/> gangenheit und die Erde zurückweist. In andern Momenten ist es aber ein<lb/> beruhigender Gedanke, sich die Abgcschiednen nicht so an einem bestimmten<lb/> fernen Ort denken zu müssen. Man ist nicht so gewiß und bestimmt von<lb/> ihnen getrennt. Ihr Odem kann uns umgeben; da die Arten des Daseins so<lb/> vielfach sein können, so mag ihnen eins zuteil werden, für das Nähe und<lb/> Ferne verschwinden."</p><lb/> <p xml:id="ID_1599" next="#ID_1600"> Gefühle, denen die eben angeführten Worte entsprechen, ziehen sich durch<lb/> alles, was in dem Buche von ihm berichtet wird: überall zeigt er die reinste<lb/> Liebe und unwandelbare Treue, und zwar mit einer Weichheit der Empfindung,<lb/> neben der man die haarscharfe Verstandeskälte und die eisige Ironie, die ihn<lb/> nach andern Berichten in diplomatischen Geschäften, besonders auf dem Wiener<lb/> Kongreß ausgezeichnet haben, mit Genugthuung als die Waffe gewahrt, die<lb/> an dem entgegengesetzten Pole seines innern Lebens gegen Lüge und Falsch¬<lb/> heit bereit lag. Man möchte förmlich bedauern, daß Tcillchrcmd die Worte<lb/> nicht gelesen hat, die er im Jahre 1829 in der Erinnerung an seine Frau<lb/> schreibt: „Der Wehmut kann und soll man nicht wehren, aber sie ist kein<lb/> Leiden zu nennen, sie ist süß und giebt dem in sich gekehrten Gemüt ein still¬<lb/> beglückendes Gefühl. Was ich dir da sage, nehme ich aus meiner eignen<lb/> Stimmung. Wie ich anch überall sie vermisse, und wie schmerzlich mich auch<lb/> sehr oft diese Sehnsucht bewegt, so fuhrt doch dies stille Leben wehmütiger<lb/> Erinnerung, das uns hier in großer Einsamkeit hinfließt, auch eine große Süßig¬<lb/> keit mit sich. Ich bin in mir gewiß, daß es so fortdauern wird, und möchte<lb/> es mit keinem andern vertauschen." Freilich würde Talleyrand den Mann,<lb/> den er von seinem Standpunkte elendester diplomatischer Gaunerei aus auch<lb/> damals nicht zu beurteilen vermochte, als er in ihm nur einen eingefleischter<lb/> Sophisten sah, auch hier uicht. verstanden haben; für seinesgleichen ist eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
Die Familie Humboldt
lind Lagen der Mensch hat, als darauf, daß er jede wahrhaft in sein inneres
und äußeres Leben verwebt." So versteht man es, daß er in Gastein immer
dieselben Wege zum Spaziergang benutzt: „Ich hange so ungestörter meinen
Ideen nach, und jeder Baum, jeder Berg wird einem lieber, den man täglich
wiedersieht. Ich habe immer das Alte mehr als das Neue, die Erinnerung
an Vergangnes mehr als die Beschäftigung mit der Zukunft geliebt, und jetzt
ist das zehnfach stärker in mir."
Das rührendste an dem unvergleichlichen Gemälde von mannichfnltigstem
Familienglück und Familienschmerz ist Humboldts Verhältnis zum Tode. Seit
er zwei Kinder an der Cestinspyramide begraben hat, weilen seine Gedanken
unaufhörlich im Jenseits, und gar seit dem Tode seiner Frau ist sein inneres
Leben mit nichts mehr beschäftigt, als mit der Hoffnung des Wiedersehens
nach dem Tode. So schreibt er im Jahre 1832: „Daß man den Gedanken
an geliebte Vcrstorbue so gar an keinen Ort besten kau», bewegt mich oft
so schmerzlich. Das Grab vermehrt uur die Sehnsucht, weil es auf die Ver¬
gangenheit und die Erde zurückweist. In andern Momenten ist es aber ein
beruhigender Gedanke, sich die Abgcschiednen nicht so an einem bestimmten
fernen Ort denken zu müssen. Man ist nicht so gewiß und bestimmt von
ihnen getrennt. Ihr Odem kann uns umgeben; da die Arten des Daseins so
vielfach sein können, so mag ihnen eins zuteil werden, für das Nähe und
Ferne verschwinden."
Gefühle, denen die eben angeführten Worte entsprechen, ziehen sich durch
alles, was in dem Buche von ihm berichtet wird: überall zeigt er die reinste
Liebe und unwandelbare Treue, und zwar mit einer Weichheit der Empfindung,
neben der man die haarscharfe Verstandeskälte und die eisige Ironie, die ihn
nach andern Berichten in diplomatischen Geschäften, besonders auf dem Wiener
Kongreß ausgezeichnet haben, mit Genugthuung als die Waffe gewahrt, die
an dem entgegengesetzten Pole seines innern Lebens gegen Lüge und Falsch¬
heit bereit lag. Man möchte förmlich bedauern, daß Tcillchrcmd die Worte
nicht gelesen hat, die er im Jahre 1829 in der Erinnerung an seine Frau
schreibt: „Der Wehmut kann und soll man nicht wehren, aber sie ist kein
Leiden zu nennen, sie ist süß und giebt dem in sich gekehrten Gemüt ein still¬
beglückendes Gefühl. Was ich dir da sage, nehme ich aus meiner eignen
Stimmung. Wie ich anch überall sie vermisse, und wie schmerzlich mich auch
sehr oft diese Sehnsucht bewegt, so fuhrt doch dies stille Leben wehmütiger
Erinnerung, das uns hier in großer Einsamkeit hinfließt, auch eine große Süßig¬
keit mit sich. Ich bin in mir gewiß, daß es so fortdauern wird, und möchte
es mit keinem andern vertauschen." Freilich würde Talleyrand den Mann,
den er von seinem Standpunkte elendester diplomatischer Gaunerei aus auch
damals nicht zu beurteilen vermochte, als er in ihm nur einen eingefleischter
Sophisten sah, auch hier uicht. verstanden haben; für seinesgleichen ist eine
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