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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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El" Murmeln des Erstaunens durchlief die Tischgesellschaft.

So beruht die sonderbare Geschichte, die man sich in der Stadt erzählt,
doch auf Wahrheit? flüsterte der alte Oberbibliothekar seinem Nachbar zu.

Der Fürst hatte sich bereits erhoben und war hinter Justus Stuhl ge¬
treten. Ein Mann ein Wort! rief er und schlug mit beiden Händen auf des
jungen Gelehrten Schultern, kommen Sie, meine Herren, unser Freund wird
uus zu der schönen Tochter des glücklichen Arabiens führen!

Die Gesellschaft erhob sich lärmend und Scharte sich um Justus, den bei
dem Gedanken, daß diese weinfröhlichen und bedenklich schwankenden Leuchten
der Wissenschaft die Stille seines Heims entweihen sollten, plötzlich eine
Bangigkeit überkam. Was hatte er gethan? Hatte er nicht selbst sein Ge¬
heimnis preisgegeben? Nun kam es ihm wie Verrat an Leila vor. Aber es
half nichts, er mußte Wort halten.

Der Fürst griff nach Hut und Degen und bedachte den Lakaien, der ehr¬
erbietig fragte, ob sich Durchlaucht der Portechaise zu bedienen gedächten, in
scharf pronvnzirtem Polnisch mit irgend einem frommen Wunsche. Justus
erreichte zuerst die Straße und drängte sich, noch ehe die Schildwache die
gaffende Schuljugend von dem Eingange des Gasthofes zurückgetrieben hatte,
durch die Menge. Eine quälende Unruhe beflügelte seine Schritte. Nur der
Fürst und zwei von den Professoren vermochten ihm in einiger Entfernung
zu folgen. Ehe er den Marktplatz betrat, wandte er sich noch einmal um
und sah, wie sich die übrigen Herren der Gesellschaft vergebens bemühten, die
Schar der nachdrängenden Schuljugend zu durchbrechen und ihn einzuholen.
Erst als er am Hanse angelangt war, fühlte er sich erleichtert, und als er
die erste Treppe erstiegen hatte, gönnte er sich einen Augenblick Ruhe, um sich
mit seinem seidnen Taschentüchlein die Stirn zu trocknen. Er hörte, wie die
andern unten ins Haus traten, die zwei Kollegen stöhnten, der Fürst fluchte.
Ja die Hitze war groß, und der Ungarwein war feurig gewesen!

Justus öffnete den silbergestickten blauen Frack und riß sich hastig
die Spitzenkrause vom Halse. Endlich war er vor der Thür seiner Woh¬
nung angelangt. Er schloß auf und öffnete mit zitternder Hand die Thür
zu Leilas Stube. Ein süßer Duft von Rosenöl, vermischt mit dein aroma¬
tischen Geruch türkischen Tabaks strömte ihm aus dem halbdunkeln Gemach
entgegen. Er trat ans Fenster und zog die Vorhänge zurück. Draußen hatte
sich ein Wind erhoben und mächtige Wolken am westlichen Himmel zusammen¬
getrieben. Die Feuerreiter auf dem Fensterbret ließen die Blätter hängen
und schienen nach Regen zu lechzen.

Leila ruhte auf dem Divan und schlief. Regelmäßig hob sich ihr Busen
unter dem leichten weißen Gewände.

Justus näherte sich behutsam ihrem Lager und kniete an ihrer Seite
nieder. Sie konnte erst eben eingeschlafen sein, denn aus dem leicht gebräunte"


El« Murmeln des Erstaunens durchlief die Tischgesellschaft.

So beruht die sonderbare Geschichte, die man sich in der Stadt erzählt,
doch auf Wahrheit? flüsterte der alte Oberbibliothekar seinem Nachbar zu.

Der Fürst hatte sich bereits erhoben und war hinter Justus Stuhl ge¬
treten. Ein Mann ein Wort! rief er und schlug mit beiden Händen auf des
jungen Gelehrten Schultern, kommen Sie, meine Herren, unser Freund wird
uus zu der schönen Tochter des glücklichen Arabiens führen!

Die Gesellschaft erhob sich lärmend und Scharte sich um Justus, den bei
dem Gedanken, daß diese weinfröhlichen und bedenklich schwankenden Leuchten
der Wissenschaft die Stille seines Heims entweihen sollten, plötzlich eine
Bangigkeit überkam. Was hatte er gethan? Hatte er nicht selbst sein Ge¬
heimnis preisgegeben? Nun kam es ihm wie Verrat an Leila vor. Aber es
half nichts, er mußte Wort halten.

