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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Familie Humboldt

Verbindung von Verstand und Gemüt, wie sie bei Humboldt zur Erscheinung
kam, unfaßbar. Während er sich bemühte, die Ausdehnung der Geisteskräfte
abzumessen, die Humboldt ihm gegenüber entfaltete, konnte er nicht bemerken,
in welche Fernen ihm das innere und eigentliche Wesen eines Mannes ent¬
schwand, der dem ErzVerräter gegenüber die Waffen zeigte, mit denen er sein
besseres Selbst verteidigte.

Wilhelms Bruder Alexander erscheint in dem Buche als liebevoller Onkel
und unerschöpflich anregender und geistreicher Erzähler. Für die Natnrfvrscher-
gesellschaft trifft er im Jahre 1828 weitläufige Einrichtungen und empfängt
und beantwortet! mehr als sechzig Briefe von Gelehrten, die ihn bitten,
ihnen Betten ohne Wanzen zu besorgen. Im Jahre 1839 ißt er an der könig¬
lichen Tafel "Trappcnbraten, eine Art fliegendes Rindfleisch," und muß sich,
als er für seine Nichte Platz im Schlosse zu verschaffen sucht, um die
Feierlichkeiten bei der Beisetzung Friedrich Wilhelms tel. anzusehen, die
Autwort gefallen lassen: "Es is nischt, Alterchen, und wenn Sie ne kleene
Excellenz wären!"

Von Friedrich Wilhelm IV. wird ein Brief mitgeteilt, der seinem Herzen
alle Ehre macht. Humboldts Schwiegersohn hatte aus Gesundheitsrücksichten
seinen Abschied erbeten, der König bittet ihn, vorläufig noch nicht definitiv zu
beschließen, und sagt am Schlüsse seines Schreibens: "Ich bitte Sie, nehmen
Sie es nur recht ernst mit Ihrer Gesundheit, und "nicht Ihnen das Mühe,
so denken Sie, Sie arbeiten für meinen Dienst."

Das Leben der beiden Töchter Adelheid und Gabriele, von denen die eine
mit dem spätern General von Hedemann, die andre mit dem Legationsrat von
Bülow vermählt war, spielt sich von der frühesten Kindheit an vor unsern
Augen ab. Erzogen von einer Mutter, der die jüngere Tochter offenbar aus
der Seele spricht, wenn sie jene Zeiten glücklich preist, in denen man "Stützen,
die moderne Abhilfe einer modernen Schwäche ebenso wenig kannte, wie die
schreckliche Erfindung der Kindergärtnerinnen, unter deren Leitung unsre armen
Kinder heute sogar das Spielen methodisch lernen müssen," bewahrten sie sich
in ihrem ganzen Leben eine Unbefangenheit des Denkens und Handelns, die
in dem Briefwechsel zu wahrhaft erfrischendem Ausdruck kommt. Als kleines
Kind erzählt Adelheid von ihrem Balkon in Marino den Kindern der Nach¬
barschaft, sie habe einen Mann und sechs Kinder, und wird wütend, als die
-- allerdings wegen ihrer Ungezogenheit bekannte ^ Straßenjugend des Städt¬
chens ihr nicht glauben will. Als sie ein sehr wenig heiliger Mann aus dein
Gefolge des bei Cnstel Gandolfo spazieren gehenden Papstes fragt, warum sie
vor dem Papste Hinkniee, da sie doch nicht an ihn glaube, antwortet sie zum
Gelächter der Anwesenden: "Ich glaube an ihn, ihr aber nicht!"

Die jüngere Schwester bezauberte vom frühesten Alter an alle Welt. Als
sie dem alten Blücher einen Blumenstrauß überreichte, drohte er, "die Kieme


Grenzboten 11 1893 51
Die Familie Humboldt

Verbindung von Verstand und Gemüt, wie sie bei Humboldt zur Erscheinung
kam, unfaßbar. Während er sich bemühte, die Ausdehnung der Geisteskräfte
abzumessen, die Humboldt ihm gegenüber entfaltete, konnte er nicht bemerken,
in welche Fernen ihm das innere und eigentliche Wesen eines Mannes ent¬
schwand, der dem ErzVerräter gegenüber die Waffen zeigte, mit denen er sein
besseres Selbst verteidigte.

Wilhelms Bruder Alexander erscheint in dem Buche als liebevoller Onkel
und unerschöpflich anregender und geistreicher Erzähler. Für die Natnrfvrscher-
gesellschaft trifft er im Jahre 1828 weitläufige Einrichtungen und empfängt
und beantwortet! mehr als sechzig Briefe von Gelehrten, die ihn bitten,
ihnen Betten ohne Wanzen zu besorgen. Im Jahre 1839 ißt er an der könig¬
lichen Tafel „Trappcnbraten, eine Art fliegendes Rindfleisch," und muß sich,
als er für seine Nichte Platz im Schlosse zu verschaffen sucht, um die
Feierlichkeiten bei der Beisetzung Friedrich Wilhelms tel. anzusehen, die
Autwort gefallen lassen: „Es is nischt, Alterchen, und wenn Sie ne kleene
Excellenz wären!"

Von Friedrich Wilhelm IV. wird ein Brief mitgeteilt, der seinem Herzen
alle Ehre macht. Humboldts Schwiegersohn hatte aus Gesundheitsrücksichten
seinen Abschied erbeten, der König bittet ihn, vorläufig noch nicht definitiv zu
beschließen, und sagt am Schlüsse seines Schreibens: „Ich bitte Sie, nehmen
Sie es nur recht ernst mit Ihrer Gesundheit, und »nicht Ihnen das Mühe,
so denken Sie, Sie arbeiten für meinen Dienst."

Das Leben der beiden Töchter Adelheid und Gabriele, von denen die eine
mit dem spätern General von Hedemann, die andre mit dem Legationsrat von
Bülow vermählt war, spielt sich von der frühesten Kindheit an vor unsern
Augen ab. Erzogen von einer Mutter, der die jüngere Tochter offenbar aus
der Seele spricht, wenn sie jene Zeiten glücklich preist, in denen man „Stützen,
die moderne Abhilfe einer modernen Schwäche ebenso wenig kannte, wie die
schreckliche Erfindung der Kindergärtnerinnen, unter deren Leitung unsre armen
Kinder heute sogar das Spielen methodisch lernen müssen," bewahrten sie sich
in ihrem ganzen Leben eine Unbefangenheit des Denkens und Handelns, die
in dem Briefwechsel zu wahrhaft erfrischendem Ausdruck kommt. Als kleines
Kind erzählt Adelheid von ihrem Balkon in Marino den Kindern der Nach¬
barschaft, sie habe einen Mann und sechs Kinder, und wird wütend, als die
— allerdings wegen ihrer Ungezogenheit bekannte ^ Straßenjugend des Städt¬
chens ihr nicht glauben will. Als sie ein sehr wenig heiliger Mann aus dein
Gefolge des bei Cnstel Gandolfo spazieren gehenden Papstes fragt, warum sie
vor dem Papste Hinkniee, da sie doch nicht an ihn glaube, antwortet sie zum
Gelächter der Anwesenden: „Ich glaube an ihn, ihr aber nicht!"

Die jüngere Schwester bezauberte vom frühesten Alter an alle Welt. Als
sie dem alten Blücher einen Blumenstrauß überreichte, drohte er, „die Kieme


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[0410] Die Familie Humboldt Verbindung von Verstand und Gemüt, wie sie bei Humboldt zur Erscheinung kam, unfaßbar. Während er sich bemühte, die Ausdehnung der Geisteskräfte abzumessen, die Humboldt ihm gegenüber entfaltete, konnte er nicht bemerken, in welche Fernen ihm das innere und eigentliche Wesen eines Mannes ent¬ schwand, der dem ErzVerräter gegenüber die Waffen zeigte, mit denen er sein besseres Selbst verteidigte. Wilhelms Bruder Alexander erscheint in dem Buche als liebevoller Onkel und unerschöpflich anregender und geistreicher Erzähler. Für die Natnrfvrscher- gesellschaft trifft er im Jahre 1828 weitläufige Einrichtungen und empfängt und beantwortet! mehr als sechzig Briefe von Gelehrten, die ihn bitten, ihnen Betten ohne Wanzen zu besorgen. Im Jahre 1839 ißt er an der könig¬ lichen Tafel „Trappcnbraten, eine Art fliegendes Rindfleisch," und muß sich, als er für seine Nichte Platz im Schlosse zu verschaffen sucht, um die Feierlichkeiten bei der Beisetzung Friedrich Wilhelms tel. anzusehen, die Autwort gefallen lassen: „Es is nischt, Alterchen, und wenn Sie ne kleene Excellenz wären!" Von Friedrich Wilhelm IV. wird ein Brief mitgeteilt, der seinem Herzen alle Ehre macht. Humboldts Schwiegersohn hatte aus Gesundheitsrücksichten seinen Abschied erbeten, der König bittet ihn, vorläufig noch nicht definitiv zu beschließen, und sagt am Schlüsse seines Schreibens: „Ich bitte Sie, nehmen Sie es nur recht ernst mit Ihrer Gesundheit, und »nicht Ihnen das Mühe, so denken Sie, Sie arbeiten für meinen Dienst." Das Leben der beiden Töchter Adelheid und Gabriele, von denen die eine mit dem spätern General von Hedemann, die andre mit dem Legationsrat von Bülow vermählt war, spielt sich von der frühesten Kindheit an vor unsern Augen ab. Erzogen von einer Mutter, der die jüngere Tochter offenbar aus der Seele spricht, wenn sie jene Zeiten glücklich preist, in denen man „Stützen, die moderne Abhilfe einer modernen Schwäche ebenso wenig kannte, wie die schreckliche Erfindung der Kindergärtnerinnen, unter deren Leitung unsre armen Kinder heute sogar das Spielen methodisch lernen müssen," bewahrten sie sich in ihrem ganzen Leben eine Unbefangenheit des Denkens und Handelns, die in dem Briefwechsel zu wahrhaft erfrischendem Ausdruck kommt. Als kleines Kind erzählt Adelheid von ihrem Balkon in Marino den Kindern der Nach¬ barschaft, sie habe einen Mann und sechs Kinder, und wird wütend, als die — allerdings wegen ihrer Ungezogenheit bekannte ^ Straßenjugend des Städt¬ chens ihr nicht glauben will. Als sie ein sehr wenig heiliger Mann aus dein Gefolge des bei Cnstel Gandolfo spazieren gehenden Papstes fragt, warum sie vor dem Papste Hinkniee, da sie doch nicht an ihn glaube, antwortet sie zum Gelächter der Anwesenden: „Ich glaube an ihn, ihr aber nicht!" Die jüngere Schwester bezauberte vom frühesten Alter an alle Welt. Als sie dem alten Blücher einen Blumenstrauß überreichte, drohte er, „die Kieme Grenzboten 11 1893 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/410>, abgerufen am 25.07.2024.