Der Fürst griff nach Hut und Degen und bedachte den Lakaien, der ehr¬
erbietig fragte, ob sich Durchlaucht der Portechaise zu bedienen gedächten, in
scharf pronvnzirtem Polnisch mit irgend einem frommen Wunsche. Justus
erreichte zuerst die Straße und drängte sich, noch ehe die Schildwache die
gaffende Schuljugend von dem Eingange des Gasthofes zurückgetrieben hatte,
durch die Menge. Eine quälende Unruhe beflügelte seine Schritte. Nur der
Fürst und zwei von den Professoren vermochten ihm in einiger Entfernung
zu folgen. Ehe er den Marktplatz betrat, wandte er sich noch einmal um
und sah, wie sich die übrigen Herren der Gesellschaft vergebens bemühten, die
Schar der nachdrängenden Schuljugend zu durchbrechen und ihn einzuholen.
Erst als er am Hanse angelangt war, fühlte er sich erleichtert, und als er
die erste Treppe erstiegen hatte, gönnte er sich einen Augenblick Ruhe, um sich
mit seinem seidnen Taschentüchlein die Stirn zu trocknen. Er hörte, wie die
andern unten ins Haus traten, die zwei Kollegen stöhnten, der Fürst fluchte.
Ja die Hitze war groß, und der Ungarwein war feurig gewesen!

Justus öffnete den silbergestickten blauen Frack und riß sich hastig
die Spitzenkrause vom Halse. Endlich war er vor der Thür seiner Woh¬
nung angelangt. Er schloß auf und öffnete mit zitternder Hand die Thür
zu Leilas Stube. Ein süßer Duft von Rosenöl, vermischt mit dein aroma¬
tischen Geruch türkischen Tabaks strömte ihm aus dem halbdunkeln Gemach
entgegen. Er trat ans Fenster und zog die Vorhänge zurück. Draußen hatte
sich ein Wind erhoben und mächtige Wolken am westlichen Himmel zusammen¬
getrieben. Die Feuerreiter auf dem Fensterbret ließen die Blätter hängen
und schienen nach Regen zu lechzen.

Leila ruhte auf dem Divan und schlief. Regelmäßig hob sich ihr Busen
unter dem leichten weißen Gewände.

Justus näherte sich behutsam ihrem Lager und kniete an ihrer Seite
nieder. Sie konnte erst eben eingeschlafen sein, denn aus dem leicht gebräunte»


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[0387] El« Murmeln des Erstaunens durchlief die Tischgesellschaft. So beruht die sonderbare Geschichte, die man sich in der Stadt erzählt, doch auf Wahrheit? flüsterte der alte Oberbibliothekar seinem Nachbar zu. Der Fürst hatte sich bereits erhoben und war hinter Justus Stuhl ge¬ treten. Ein Mann ein Wort! rief er und schlug mit beiden Händen auf des jungen Gelehrten Schultern, kommen Sie, meine Herren, unser Freund wird uus zu der schönen Tochter des glücklichen Arabiens führen! Die Gesellschaft erhob sich lärmend und Scharte sich um Justus, den bei dem Gedanken, daß diese weinfröhlichen und bedenklich schwankenden Leuchten der Wissenschaft die Stille seines Heims entweihen sollten, plötzlich eine Bangigkeit überkam. Was hatte er gethan? Hatte er nicht selbst sein Ge¬ heimnis preisgegeben? Nun kam es ihm wie Verrat an Leila vor. Aber es half nichts, er mußte Wort halten. Der Fürst griff nach Hut und Degen und bedachte den Lakaien, der ehr¬ erbietig fragte, ob sich Durchlaucht der Portechaise zu bedienen gedächten, in scharf pronvnzirtem Polnisch mit irgend einem frommen Wunsche. Justus erreichte zuerst die Straße und drängte sich, noch ehe die Schildwache die gaffende Schuljugend von dem Eingange des Gasthofes zurückgetrieben hatte, durch die Menge. Eine quälende Unruhe beflügelte seine Schritte. Nur der Fürst und zwei von den Professoren vermochten ihm in einiger Entfernung zu folgen. Ehe er den Marktplatz betrat, wandte er sich noch einmal um und sah, wie sich die übrigen Herren der Gesellschaft vergebens bemühten, die Schar der nachdrängenden Schuljugend zu durchbrechen und ihn einzuholen. Erst als er am Hanse angelangt war, fühlte er sich erleichtert, und als er die erste Treppe erstiegen hatte, gönnte er sich einen Augenblick Ruhe, um sich mit seinem seidnen Taschentüchlein die Stirn zu trocknen. Er hörte, wie die andern unten ins Haus traten, die zwei Kollegen stöhnten, der Fürst fluchte. Ja die Hitze war groß, und der Ungarwein war feurig gewesen! Justus öffnete den silbergestickten blauen Frack und riß sich hastig die Spitzenkrause vom Halse. Endlich war er vor der Thür seiner Woh¬ nung angelangt. Er schloß auf und öffnete mit zitternder Hand die Thür zu Leilas Stube. Ein süßer Duft von Rosenöl, vermischt mit dein aroma¬ tischen Geruch türkischen Tabaks strömte ihm aus dem halbdunkeln Gemach entgegen. Er trat ans Fenster und zog die Vorhänge zurück. Draußen hatte sich ein Wind erhoben und mächtige Wolken am westlichen Himmel zusammen¬ getrieben. Die Feuerreiter auf dem Fensterbret ließen die Blätter hängen und schienen nach Regen zu lechzen. Leila ruhte auf dem Divan und schlief. Regelmäßig hob sich ihr Busen unter dem leichten weißen Gewände. Justus näherte sich behutsam ihrem Lager und kniete an ihrer Seite nieder. Sie konnte erst eben eingeschlafen sein, denn aus dem leicht gebräunte»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/387>, abgerufen am 23.07.2024.